Sternstunde des Strauss-Gesangs: Anja Harteros im Konzerthaus Dortmund

Anja Harteros erntete als Strauss-Interpretin Ovationen (Foto: Pascal Amos Rest/Konzerthaus Dortmund)

Manch gefeierte Gesangsstimme unserer Tage gleicht ja einem Stück Haute Couture: Das Material ist luxuriös, die Verarbeitung aufwändig und der Zuschnitt perfekt. Es gibt aber auch Stimmen, die trotz aller Gesangstechnik im Kern natürlich geblieben sind. Stets gefährdet und gerade dadurch kostbar, lassen sie den durchgestylten Gala-Glanz mühelos erblassen.

Eine solche Stimme besitzt Anja Harteros, die jüngst im Konzerthaus Dortmund mit Liedern von Richard Strauss zu erleben war. Begleitet wurde die Sopranistin vom Concertgebouw-Orchester Amsterdam, das aufgrund einer Erkrankung seines Chefdirigenten Mariss Jansons unter der Leitung des 27-jährigen Franzosen Alexandre Bloch spielte.

Für die Tournee mit den „Königlichen“ hat die Sängerin sechs Lieder mit melancholischem Grundton ausgewählt. So beschwören „Waldseligkeit“ und „Zueignung“ die Einsamkeit des Liebenden, „Allerseelen“ und „Morgen!“ gar die Wiedervereinigung im Jenseits. Die Harteros taucht das in flammende, üppig changierende Farben der Wehmut. Weit und mühelos greift ihr Sopran ins Mezzo-, ja sogar ins Alt-Register aus. Ihre langen Legato-Bögen, die selbst im Mezzopiano unangestrengt über das Orchester hinweg schweben, erreichen im „Wiegenlied“ eine delikate, silbrige Zärtlichkeit. So sehr sie „Morgen!“ in fahle Transzendenz taucht, so glühend lässt sie die Emotionen in der „Zueignung“ überströmen. Jedes Wort kann sich aus dem Munde dieser Sängerin unversehens zum Himmel weiten, jede harmonische Rückung kann neue Welten eröffnen. Anja Harteros begegnet der hohen Liedkunst von Richard Strauss mit Bescheidenheit und Größe, mithin als überragende Interpretin.

Vor großen Herausforderungen stand der junge Einspringer Alexandre Bloch. Nach der brillanten, schwungvoll musizierten Ouvertüre „Der Widerspenstigen Zähmung“ aus der Feder des Niederländers Johan Wagenaar hatte der Dirigent zwei Schwergewichte der Orchesterliteratur zu bewältigen: Jörg Widmanns „Teufel Amor“, inspiriert von einem Gedichtfragment von Friedrich Schiller, sowie die Tondichtung „Tod und Verklärung“ von Richard Strauss. Beide Mammut-Partituren zeugen von rauschhafter Instrumentierungskunst und behandeln das Orchester äußerst virtuos.

Beherzt schöpft Bloch aus den Klangmöglichkeiten, die ihm das Amsterdamer Spitzenensemble bietet. In Jörg Widmanns 2011 entstandenen Sinfonischen Hymnos spielt er mit Registern, als habe er eine große Orgel vor sich. Bloch arbeitet sich vom grüblerisch-bedrohlichen Dröhnen der Blechbläser vor, steigert das Werk zu Apotheosen, die wiederum ins Geisterhafte abgleiten. Selbst im robusten Dauer-Forte legt er viele spannende Schichten frei. Im Herzen bleibt er dabei ein Romantiker, der uns Widmanns Werk als Fortschreibung von Traditionslinien zeigt, die von Richard Strauss und Gustav Mahler in die Zukunft weisen. In „Tod und Verklärung“ setzt er der schleppenden, nachtschwarzen Einleitung ein leidenschaftliches Aufbegehren entgegen, das immer neu auflodert. Die Verklärungsmusik klingt indes überraschend diesseitig. Den letzten Perspektivwechsel, der alles zuvor Erklungene wie von oben herab betrachtet, enthält Alexandre Bloch uns an diesem Abend vor.

(Der Text ist in ähnlicher Form zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen.)

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