„Wie fühl‘ ich mich, wie fühlst du dich…?“ – Gerhard Henschels „Abenteuerroman“

Wenn ein Autor sein Buch Abenteuerroman nennt, startet das Kopfkino des Lesers. Geschichten von Tom Sawyer und Huckleberry Finn, Jules Vernes „In 80 Tagen um die Welt“ oder vielleicht auch Stevensons Schatzinsel dürften ihm in den Sinn kommen. Der Schriftsteller Gerhard Henschel, der sich hier zu Wort meldet, wählt indes vermeintlich banalere Motive, lässt er doch einen jungen Mann namens Martin Schlosser über sein Leben Anfang der 1980er Jahre erzählen.

Die Fans von Henschel kennen die Hauptfigur aus den Vorgängerbüchern („Kindheitsroman“, Jugendroman“, „Liebesroman“). Schlosser lebt jetzt in der tiefen Provinz, dem niedersächsischen Meppen. Die Handlung beginnt, als er kurz vor dem Abitur steht. Flockig-locker ergreift der Romanheld das Wort, der eigentlich so recht kein Wässerchen trüben kann. So hält er sich gern ein Hintertürchen offen. Beispiel Bundeswehr. Von der Wehrpflicht, so etwas hat es ja mal in der praktischen Ausführung in Deutschland gegeben, ist er ebenso wenig überzeugt wie vom Pazifismus. Also lässt sich Schlosser erst einmal auf die Bundeswehr ein. Spätestens hier bekommt der Buchtitel dann doch seine Berechtigung, sind doch die Erlebnisse abenteuerlich genug. Einer Mutprobe kommt dann schon der Antrag von Schlosser auf Kriegsdienstverweigerung gleich. Dass er so glimpflich aus der Nummer rauskommt und die Tage bis zur Entlassung ohne große Schikanen übersteht, ist für die damaligen Verhältnisse als andere als selbstverständlich.

Henschel

Frank und frei breitet Schlosser sein Liebesleben aus, wobei sich das anfangs eher bescheiden ausnimmt. Das Bild, das Autor Henschel von dem Pärchen Martin und Freundin Heike zeichnet, bleibt allerdings bis zum Schluss recht schablonenhaft. Beide sind wohl eher der friedensbewegten Anti-Atomkraft-Bewegung zuzuordnen, Heike studiert zudem Pädagogik. Martin hat es in der Zweierbeziehung stark auf das Körperliche abgesehen, wobei Heike zwar keine Kostverächterin ist, aber ihr Gegenüber gern in Gespräche mit der Überschrift „Wie fühl‘ ich mich, wie fühlst du dich und was sagt uns das?“ verwickelt.

Wann die zarten Bande wohl reißen werden, drängt sich förmlich als Frage auf, zumal beide auch abseits ihres gemeinsamen Weges eines nicht verabscheuen: Abenteuer. Womit wir wieder beim Titel wären.
Von Beginn an ist Henschels Buch wie ein Kaleidoskop angelegt. Kleine Erzählstücke fügen sich zum großen Ganzen. Martin Schlosser wechselt häufig Thema und Perspektive. Gerade noch berichtet er vom Besuch bei einem Freund, dann ist er schon wieder auf der Suche nach einer Zivildienststelle. Zwischendrin greift auch das politische Geschehen Raum (Kriegsrecht in Polen, Verhältnis BRD-DDR, Falklandkrieg, Kanzlerdämmerung) – und all das versieht der junge Mann gern mit seinen persönlichen Notizen. Nach dem Sturz von Helmut Schmidt merkt er an, dass neben Innenminister Zimmermann jetzt wohl auch die anderen Finsterlinge emporkommen würden und meint Barzel, Dregger, Wörner und vor allem Strauß, den Strippenzieher. Zu einem politischen Engagement mag sich Martin aber doch nie durchringen, er tritt vielmehr aus der SPD aus und ärgert sich, dass man ihm die Parteizeitung auch danach noch zuschickt.

Henschel formt eine Figur, die gern auch über den Dingen zu stehen scheint und die vor allem aus der Literatur Honig saugt. Gern liest Martin Schlosser Zeilen des Lyrikers Rolf-Dieter Brinkmann, der zeit seines Lebens auf der Suche nach seinem wahren Ich war. Schlosser schafft es aber augenscheinlich, innere Distanz zu wahren. Das soll ihm während der Zivi-Zeit, als er einen schwerstbehinderten Jugendlichen betreuen muss, zum Vorteil gereichen. Welchen Nutzen ihm sein Studium der Fächer Germanistik, Philosophie und Soziologie bringt, wird sich erst in einem Folgeband herausstellen. Das wäre durchaus wünschenswert.

Gerhard Henschel: „Abenteuerroman“. Hoffmann und Campe, 576 S. 24,99 Euro

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2 Antworten zu „Wie fühl‘ ich mich, wie fühlst du dich…?“ – Gerhard Henschels „Abenteuerroman“

  1. Philipp Höß sagt:

    Auch ohne die Vorgängerromane gelesen zu haben hatte ich einen vergnüglichen Einstieg in das Abenteuerbuch. Gerade hat Martin seine zweite Fahrstunde hinter sich gebracht und ob er Saskia mal ansprechen würde, wurde nicht verraten, es darf weiter knistern. Kaleidoskopartig mag stimmen, heißt das Tagebucheintragmäßig aneinandergereihte Notizen? Er greift jedenfalls immer wieder Schleifen auf, und ich denke/hoffe, daß sich daraus schon noch ein Strang … äh, eben nicht entwickelt, vielleicht spinnen lässt? Danke für die Empfehlung.

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