Endzeitstimmung in der Tanzschule: „Skin Deep Song“ in Essen uraufgeführt

Kann es einen trostloseren Ort geben als eine ehemalige Tanzschule? Eine vergessene Disco-Kugel hängt zwischen kaputten Deckenplatten, aus denen lose Kabel baumeln. Eine verstaubte Theke, ein Klavier, ein Glittervorhang. Das Arrangement gehört freilich zum Bühnenbild (Andreas Jander) – doch für die Uraufführung von „Skin Deep Song“ hätte das Theater Essen trotzdem keinen passenderen Ort finden können als diese ehemalige Tanzschule hinterm Bahnhof, die vom Theater eigentlich nur als Probebühne genutzt wird.

Floriane Kleinpaß, Heiner Stadelmann. Foto: Thilo Beu

Floriane Kleinpaß, Heiner Stadelmann. Foto: Thilo Beu

Passend deshalb, weil das Stück des US-Dramatikers Noah Haidle in einem Tanzsaal spielt. Thomas Krupa übertrug es ins Deutsche und setzte es in Essen zum ersten Mal überhaupt in Szene.

Als „Endzeit-Stück“ wurde es vorab bezeichnet, es wurden Verbindungen zu den Stücken Becketts und zu Cormac McCarthys „Die Straße“ nahe gelegt – dieser Vergleich ist bis auf das Katastrophen-Motiv jedoch weit hergeholt.

Floriane Kleinpaß, Silvia Weiskopf (Foto: Tilo Beu)

Floriane Kleinpaß, Silvia Weiskopf (Foto: Thilo Beu)

„Skin Deep Song“ erzählt vordergründig vom Trauma zweier Schwestern, die das Attentat auf ihre Eltern, ein Königspaar, mit Rollenspielen und Witze-Erzählen zu verarbeiten versuchen. Haltlos irren sie in Kriegszeiten durch einen unbestimmten Raum, schleppen ihre toten, in Säcke verschnürten Eltern mühsam hinter sich her und ergehen sich in Erinnerungen, die sie mal zum Lachen, mal zum Weinen bringen.

In Rückblicken erfährt der Zuschauer mehr über die Familie, die da zerstört wurde: Eine furchtbar unsympathische Bande mit einem ordinären, despotischen Vater (Tom Gerber), einer hysterischen Mutter (Bettina Schmidt) und zwei albernen, kichernden Prinzessinnen. Mitten im vom König selbst angezettelten Krieg wollen sie ein rauschendes Fest feiern. Bis der Attentäter kommt und die Eltern hinrichtet – vor den Augen der Schwestern, von denen eine soeben zum ersten Mal mit einem Jungen getanzt und ihn geküsst hat.

Hintergründig ist dies also eine Geschichte vom Erwachsenwerden, vom mitunter brutalen Abschiednehmen – Abschied von der Kindheit, von den Eltern, von der exklusiven Innigkeit der Beziehung zur Schwester, die durch neue Beziehungen abgelöst werden wird. Das Attentat markiert jenen Punkt im Leben der Mädchen, an dem sich einfach alles ändert, irgendwo zwischen Pubertät und Erwachsensein. Die Vergangenheit? War zwar mit dieser Familie auch eine ziemliche Katastrophe, aber immerhin vertraut und berechenbar. Die Zukunft? Höchst unsicher, weshalb die Mädchen sich in ihren Rollenspielen lieber eigene verbindliche Regeln geben.

Silvia Weiskopf und Floriane Kleinpaß spielen diese gestörten, verstörten Schwestern höchst anrührend und überzeugen ebenso in den Rückblenden als niedlich-naive, behütete Dummchen mit wallendem Langhaar wie als glatzköpfige, in eine neue Welt gespuckte Girlie-Frauen.

Am Ende schenkt das Stück dem Zuschauer ein tröstliches Ende, wie es typisch ist für die Absolventen amerikanischer Schreibschulen: Die Schwestern begraben endlich ihre Eltern und erklimmen so eine nächste Stufe der Trauer. In ihrem dementen Opa (Heiner Stadelmann) haben sie zudem ein versöhnendes Bindeglied zwischen Vergangenheit und Gegenwart gefunden.

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Nähere Infomationen hier

(Der Beitrag erschien zuerst im Westfälischen Anzeiger, Hamm)

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Über Katrin Pinetzki

Kaffeejournalistin, Kulturtante und umgekehrt. Arbeitet als Pressereferentin für Kultur in der Pressestelle der Stadt Dortmund.
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