Meilensteine der Popmusik (27): The Who

„Things they do look awful cold, hope i die before i get old…“ (My Generation/1965)

Superlative schmücken die großen Pop- und Rockstars bis heute, häufig erfunden und benutzt von der Industrie, um die Schützlinge noch besser zu vermarkten. King of Rock´n´Roll, King of Pop, Queen of Soul – die jeweils größte, wildeste und auch berühmteste Rockband – das waren die gängigen Prädikate. Eine Band aus dem Nordwestens Londons, die sich als erste Band überhaupt einen 100 Watt-Verstärker bauen ließ (damals in den 60-ern eine kleine, technische Sensation) setzte da andere Maßstäbe. Bei ihren Liveauftritten wurden neue Rekordwerte in Phon gemessen, sie firmierten fortan als die „lauteste Rockband der Welt“: The Who.

tommy

Ende der 50-er kam in den Arbeitervierteln der britischen Großstädte eine neue Jugendsubkultur auf. Die Mods (abgeleitet vom engl. „modernist“) versteckten ihre ärmliche Herkunft in schicken Designeranzügen und teurer Markenkleidung. Als Wetterschutz für den Ausflug auf dem italienischen Motorroller diente der Parka. Heftige Saufgelage und ständige Einnahme von Amphetaminen waren Voraussetzungen für jedes durchfeierte Wochenende. Dazu kamen regelmäßige Prügeleien mit den rivalisierenden Rockerbanden. Die Musik der Mods war schwarz, ihr Leitspruch lautete: „der Schein bestimmt das Sein“. Die musikalischen Helden kamen aus ihrer Mitte, und waren zu ihrer Zeit das wohl Abgefahrenste, was die damals brandneue britische Beatmusik zu bieten hatte.

Schon 1962 kamen Pete Townshend, Roger Daltrey und John Entwistle zusammen, ihre Musik klang wie eine umfassende Frustbewältigung der Nachkriegszeit im britischen Kleinbürgertum. Dabei waren Sänger Roger Daltrey und Bassist John Entwistle noch zurückhaltend in ihrem Auftritt. Den wahren Derwisch gab Gitarrist Pete Townshend auf der Bühne. Schon zwei Jahre später stieß der kongeniale Drummer Keith Moon zur Gruppe.

Von nun an endete fast jedes Konzert von The Who in einem zelebrierten Wutausbruch. Angeblich wurden im Laufe der Jahre über 3000 Gitarren auf der Bühne zerstört, dazu kamen etliche Schlagzeugsets und sonstiges Equipment. Am Ende blieb oft nur ein rauchendes, schwarzes Loch übrig. Die Abrissbirnen Townshend und Moon stürzten die Band immer wieder in große finanzielle Nöte, doch wie sagte ihr Kopf Pete Townshend dann: „Die Kunst geht vor!“  Und vor der Kunst kam die Droge, vorzugsweise als Alkohol. Das beförderte die Zerstörungswut der beiden Protagonisten, die ihnen alsbald auch Sperrvermerke von weltweiten Hotelketten eintrug. Die Drogen brachten den eigentlich introvertierten, mit Selbstzweifeln kämpfenden Pete Townshend an den Rand des Wahnsinns.

In diesen, für ihn schlimmsten Stunden, kreiert Pete Townshend sein Meisterwerk. Die rührende Geschichte vom taubstummen und blinden Flipperweltmeister Tommy Walker geht 1969 als erste große Rockoper um die Welt. Als Platte, Musical und schließlich auch als Film schreibt „Tommy“ Rockgeschichte, und macht den Kopf von The Who zum Multimillionär. Die Folgen für Pete Townshend sind katastrophal. Er driftet immer weiter ab in den Drogensumpf, statt Befriedigung kamen neuer Druck und alte Zweifel: „Ich war ein zutiefst verzweifelter Mann, saß wie ein Arschloch hinten im Fond des Mercedes 600, trank Cognac, diktierte Antworten auf Fanpost und hörte laut Musik. Manchmal, damit klar wurde, dass ein dreckiger Rockstar im Wagen saß und kein mächtiger Wirtschaftsboss, Diktator oder Papst, ließ ich die Scheibe herunter und streckte meine Doc Martens Stiefel raus.“ Als er 1978 vom plötzlichen Tod seines Saufkumpels Keith Moon erfuhr, war auch sein Leben für einen Moment am Ende. Der tiefe Schock ließ ihn trotzdem noch einmal auf Tournee gehen, direkt nach dem Tod des Schlagzeugers und Freundes.

Es begann ein langer Weg zu sich selbst, der bis heute noch nicht abgeschlossen scheint. Entzug und Therapie dauerten Jahrzehnte lang. Pete Townshend überlebte auch den Bassisten John Entwistle, der 2002 nach erhöhtem Kokainkonsum einem Herzinfarkt erlag. Obwohl sich The Who vor 30 Jahren offiziell trennten, gab es immer wieder Live-Comebacks und 2006 sogar eine neue Studio-CD. Ganze Generationen von Punk-, New Wave-, Hard Rock- und Brit-Popgruppen haben sich von der lautesten Rockgruppe der Welt inspirieren lassen. Und die Superlative bleiben letztlich für immer. Mag Paul McCartney vielleicht der reichste Rockmusiker sein, Elton John die schönsten Songs geschrieben, und Rod Stewart die hübschesten Blondinen abgeschleppt haben – für den mittlerweile fast tauben, 67-jährigen Pete Townshend bleibt unbestritten ein Prädikat: er ist der „durchgeknallteste“ Rockstar der Geschichte.

The Who on youtube

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Die bisherigen „Meilensteine“:

Peter Gabriel (1), Creedence Clearwater Revival (2), Elton John (3), The Mamas and the Papas (4), Jim Croce (5), Foreigner (6), Santana (7), Dire Straits (8), Rod Stewart (9), Pink Floyd (10), Earth, Wind & Fire (11), Joe Cocker (12), U 2 (13), Aretha Franklin (14), Rolling Stones (15), Queen (16), Diana Ross (17), Neil Diamond (18), Fleetwood Mac (19), Simon & Garfunkel (20), Bruce Springsteen (21), ABBA (22), The Kinks (23), Michael Jackson (24), Bob Dylan (25), The Eagles (26)

 

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4 Antworten zu Meilensteine der Popmusik (27): The Who

  1. lars-oliver rühl sagt:

    Psssst – die sind meine Lieblingsband!!! Die Townshend-Bio habe ich gerade durch, und ich weiss, was du meinst. Habe – leider erst nach meinem Kommentar – einige weitere deiner „MEilensteine“ durchstöbert. Und ich finde sie sehr gut. Auch habe ich erst da den Kontext überschaut, in welchem du deine Artikel hier veröffentlichst. Sorry, hätte ich umgekehrt tun sollen: erst lesen, dann schreiben. Freu mich auf deinen nächsten Beitrag. L

  2. Klaus Schürholz sagt:

    Vielen Dank Lars-Oliver für das Feedback. Die Serie „Meilensteine der Popmusik“ will und kann nur ein Schlaglicht auf Interpreten und ihre (zumeist) erfogreichste und/oder einflussreichste Platte werfen. Das wird hoffentlich auch klar, wenn man die Serie in den vergangenen Monaten verfolgt hat. Der Autor bemüht sich um eine weitgehend objetive Auswahl von Interpreten und Stylistiken, die die Popmusik massgeblich beeinflusst haben. Eine komplette, jeweilige „Werkschau“ wird es hier nicht geben. Und es wird bewusst fokussiert – d.h. im Fall von THE WHO habe ich mich für den eindeutigen Kopf und Mastermind dieser Band entschieden. All´das „oberflächliche, klatschspaltenartige Getöse“ hat diesen Menschen Pete Townshend, sein Leben und sein Werk, dermaßen beeinflußt, dass er es zum Mittelpunkt seiner Autobiographie „Who i am“ gemacht hat. Hier natürlich weitaus umfassender. Kurz noch zu meiner musikantischen Einschätzung der einzelnen Protagonisten, zu der kein weiterer Platz (s.o.)blieb, die ich aber auch z.T. für nachrangig erachte. Sicher war John Entwistle ein hervorragender Bassist zu seiner Zeit (ja, ein der guten Rockbassisten), aber sicher nicht unvergleichbar. Das gleiche gilt m.E. auch für die stimmlichen Qualitäten von Roger Daltrey. Allein bei Keith Moon kommen wir uns näher bei dem Adjektiv „unvergleichlich“. Und letztlich war auch Pete Townshend kein begnadeter Gitarrist, aber (so wollte ich den „Meilenstein“ verstanden wissen) der absolute Mittelpunkt und Macher, mit herrausragenden Ideen und Kompositionen. Meine These: Ohne ihn, den in vieler Hinsicht „durchgeknallten“(!), hätte es diese wunderbare Gruppe so nicht gegeben. Allein, auch in der Pop-und Rockmusik gibt es immer mal wieder verschiedene Einschätzungen und Wertungen. Und das finde ich überhaupt nicht schade.

  3. lars-oliver rühl sagt:

    Sorry, dieser Artikel strotzt nur so vor oberflächlichem, klatschspaltenartigem Getöse. Ein „Meilenstein der Popmusik“ lässt sich nicht mit zerstörten Instrumenten, Hotelzimmern, Drogenkonsum und/oder sonstigen Ingredienzien eines „durchgeknallten“ 70er-Jahre-Rockstargehabes ins rollen bringen. Von den wirklich großartigen Alben WHO’s NEXT bzw QUADROPHENIA wird hier ebenso wenig geschrieben wie von den wegweisenden Konzepten, die Townshend zu Meisterwerken der Rockgeschichte machte. Ganz zu schweigen von den unvergleichbaren Fähigkeiten eines J. Entwistle, der den E-Bass revolutionierte, einer der besten Stimmen im Rock oder den unvergleiclichen Keith Moon. Schade.

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