Die wunderbare Pressevielfalt nach Art des Christian Nienhaus

Hier kommt ein Beitrag aus Reihe „Was wir immer schon mal wissen wollten, aber bislang nie zu fragen wagten“: Was versteht Christian Nienhaus, Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, eigentlich unter Pressevielfalt?

Was bisher geschah: Die WAZ-Gruppe hat zum 1. Februar 2013 Redaktion und freie Mitarbeiter der Westfälischen Rundschau (WR) in die Wüste geschickt. Der Titel erscheint jedoch mit fremden Inhalten weiter (Mantelteil von der WAZ, einige Lokalteile von verschiedenen Konkurrenten wie den Ruhr-Nachrichten). Die ohne eigene Redaktion operierende WR gilt zahlreichen Kritikern seither als seelenlose Zombie-Zeitung.

Jetzt veranstaltete der Hörfunksender WDR 5 im Dortmunder Harenberg Center ein „Stadtgespräch“ zum leidigen Thema (Moderation auf dem Podium: Judith Schulte-Loh, Ausstrahlung am Donnerstag, 7. März, 20:05 Uhr). Zwei Bemerkungen zwecks erhöhter Transparenz: Aus Zeitmangel war ich nicht am Ort des Geschehens, habe mir aber den Live-Stream im Internet (dankenswerter WDR-Service, jetzt als Videoaufzeichnung greifbar) angesehen. Das Bild zu diesem Text habe ich dabei vom Computerbildschirm abfotografiert.

Christian Nienhaus, Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, beim WDR-Stadtgesprräch (Screenshot vom Livestream des WDR)

Christian Nienhaus, Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, beim WDR-Stadtgespräch (Screenshot vom Livestream des WDR)

Zur Sache!

Viele hatten sich vor allem gefragt, was wohl der Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, Christian Nienhaus, zu Protokoll geben würde. Voilà:

Nienhaus befand, ihm gefalle die jetzige „Rundschau“ – so wörtlich – „auch ganz ordentlich“. Was findet er zum Beispiel gut? Launige Replik: „Mir gefällt ‚Günna’, den hatten wir vorher nich’…“ Das müssen wir kurz erläutern: Der Dortmunder Komiker Bruno Knust schreibt seit vielen Jahren als „Günna“ die lokale Samstags-Kolumne der Dortmunder Ruhr-Nachrichten (RN). Da die Rundschau in Dortmund jetzt von den RN lokal befüllt wird, steht eben auch der Scherzbold mit drin. Welch ein Zugewinn nach der Entlassung von 120 Redaktionsmitgliedern und über 150 freien Mitarbeitern!

27 Zeilen sollen den Unterschied machen

Allen Ernstes wollte Nienhaus es als Zeichen fortbestehender Vielfalt verstanden wissen, dass der verbliebene WR-Chefredakteur Malte Hinz von Fall zu Fall Kommentare (gestern und heute gerade mal je 27 Zeilen – Anm. des Autors) extra für die Rundschau verfasst.

Noch ein weiteres Signal für Vielfalt sieht Nienhaus: Es gebe doch im Internet ziemlich viele Blogs. Na, dann ist ja mit der Medienlanschaft alles in bester Ordnung, oder?

Nienhaus mokierte sich über die Zeiten des früheren „WAZ-Modells“ (WAZ, WR, WP und NRZ als unabhängige Zeitungen unter einem Dach). Da hätten vier Redakteure beim Fußballspiel gesessen – und jeder habe geschrieben „Flanke – Kopfball – Tor“. Außerdem habe jeweils noch einer die Hintergründe geschildert. Ach, so war das also. Demnach haben im Feuilleton wahrscheinlich auch vier Leute parallel geschrieben: „Dann sagte der Hamlet-Darsteller: ‚Sein oder Nichtsein…’“ Und ein Quartett von Politik-Kollegen hat gewiss die jüngste Merkel-Rede fast wortgleich gepriesen. Nun gut. Lassen wir die Polemik.

Wenn Tendenzschutz fragwürdig wird

Nienhaus machte ausschließlich wirtschaftliche Gründe für die Entscheidung geltend, die Rundschau-Redaktion zu entlassen. NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider, der Medienwissenschaftler Prof. Ulrich Pätzold (über die neue WR: „Mogelpackung“, „Falschmünzerei“, „Das ist keine Zeitung mehr“) und die vormalige WR-Leserbeirätin Inés Maria Jiménez versuchten hingegen immer wieder, Nienhaus an seine publizistische Verantwortung zu erinnern.

Schneider betonte, Zeitungen seien keine eben beliebige Handelsware wie Zitronen. Man könne verlangen, dass ein Verlustbringer im ansonsten gesunden Konzern auch schon mal quersubventioniert werde. Pätzold fragte, warum eine leere Hülse wie die jetzige Rundschau überhaupt noch das Verlegerprivileg des „Tendenzschutzes“ genieße. Für welche schützenswerte Tendenz stehe dieses Produkt nun eigentlich noch?

Auch aus dem Saalpublikum kamen zwischendurch einige unbequeme Fragen von Lesern und (zum Teil betroffenen) Journalisten.

„Diskretion“ in eigener Sache

Das alles ließ Nienhaus an sich abperlen und ging hin und wieder zum Angriff auf anderen Feldern über. Vor allem haderte er mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Suchmaschinen wie Google, die die Geschäftskreise der Zeitungen empfindlich störten. Dass die Medien „seines“ Hauses weder auf das WDR-Stadtgespräch hingewiesen haben noch darüber berichten werden, findet er ganz normal, denn bei Berichten in eigener Sache erlege man sich aus guten Gründen seit jeher Zurückhaltung auf. Fragt sich in diesem Falle nur noch, aus welchen zusätzlichen guten Gründen.

Übrigens: An unscheinbarer Stelle gab Nienhaus auch eine Art Versprechen, zumindest für die nähere Zukunft. In einem Nebensatz sagte er, dass Westfalenpost (WP) und Neue Ruhr/Rhein Zeitung (NRZ) nunmehr ungefährdet seien. Sein Wort in wessen Ohr auch immer.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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3 Antworten zu Die wunderbare Pressevielfalt nach Art des Christian Nienhaus

  1. Michaela sagt:

    Manches ist an Zynismus kaum zu übertreffen.

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