Von der Zeugung bis zum Tod – umstrittene „Körperwelten“ bald in Bochum

„Das wird auch für das Ruhrgebiet ein Knaller.“ – So volltönend zitiert die WAZ in ihrem Online-Auftritt Michael Scholz, den Sprecher der Event-Agentur „All in one“.

Worum geht es da wohl? Rock und Pop der Weltklasse? Spitzensport? Anderweitige Rekordversuche? Was soll so spektakulär sein, dass der PR-Mann es so lautstark anpreist wie ein Marktschreier?

Nüchtern gesagt: Es geht um öffentlich gegen Eintrittsgeld präsentierte Leichen. Aber natürlich nicht um ganz gewöhnliche, sondern um solche, die nach der patentierten Methode des Gunther von Hagens „plastiniert“, also derart konserviert wurden, so dass sie zu Schaustücken für „Körperwelten“-Ausstellungen taugen.

Vom 30. August 2013 bis zum 19. Januar 2014 wird der offenkundig außerordentlich populäre Wanderzirkus (insgesamt an etlichen Orten schon über 36 Millionen Besuche seit 1996) in Bochum gastieren. Die Stücke kommen direkt aus Wien, der Stadt also, der man ohnehin einen speziellen Hang zum Morbiden nachsagt.

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Was hat man Gunther von Hagens (68), der inzwischen an der Parkinson-Krankheit leidet und die Regie zeitig in andere Hände gelegt hat, nicht alles vorgeworfen – vor allem Störung der Totenruhe, Verletzung der Menschenwürde, Bedienung niederer Schaulust. Wollte man mich fragen, so würde ich nicht verhehlen, dass ich dieser Auffassung zuneige.

Gegen andere Vorwürfe hat sich von Hagens erfolgreich gerichtlich gewehrt, wir wollen sie daher nicht mehr aufgreifen. Wer will, lese es andernorts nach.

Man kann freilich schaudern, wenn man sich die Exponate vorstellt, die nun auch das Ruhrgebiet ereilen sollen. „Die Schau gibt Einblicke, die unter die Haut gehen“, gibt der idr-Nachrichtendienst des Regionalverbands Ruhr (RVR) formelhaft kund. Man kann das so und so verstehen.

Für manche mag es ein Kitzel sein, andere graust es vorm Gruselkabinett. „Die Zyklen des Lebens“ (Titel der Ausstellung) sollen den menschlichen Daseinskreislauf von der Zeugung bis zum hohen Alter und zum Tod darstellen. In unguter Erinnerung ist noch der Augsburger Streit um präparierte Leichen, die so arrangiert wurden, als hätten sie Geschlechtsverkehr. Dieses zuweilen fruchtbringende Tun an sich ist unter Lebendigen beileibe nicht obszön, im Gegenteil; aber es gibt Formen und Zusammenhänge, in denen es widerlich werden kann.

Umsonst ist der Tod? Nun, wie man’s nimmt. Der Eintritt in Bochum kostet für Erwachsene immerhin 18 Euro, für Kinder müssen auch schon 13 Euro berappt werden. Schauplatz ist übrigens eine angemietete Halle des Mercedes-Händlers Lueg an der Hermannshöhe. Nein, da möchte man lieber keine assoziativen Querverbindungen zwischen Ausstellung und Markenimage herstellen.

Infos: http://www.koerperwelten.com/de/bochum

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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5 Antworten zu Von der Zeugung bis zum Tod – umstrittene „Körperwelten“ bald in Bochum

  1. Michaela sagt:

    Ich glaube, dass man den menschlichen Körper ganz gut nachbilden kann und dafür keine echten Leichen nehmen muss.

  2. Bernd Berke sagt:

    Es kommt natürlich auch darauf an, auf welchem Reflexionsniveau man die Plastinate betrachtet. Du hast dies vor einem wissenschaftlichen und kulturgeschichtlichen Hintergrund getan. Ich halte aber dafür, dass ein großer Anteil des Publikums vorwiegend seine blanke Schaulust befriedigen will – und genau darauf scheint mir das Angebot auch abzuzielen.
    Du sagst: „Plastinate in obszönen Posen haben wir damals nicht gesehen – ich weiß nicht, ob das heute anders ist.“ Gib doch einfach mal die passenden Worte in eine Suchmaschine ein…

  3. Anke Demirsoy sagt:

    Da ich in meiner Familie von Medizinern umringt bin, sehe ich die Dinge etwas anders. Mit meinen Eltern und meiner Schwester war ich vor etwa 15 Jahren in einer Körperwelten-Ausstellung und fand daran nichts Ekelhaftes. Ich konnte im Gegenteil nachvollziehen, dass alle drei sehr fasziniert waren von der Qualität der Plastinate und sich begeistert haben an dem Wunderwerk des menschlichen Organismus.

    Plastinate in obszönen Posen haben wir damals nicht gesehen – ich weiß nicht, ob das heute anders ist. Ich hatte nie das Gefühl, Leichen zu begaffen, sondern vielmehr einen extrem genauen und durchaus staunenswerten Einblick in den menschlichen Organismus zu bekommen. Die ausgestellten Körper waren für mich wie Kunstobjekte, quasi wie aus Plastik gegossen – und wenn ich das Verfahren richtig verstanden habe, sind sie das ja tatsächlich.

    Ich kann auch rückblickend nichts Verwerfliches an unserem Ausstellungsbesuch entdecken. Fragwürdig finde ich aber die Werbung für die „Körperwelten“. Die Vermarktung zielt oft auf den Grusel-Effekt oder auf Sensationsmache (z.B. durch das Ansinnen, Plastinate auf einem Float der Love-Parade mitfahren zu lassen). Das ist in meinen Augen unwürdig und lässt sich nicht mit der Faszination für Medizin und Wissenschaft vereinen. Der Geschäftemacherei sollten Grenzen gesetzt sein.

  4. Bernd Berke sagt:

    Bizarr finde ich auch, dass offenbar nicht wenige Menschen bereit sind, ihre sterblichen Überreste für die „Körperwelten“ zu spenden.

  5. Michaela sagt:

    „Was hat man Gunther von Hagens (68), der inzwischen an der Parkinson-Krankheit leidet und die Regie zeitig in andere Hände gelegt hat, nicht alles vorgeworfen – vor allem Störung der Totenruhe, Verletzung der Menschenwürde, Bedienung niederer Schaulust. Wollte man mich fragen, so würde ich nicht verhehlen, dass ich dieser Auffassung zuneige.“
    Da neige ich uneingeschränkt mit. –
    Ich habe mich diesem in meinen Augen widerwärtigen Spektakel bislang verweigert und werde es auch fürderhin tun.

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