Ruhrtriennale konzertant: Musikalische Endlosschleife zum Untergang der Titanic

Anu Tali und die Bochumer Symphoniker ließen dieTitanic sinken. Foto: Michael Kneffel/Triennale

Anu Tali und die Bochumer Symphoniker ließen die Titanic sinken. Foto: Michael Kneffel/Triennale

Nach fortwährender Erkundung neuer Formen des Theatralischen, begibt sich das Experimentallabor namens Ruhrtriennale tatsächlich einmal in die „Niederungen“ des traditionellen Konzertbetriebs. Um aber gleich wieder eine Art Avantgarde zu präsentieren. Mit zwei Frühwerken des 1943 geborenen englischen Komponisten Gavin Bryars, die Luciano Berios „Requies“ umrahmen. Das Fazit des Abends ist schnell umschrieben – spektakulärer Titel, überwiegend langatmige Musik.

Denn wenn Bryars nichts weniger als den „Untergang der Titanic“ klanglich verarbeiten will, dürfte mancher in Duisburgs Gebläsehalle wohl ein großorchestrales Spektakel erwarten. Um sich damit die Katastrophenbilder im Kopf zurechtzimmern zu können. Und wenn die präzise musizierenden Bochumer Symphoniker unter Leitung der estnischen Dirigentin Anu Tali am Beginn ein differenziertes Schlagwerkinferno entfachen, dass es klingt, als schramme im Sturm der Dampfer am Eisberg entlang, scheint die Tragödie greifbar.

Doch Bryars steht nicht der Sinn nach Effekt. Das Heftige weicht einem sanften Streicherhymnus, ungemein harmonisch, als wär´s ein Stück von Haydn. Ständige Wiederholung inbegriffen, mit minimalen Abweichungen, getragen vom tiefen Register der Bläser, die Schwärze des Meeres illustrierend. Inmitten Einspielungen von Interviewfetzen zum Unglück. So will uns Brayrs hinabziehen, lullt uns aber bloß ein.

Seine Nähe zum Minimalisten Michael Nyman ist offenkundig. Dafür steht noch mehr „Jesus’ Blood Never Failed Me Yet“. Der simple Gesang eines Stadtstreichers, aus dem Nichts kommend, lauter werdend, schließlich ersterbend, ist die (vom Tonband zugespielte), laufend wiederholte Grundlage des Stücks. Die Endlosschleife wird harmonisch aufs Angenehmste unterfüttert, mehr und mehr Orchesterstimmen verstärken die Grundierung, bis auch hier alles verblasst. Bryars’ große Meditation will uns einfangen, ist aber bloß Klang gewordene Vorhersehbarkeit.

Da bedarf es schon eines Luciano Berio, der orchestrale Bewegung in Statik gekonnt einflechten kann und dabei ein Füllhorn von Klangfarben über uns ausschüttet. Diese Musik kreist nicht verloren um sich selbst, sie schwebt um ein imaginäres Zentrum. Ein kleiner Glücksfall.

(Der Text ist zuerst in der WAZ erschienen.)

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