Gnadenlos harter „Tatort“ aus Köln

Was war das für ein Krimi-Abend im ARD-Programm! Zunächst ein Fall aus Frankfurt mit Joachim Król, den wir hier ausblenden wollen – und dann die volle Härte aus Köln: der erste „Tatort“, der aus Jugendschutzgründen nicht um 20.15 Uhr gezeigt wurde, sondern erst um 22 Uhr. Was hatte es damit auf sich?

Die Kommissare Ballauf und Schenk waren ebenso machtlos wie das hochgerüstete Sondereinsatzkommando (SEK) und erst recht der Staatsanwalt (der jüngst verstorbene Schauspieler Christian Tasche). Niemand, wirklich niemand konnte den Häftling Daniel Kehl (tatsächlich beängstigend: Hinnerk Schönemann) hindern, die Kripo-Kollegin Franziska (Tessa Mittelstaedt) als Geisel zu nehmen und schließlich bestialisch zu ermorden.

Das Gefühl der Hilflosigkeit

Auch als Zuschauer fühlte man sich bei diesem Knast-Drama völlig hilflos. Weil man daran gewöhnt ist, dass „Tatort“-Geschichten meist wenigstens halbwegs glimpflich ausgehen, saß man atemlos und am Ende niedergeschlagen vor dem Bildschirm. Ein „Tatort“, der Alpträume nach sich ziehen könnte…

In der Gewalt des Geiselnehmers: Franziska (Tessa Mittelstaedt). (© WDR/Martin Valentin Menke)

In der Gewalt des Geiselnehmers: Franziska (Tessa Mittelstaedt). (© WDR/Martin Valentin Menke)

Besagter Häftling Kehl, ein verurteilter Vergewaltiger und Mörder, steht eigentlich kurz vor seiner Haftentlassung, die Kripofrau Franziska betreut ihn als ehrenamtliche Bewährungshelferin und plädiert nachdrücklich für seine Freilassung. Warum nur nimmt er sie – in dieser offenbar aussichtsreichen Situation – als Geisel und legt ihr eine teuflische Kabelbinder-Schlinge um den Hals? Ist es wirklich seine Angst, für den Mord an einem Mithäftling verantwortlich gemacht zu werden?

Schreckliches Psycho-Duell

Während das SEK alle (un)möglichen Zugriffs-Möglichkeiten erkundet, sollen Ballauf und Schenk im geradezu wahnwitzigen Eiltempo den Mord aufklären. Zwischen Geiselnehmer und Geisel entwickelt sich unterdessen ein ungemein intensives, klaustrophobisches Psycho-Duell mit allen Facetten zwischen Selbsterhaltungstrieb und Selbstaufgabe, fatal vermischt mit heftigem Mutter- und Frauenhass, sexueller Demütigung und letztem Winseln um Verständnis. Welch ein schrecklich düsteres „Kammerspiel“.

Ob es wirklich nötig war, die „Tatort“ –Zuschauer einer solchen Nervenzerreißprobe („nicht geeignet für Zuschauer unter 16 Jahren“) auszusetzen, das steht auf einem anderen Blatt. Schon beinahe penetrant waren die anfänglichen Einblendungen, die auf einen Live-Chat zur Sendung hinwiesen. Man wollte die Zuschauer denn doch nicht allein lassen, sie sollten im Netz miteinander reden. Reden erleichtert. Nun gut.

Bitte zurück an die Bude!

Von wenigen kleinen Ausrutschern abgesehen: Dialoge, Regie und Schauspieler standen jedoch größtenteils dafür ein, dass hier keine bloße Sensationslust oder ein dümmliches Steigerungsprinzip („härtester ‚Tatort’ aller Zeiten“) bedient wurden. Respekt!

Trotzdem eine innige Bitte: Beim nächsten Mal möchten wir Ballauf und Schenk zum Schluss wieder an der berühmten Rheinufer-Bude sehen. Vielleicht mit einem Bier in der Hand. Und einigermaßen versöhnt mit dem Zustand der Welt. Ginge das?

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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2 Antworten zu Gnadenlos harter „Tatort“ aus Köln

  1. Bernd Berke sagt:

    Die Schlussequenz, in der Ballauf/Schenk den Schreibtisch der ermordeten Kollegin ausräumten, hätte man komplett streichen sollen.

  2. Michaela sagt:

    Kann es denn überhaupt einen weiteren Ballauf/Schenk-Tatort geben? Ich finde: nein.

    Übrigens waren die beiden Kommissare außerordentlich farblos.

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