Ungeheuerlich und ganz natürlich – „Der Prozess“ nach Franz Kafka in Dortmund

Wie inszeniert man Franz Kafkas Roman „Der Prozess“ für die Bühne? Ganz offensichtlich reizt der Stoff die Theaterleute, in den vergangenen Jahren hat es in der Region etliche Versuche gegeben, abgründige, kryptische, pompöse: 2010 in Wuppertal, 2012 in Düsseldorf, 2013 in Essen, und die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollzähligkeit. Keine dieser Inszenierungen aber geriet so minimalistisch wie die von Thorsten Bihegue und Carlos Manuel auf der Studiobühne des Dortmunder Schauspielhauses.

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Der Angeklagte und seine Wärter: Josef K. (Björn Gabriel, Mitte), Willem (Andreas Beck, Links) und Franz (Uwe Rohbeck, rechts) (Foto: Birgit Hupfeld/Schauspiel Dortmund)

„Nach dem gleichnamigen Roman von Franz Kafka“ (Untertitel) agieren dort, unmittelbar vor den Füßen der Zuschauer in der ersten Reihe, drei Männer und eine Frau in wechselnden Rollen. Nur der vierte Mann bleibt immer Josef K., gegeben wird er von Björn Gabriel. Und die Frage, die schnell sich über den Köpfen des geneigten Publikums nebelgleich erhebt, ist natürlich: Geht das? Funktioniert dieser geheimnisvolle, psychologisch aufgeladene, beengende und bedrückende Stoff noch, wenn man ihn ähnlich inszeniert wie ein naturalistisches, schmutziges, kleines englisches Theaterstück à la Dennis Kellys „Waisen“ ,das ebenfalls auf dem Spielplan des Dortmunder Schauspiels steht?

Sagen wir es mal so: Das, was hier von der Vorlage an „Kafkaeskem“ übrigbleibt, ist sicherlich nur ein kleiner Teil. Doch in der Einrichtung des verantwortlich zeichnenden Regie-Duos entsteht gleichwohl ein passables, schlüssig ablaufendes Bühnenstück, das in seinem linearen Aufbau stellenweise den Charakter einer Nummernrevue hat. Es erzählt, stark gerafft und vereinfacht ausgedrückt, wie die völlig absurde alptraumhafte Situation des Verhaftetseins aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet schnell eine Qualität des Normalen entwickelt. Für die Wärter ist der Umgang mit Verhafteten etwas Normales, Repression und Großherzigkeit im Kontakt mit Josef K. sind ihre üblichen Umgangsformen; Fräulein Bürstner aus dem Büro weiß – wie vermutlich das gesamte Büro – schon von der Verhaftung des Prokuristen K., der ja weiterhin arbeiten gehen darf, der Onkel will helfen, der Maler vermitteln, der Advokat schließlich, seinerseits mit großer Machtfülle ausgestattet, dem Angeklagten sein Ohr leihen. Und bald schon scheint es hauptsächlich darum zu gehen, wie man aus der Sache herauskommt, ohne daß die Sache, eine Straftat demnach, je erkennbar geworden wäre. Es gibt, erfährt das Publikum, wirklich Freisprüche, scheinbare Freisprechungen und die Verschleppung des Prozesses. Sollte man sich also auf einen „Deal“ einlassen?

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Frau Bürstner (Merle Wasmuth) und Josef K. (Björn Gabriel) (Foto: Birgit Hupfeld/Schauspiel Dortmund)

Für die jugendlich-karge Dortmunder Inszenierung nimmt ein, daß sie scheinbar anstrengungslos immer wieder Bezüge zum realen Justizgeschehen unserer Tage schafft, zur vielfach üblich gewordenen Trennung von Tat und Urteil beispielsweise, die eher der Bequemlichkeit und der allseitigen Zufriedenstellung huldigt als dem Streben nach Gerechtigkeit und Sühne. Sehr viel mehr allerdings sollte man nicht erwarten. Wenn Merle Wasmuth uns in verschiedenen Frauenrollen auf die eine oder andere Art sexuelle Verführung und Obsession vorspielt, dann ist das möglicherweise zwar der Versuch, einen Hinweis auf (unterdrückte) sexuelle Anteile in der Verursachung der einen oder anderen Irritation des Josef K. zu geben, mehr aber nicht. Auch hält sich diese Inszenierung nicht damit auf, den Romantitel in seiner zweifachen Bedeutung auszuschmecken, nach der „Prozess“ ja nicht zwingend einen solchen vor Gericht bedeutet, sondern auch als Synonym für eine undurchschaubare innere Entwicklung stehen kann. Sonderbare Entwicklungen sind, man denke nur an den armen Käfermann Samsa, ja geradezu ein Markenzeichen für Franz Kafkas Werk. Aber das wäre dann Psychologie, vielleicht gar Psychoanalyse, wie sie in etwa zeitgleich zur Entstehung des Romans von Siegmund Freud in Wien formuliert wurde. So etwas bleibt hier außen vor.

Den Schauspielern ist es zu danken, daß dieser Theaterabend anregend und streckenweise durchaus auch unterhaltsam gerät. Der massige Andreas Beck und der zierliche Uwe Rohbeck geben schon rein äußerlich ein komisches Aufseherpaar ab, Sebastian Graf weiß den obrigkeitlichen Anteil seiner verschiedenen Rollen überzeugend auszuspielen. Björn Gabriel in der Titelrolle schließlich kommt dem literarischen Vorbild eines Dreißigjährigen sehr nahe. Mit seinem leichtem Unterspielen akzentuiert er geradezu die ungeheuerliche Situation, in der er sich plötzlich befindet.

Dem Personal auf der Bühne galt am Premierenabend der größte Applaus.

Die nächsten Termine 23. Februar und 8. März sind ausverkauft. Weitere Termine werden noch bekanntgegeben. Theaterkasse: 0231 / 50 27 222

www.theaterdo.de

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