Die ARD-„Tagesschau“ im neuen Design: Sündhaft teures Breitformat

Das war sie also: die allererste ARD-„Tagesschau“ aus dem neuen Hamburger Studio, das rund 23,8 Millionen Euro Gebührengeld gekostet hat. Und wie war’s jetzt? Hat sich der Aufwand gelohnt?

Nun, die journalistische Qualität ist mit dem neuen Design erwartungsgemäß nicht explodiert. Wie denn auch? Wir sehen jetzt aber Teile der Nachrichten gleichsam im Breitformat, in Cinemascope, um einen altmodischen Kinobegriff zu verwenden.

18 Meter lange Bildwand

Zu diesem Zweck gibt’s nun eine fast 18 Meter breite (!) Bildwand an der Rückseite des Studios, die so manches sinnvolle oder auch unsinnige Panorama ermöglichen soll. Mir kommt es so vor, als protze da jemand mit seinem neuen, extrabreiten Flachbildschirm. In der Debütsendung, die von Chefsprecher Jan Hofer präsentiert wurde, kam diese Errungenschaft jedenfalls nur im pompösen Vorspann zum Einsatz.

"Tagesschau"-Chefsprecher Jan Hofer bei einer Stellprobe im neuen Studio. (© NDR/Thorsten Jander)

„Tagesschau“-Chefsprecher Jan Hofer bei einer Stellprobe im neuen Studio. (© NDR/Thorsten Jander)

Die eingeblendeten Fotos ziehen sich jetzt also über die ganze Bildschirmbreite und erhalten deutlichere Schlagzeilen. Auch wird das „Tagesschau“-Logo mehr betont als vorher. Man will schließlich ein unverwechselbares Markenzeichen bleiben.

Ein Fall von Gebührenverschwendung

Man möchte lieber nicht wissen, was die Designer für ihre immer wieder modifizierten Entwürfe und Realisierungen kassiert haben. Oder will man’s vielleicht doch wissen? Jedenfalls ist das neue Studiomobiliar in seiner keimfrei futuristischen Art recht monströs geraten. Ob’s hässlich ist, bleibt dem persönlichen Geschmack überlassen.

Man möchte erst recht nicht wissen, was die ARD für die Stimme ausgegeben hat, deren Trägerin Claudia Urbschat-Mingues heißt und die nun allabendlich sagt: „Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der ‚Tagesschau’“. Es handelt sich nämlich um die deutsche Synchronstimme des Filmstars Angelina Jolie, mit der die TV-Gewaltigen einen „Exklusivvertrag“ abgeschlossen haben. Für einen einzigen Satz…

Man möchte es nicht wissen, weil man dann eventuell ziemlich zornig werden könnte über eine solche Gebührenverschwendung. Dabei klagen sie bei den öffentlich-rechtlichen Sendern doch allenthalben über Sparzwänge. Für das Flaggschiff „Tagesschau“ und die „Tagesthemen“, die ab sofort ebenfalls aus dem neuen Studio kommen, haben diese Zwänge wohl nicht gegolten.

In den „Tagesthemen“ um 23:15 Uhr wurde die Dominanz der Bilder noch viel deutlicher. Wie verloren Thomas Roth als Ganzkörper-Moderator vor dem riesenhaft aufgeplusterten Berliner Stadtschloss stand… Noch mehr als bisher achtet man auf jede Bügelfalte in der Kleidung des Anchorman und seiner Helfer. Und ausgerechnet in dieser Ausgabe machte man sich über Verschwendung in der Hauptstadt lustig.

Emotionen, Emotionen…

Man wolle „Emotionen“ betonen, hat es im Vorfeld geheißen. Das (große) Bild soll demnach noch mehr Gewicht erhalten und den Zuschauer auch schon mal überwältigen. Man ahnt schon, welche Zwänge dabei entstehen, unter welchen Druck sich die „Tagesschau“-Macher setzen werden. Schon bisher (das haben Studien belegt) hatte man nach einer „Tagesschau“-Ausgabe mehr Bilder als Nachrichten-Inhalte im Kopf. Dieser ungute Effekt wird sich noch steigern.

Ein altes Ritual

Ob man so das angestrebte jüngere Publikum erreicht? Man darf es füglich bezweifeln. Zuschauer-Umfragen hatten übrigens ergeben, dass die Mehrheit sich gar keine großartigen Veränderungen an der „Tagesschau“ wünscht. Diese altgediente Institution ist – vor allem für ältere Menschen – vor allem ein Ritual. Und an Ritualen zurrt man nicht ständig herum. Wir wissen es, seit der legendäre Sprecher Karl-Heinz Köpcke es eines Tages wagte, vor der Kamera einen Bart zu tragen. Damals erregte sich die Nation. Doch solche Emotionen weckt die „Tagesschau“ schon längst nicht mehr; ganz egal, in welchem Studio.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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