Festspiel-Passagen VIII: Die Phrasen des Bösen – „Die letzten Tage der Menschheit“ in Salzburg

Dörte Lyssewksi in Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit" in Salzburg. Foto: Georg Soulek

Dörte Lyssewksi in Karl Kraus‘ „Die letzten Tage der Menschheit“ in Salzburg. Foto: Georg Soulek

Servus, Erster Weltkrieg. Bist‘ auch angekommen in der Jetztzeit des Theaters. Zeigst dein Fratzerl von den Brettern herunter. Und wir sitzen im blassen Glanz des k.u.k. Neubarock im Salzburger Landestheater, ein Festspielpublikum, das dich, du Krieg, erlebt wie damals die feinen Herrschaften auf der Wiener Ringstrass’n.

Nicht in Dreck und Blut, zerfetzten Leibern und wahnsinnig gewordenen Augen. Sondern im prickelnden Schauder der Bilder des Grauens, der Feuilletons von Schlacht und Tod. In Schicksalen, zurechtgemacht für das Format der Nachrichten, hingeschnitten auf die Reportage-Schnipsel raschbildriger Magazine, passend für’s Twitter-Format.

Vor 100 Jahren gab’s das auch. Nicht Facebook-Einträge und bunt sprühende Raketeneinschlagsvideos. Die medialen Mittel waren anders, aber nicht weniger verschleiernd. Nur gibt’s heute keinen Sprach-Wüterich wie Karl Kraus, der ingrimmig und inbrünstig die verlogene Wahrheit des „Unmittelbaren“ aufkratzt. Der aus all den mephistophelischen Phrasen montiert, was Sprache als Wahrheit entlarven kann. Der die tarnvernetzten Sprachregelungen zerfetzt und darunter die nackte, schmutzige Lüge hervorzerrt. Das mag auch der Zeit geschuldet sein: Sprache hat gegen die wahnwitzige Macht der Bilder keine Chance mehr.

Georg Schmiedleitner, den Regisseur der „Letzten Tage der Menschheit“ bei den Salzburger Festspielen, interessiert das Mediale. Und die Funktion der Sprache. Schmiedleitner hat eine schier unlösbare Aufgabe übernommen, als er kurzfristig für den geschassten Burgtheaterchef Matthias Hartmann eingesprungen ist. Kraus‘ monströses Drama, das gar kein Bühnenstück sein will, sperrt sich gegen die „Inszenierung“.

Schon der Autor sträubte sich, erteilte so gewieften Theatermännern wie Max Reinhardt eine Absage. Einem „Marstheater“ habe er es zugedacht, schreibt Kraus im Vorwort; Theatergänger dieser Welt vermöchten ihm nicht standzuhalten. Dass er später selbst eine Bühnenfassung erstellt hat, steht auf einem anderen Blatt.

Szene aus "Die letzten Tage der Menschheit" in der Regie von Georg Schmiedleitner. Im Vordergrund der großartige Darsteller Christoph Krutzler. Foto: Georg Soulek

Szene aus „Die letzten Tage der Menschheit“ in der Regie von Georg Schmiedleitner. Im Vordergrund der großartige Darsteller Christoph Krutzler. Foto: Georg Soulek

Schmiedleitner wählt gut 50 der 220 Szenen aus, die jede für sich stehen, und versucht sie mit den Auftritten des „Nörglers“ – einer Figur, die Karl Kraus selbst spiegelt – und des „Optimisten“ zu gliedern: Ritornell und Variation. Struktur gewinnt der über vierstündige Abend damit nicht, weil ihm dazu innere Dynamik fehlt.

Im zweiten Teil steigert sich zwar der Einsatz der Technik auf der kahlen Bühne Volker Hintermeiers (bis 2005 am Bochumer Schauspielhaus), aber Gegenlicht-Scheinwerfer, Stahlgerüste, Nebelmaschine und Showtreppe intensivieren das, was sich ereignet, nicht. Das ist Peter Eschberg 1995 in Frankfurt besser gelungen, der die Offizierstreffen an der Sirk-Ecke (zu Beginn der Akte) als „Ankerpunkte“ der Handlung und als Wegmarken in den Abgrund nutzte.

So bleiben vor allem die Szenen in Erinnerung, in denen die dreizehn Schauspieler ihr Können zeigen: Elisabeth Orth etwa, die als vertrockneter Lehrkörper, mit dem Rohrstock die „Disziplin“ einfuchtelnd, vor der nicht mehr vorhandenen Klasse einen grotesken Dialog über Gerüchte und Fremdenverkehr zum halbirren Monolog deformiert. Oder Stefanie Dvorak, die als Oberstleutnant Demmer von Drahtverhau das schrille Gekreisch früherer Szenen hinter sich lässt und in einem Lazarett voll Sterbender die „Direktive, Ehrenbezeigungen betreffend“ verliest wie eine Kabarettnummer. Oder Peter Matić, der als Kaiser Franz Joseph noch als Untoter in einem Couplet mit dünner Greisenstimme sein Geschick beklagt wie das gespenstische Zerrbild einer Nestroy-Figur. Oder auch der junge Laurence Rupp, der zwar, wie heute üblich, nachlässig artikuliert, aber wenigstens entspannt sprechen kann.

Dazwischen: Vier Stunden erhellendes Phrasendreschen. Montage von Sätzen, die so abgründig banal sind, dass man sie für schlechte Erfindung halten könnte, hätte nicht Kraus eine furchtbar reale Sprache montiert: „Die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, sind wirklich geschehen. … Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate. Sätze, deren Wahnwitz unverlierbar dem Ohr eingeschrieben ist, wachsen zur Lebensmusik“, schreibt er im Vorwort.

Missratene Karikaturen, der Wirklichkeit abgelauscht

Typen treten uns entgegen, die man für missratene Karikaturen halten könnte, wären sie nicht so zwingend der Wirklichkeit abgelauscht: Der zynisch-kriecherische Hofrat Nepalleck, der die telefonischen Bücklinge en gros abliefert; der Dichter Ludwig Ganghofer, der Kaiser Wilhelm mit seinem Feuilleton umschleimt. Vor allem der Viktualienhändler Vinzenz Chramosta, der als dämonischer Wiener Prolet zu geifernder Monstrosität anschwillt: der großartige Darsteller Christoph Krutzler erinnert mit diesen Gestalten an die Darsteller-Legenden des abgründigen Volkstheaters. Oder das Trio der Journalisten, die sich aus dem Wortmaterial der Schauspielerin Elfriede Ritter (in dieser Szene überzeugend, in anderen zu überdreht: Alexandra Henkel) ihre Wahrheit basteln: Thomas Reisinger und Laurence Rupp sind zusammen mit Krutzler ein infernalisches Trio, zuständig für die Vivisektion der Sprache. Bestürzender könnte man auch heute einen Journalismus, der Lesernähe behauptend das filtert, was „die Leut‘“ lesen wollen, nicht beschreiben.

Nahe am Leser: Kriegsberichterstatteri Alice Schalek (Dörte Lyssewski) verwandelt die Traumata der Front (Soldat: Sven Dolinski) in Infotainment für Wiener Ringstraßen-Großbürger. Foto: Georg Soulek

Nahe am Leser: Kriegsberichterstatteri Alice Schalek (Dörte Lyssewski) verwandelt die Traumata der Front (Soldat: Sven Dolinski) in Infotainment für Wiener Ringstraßen-Großbürger. Foto: Georg Soulek

Krieg als mediales Ereignis, Berichterstattung als personality show, Reportage als performance und urban journalism. Alles schon mal dagewesen: Schmiedleitner rückt nicht umsonst die Figur der Kriegsberichterstatterin Alice Schalek in den Vordergrund. Für Karl Kraus war die „Kriegsverherrlichung“ dieser einzigen Frau im k.u.k. Kriegspressequartier im Ersten Weltkrieg ein rotes Tuch; für Schmiedleitner ist sie eine Studie über die ungeheuerliche Funktion der Sprache im Vernebelungsprozess von Wirklichkeit.

Dörte Lyssewski windet sich in die Szene wie ein Model auf dem Laufsteg: eine Schlange in feldgrauem Rock. Sie konkurriert mit riesigem, haarigen Kopfbesatz mit den Rosshaarpracht des kaiserlich-wilhelminischen Helms (die Kostümbildnerin Tina Kloempken aus Mülheim kennen viele noch von ihren Bochumer Arbeiten). Lyssewksi setzt die Sprache mal bajonettspitz, mal sammetweich an. Sie schwärmt vom „Stahlbad“ und sät mit der floskelhaften Frage der stets quietschvergnügten Interview-Blondinen aus dem Privatfernsehen den Verdacht aus, der Journalismus habe in hundert Jahren nichts gelernt: „Wie fühlen sie sich?“ Und wenn der idealisierte „gemeine Mann“ nicht die passende Antwort gibt, schreitet die Schalek weiter die Isonzo-Front ab, bis „in der Stellung“ eine Flasche Extra-Champagner und Speisen in „dampfenden Schüsseln“ auf Damast serviert werden.

Optimist und Nörgler: Georg Bloéb (links) und Dietmar König. Foto: Georg Soulek

Optimist und Nörgler: Georg Bloéb (links) und Dietmar König. Foto: Georg Soulek

Vom schaurigschönen Bericht von den Helden an der Front für den Wiener Salon zu den schönschaurigen Sensationsbildern des Infotainments ist der Schritt nicht groß. Die zwerchfellkitzelnden Donnerschläge, die Schmiedleitner in die Szenen einschlagen lässt, sind akustische Deutesignale ganz in diesem Sinne: Keinen unangebrachten theatralischen Realismus hat er da im Sinn. Das Dröhnen kommt eher aus „Star Wars“ oder aus den Ego-Shooter-Derivat-Filmen Hollywoods. Krieg als großes Kino. Die krachend aufmarschierende Postmusik Salzburg unter Franz Milacher stellt als Kontrast die Brücke dar zum verlogenen Operetten-„Zauber der Montur“ der guten alten Zeit.

Diese Zuspitzung des Kraus’schen Universaldramas bezahlt Schmiedleitner mit nicht unerheblichem Tribut: Eine Reihe von Szenen driften ab in die Sphäre kabaretthafter Eindeutigkeit, andere – wie die Familie Wahnschaffe – büßen in schriller Übertreibung ihre bösartige Selbstverständlichkeit ein. Der dürre, kahlköpfige Nörgler Dietmar König spuckt dem jovialen Optimisten Gregor Bloéb seine galligen Einwände in so viel Bedeutung eingepresst entgegen, dass gerade diese Dreh- und Angelpunkte der Dramaturgie ihr Gewicht verlieren.

In einer Welt, in der Jesus Christus auf Feldpredigerfomat verkleinert ist und das Universum vielleicht noch als Wirtschaftsraum durchgeht, gehört das letzte Wort nicht Gott. Der Optimist nimmt es sich, und es geht noch einmal unter die Haut: Er schlüpft in die Uniform des Hauptmanns Prasch, vielleicht die verstörendste der entmenschlichten Figuren des Dramas. Mit dem lakonischen Grinsen von jemandem, den das alles nichts angeht, lässt er Mord, Marter und Vergewaltigung Revue passieren: „Man darf den Mut nicht sinken lassen. Kopf hoch!“

Wiederaufnahme am Wiener Burgtheater am 5. September. Eine weitere Inszenierung der „letzten Tage in Menschheit“ kündigt das Pfalztheater in Kaiserslautern an (Premiere 31.01.2015).

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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