Nichts als Text im Tanzzentrum – „El triunfo de la libertad“ bei der Ruhrtriennale

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Was zu lesen: „El triunfo de la libertad“ von La Ribot im Essener Tanzzentrum „pact“. Foto: Ruhrtriennale

Das Publikum wartet auf die Tänzer – doch die Tänzer kommen nicht. Stattdessen sind auf elektronischen Schriftbändern Sätze in Deutsch und Englisch zu lesen, die eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die das Intro zu einem Tanz sein könnte.

„El triunfo de la libertad“ heißt dieser eigenwillige Abend im Essener Tanzzentrum „pact“, für den die Choreographin La Ribot verantwortlich zeichnet. Anscheinend ist mit dem Titel die „Libertad“ (Freiheit) der Künstlerin gemeint, zu machen, wozu sie eben Lust hat.

Da die Kunst (fast) alles darf, ist La Ribote ihre fünfzigminütige Laufschriftvorführung bei schleichend sich wandelnder Bühnenhelligkeit nicht einmal vorzuwerfen. Eher schon dem Veranstalter Ruhrtriennale, der „El triunfo de la libertad“ unter „Theater/Performance“ ins Programmheft geschrieben hat und das unwissende Publikum in seiner Vorankündigung über das zu erwartende Geschehen völlig im Unklaren läßt. Wir lesen etwas von „Deutschlandpremiere“, „zeitgenössischem Tanz“ und einer „Frage nach den ,Extras’ der Komparsen…“, lesen die Namen Juan Dominguez und Juan Loriente, die das Konzept miterarbeiteten und die man, da man sie nicht näher kennt, als Tänzer auf der Bühne erwartete. Aber von Laufschrift lesen wir nichts. Und deshalb darf man das ganze getrost als Betrug am Publikum bezeichnen, als Flunkerei und Machtmißbrauch einer Intendanz, die der künstlerischen Überzeugungskraft der von ihr eingekauften Produktionen selbst nicht traut. Der Volksmund kennt für diesen Sachverhalt weitaus deftigere Formulierungen, die zu verwenden der Anstand verwehrt.

Zugegeben: Hätte man vorher gewußt, daß es sich hier lediglich um eine Textvorführung handelt, wäre man vermutlich nicht hingegangen. Wäre das ganze allerdings als „Installation“ (fraglos der treffendste Gattungsbegriff) aufgebaut worden, hätte man den Text sicherlich nicht von vorne bis hinten gelesen. Im Theatersaal kommt man jedoch nicht daran vorbei, ihn in Gänze wahrzunehmen. Und deshalb kennt man jetzt die Geschichte von Pablo und Egueda aus dem Dorf Alcorcón nahe Madrid, das seine Flitterwochen in der Karibik verbringt. Hier sieht es die Show von „Nelson, dem Skandinavier“ (25), der es schafft, Wallnüsse mit seinem Penis zu zertrümmern. Wow!

50 Jahre später – Goldene Hochzeit – reisen Pablo und Egueda wieder in die Karibik. Das selbe Hotel, die selbe Bühnenshow. Nur zertrümmert Nelson (75) jetzt Kokosnüsse, und sie fragen ihn, warum. „Die Augen werden schlechter“, sagt Nelson. Brüllwitz.

Zusätzlich zu dieser Geschichte, die detailreich und ausladend erzählt wird, gibt es im Wechsel einige kulturell höherstehende Passagen wie den Tagebucheintrag Ludwig des Vierzehnten, der am Tag der Erstürmung der Bastille „keine Ereignisse“ notierte. Oder die Sätze eines Pariser „Anonymus“ aus dem Jahr 1777, der alles Elend der Welt gesehen zu haben meint und dies wortreich ausbreitet. Weiterhin fallen Zitate von Fernando Pessoa und einem Rapper aus dem Gazastreifen, werden mit fiktiven Temperaturangaben aus der Zukunft (immer 17 Grad, was kein Zufall sein kann) und einigen durchnumerierten halluzinatorischen Gedanken angereichert, und ob das ganze inhaltliche Kohärenz und Struktur hat (was letztlich wahrscheinlicher ist) oder die Elemente in radikaler Gleichrangigkeit darbietet, mag das Publikum selbst entscheiden.

Die Künstlerin jedenfalls nimmt sich die Freiheit der (zumindest relativ) freien Assoziation; und wenn sie ihre Ideen nicht tanzen läßt, sondern sie zur Laufschrift macht, ist das doch wenigstens ein Konzept. Wenngleich ein vergleichsweise freudloses.

Wie zu erwarten: kaum Applaus. Es kam auch niemand auf die Bühne, um ihn sich abzuholen. Keine weiteren Vorstellungen.

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3 Antworten zu Nichts als Text im Tanzzentrum – „El triunfo de la libertad“ bei der Ruhrtriennale

  1. Angela Hinzen sagt:

    Das war einfach eine unverschämte Verar… des Publikums. Nach 15 Minuten habe ich auf das „Hurz“ von Hape Kerkeling gewartet. Auch wir sind 120 Kilometer weit nach Essen gefahren, um diesen Text zu lesen.
    Ich möchte gerne wissen, wieviel die „Künstler“ dafür bekommen…und wer so einen Schwachsinn einkauft!
    Schade für alle – jungen – Leute, die von so etwas abgeschreckt werden.
    Meine Tochter hat uns die Karten von ihrem Bafög geschenkt.

  2. Goetz Dyckerhoff sagt:

    Es war der Triumph der Freiheit der Schöpfer dieses Werks über die Zeit der Zuschauer. 150 km Anreise, um eine „rosa“ Novelle vom Band abzulesen. Was denken sich die Autoren dabei?

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