Hund, Katze, Pferd und viele Rätsel: „Neither“ bei der Ruhrtriennale

© Ruhrtriennale, Foto: Stephan Glagla, 2014

© Ruhrtriennale, Foto: Stephan Glagla, 2014

Unentschlossenheit zum künstlerischen Prinzip erhoben: Eigentlich müsste „Neither“ von Morton Feldman (Musik) und Samuel Beckett (Libretto) meine Oper sein, denn ich kann mich auch sehr schlecht entscheiden.

Doch die neueste Produktion der Ruhrtriennale lässt mich ein wenig ratlos zurück. Verstörend schöne und kraftvolle Bilder, ätherische und zugleich schmerzliche Musik, gespielt von den Duisburger Philharmonikern unter der Leitung von Emilio Pomàrico, schaffen eine unheimliche Traumwelt im Nebel.

Andererseits geht es um hochphilosophische Fragen wie die Grenzen menschlicher Erkenntnis, was gleich zu Beginn am Experiment von Schrödingers Katze veranschaulicht werden soll: Die Tatsache, dass in der Quantenphysik der Beobachter die Untersuchungsergebnisse beeinflusst, lässt sich an Erwin Schrödingers Gedankenexperiment von 1935 zeigen, das versucht, dieses Prinzip auf die Alltagswelt zu übertragen. Demnach ist eine in eine Box gesperrte Katze zugleich bzw. weder tot und lebendig, bevor man nicht hineinschaut.

Der Regisseur Romeo Castellucci hat folglich eine tote Katze (Stofftier) plus eine lebendige auf die Bühne gebracht um die sich eine Gruppe Physiker sowie eine singende Mutter (Laura Aikin) mit Kind scharen. Außerdem noch ein Pferd und einen Hund. Der hat von allen Tieren die beste Laune, was man daran sieht, dass er freundlich mit dem Schwanz wedelt. Das Pferd scheint ein wenig nervös zu sein; es wird denn auch von einer überdimensionalen schnaubenden Dampflok abgelöst, die der Mutter das Bein abfährt, das dann beginnt, ein blutiges Eigenleben zu führen. Zwischendrin wird das Kind mit einem großen schwarzen Gangsterauto entführt, dass aus einem amerikanischen „film noir“ der 40er Jahre zu stammen scheint. Das Kind verwandelt sich danach in einen Roboter oder Alien, was aber folgenlos bleibt. Außerdem wird noch jemand von mehreren Ärzten operiert, möglicherweise der Versuch, der Mutter das Bein wieder anzunähen?

© Ruhrtriennale, Foto: Stephan Glagla, 2014

© Ruhrtriennale, Foto: Stephan Glagla, 2014

Eine Stunde 15 Minuten dauert der Spuk, danach muss man dringend das Programmheft zu Rate ziehen. Becketts Gedicht ist hier abgedruckt und auch die Information, dass er eigentlich keine Opern mochte und Feldman das Warten aufs Libretto schon einmal vertont hat, um die Zeit zu überbrücken. Eine schlüssige Story war nie das Ziel – wie könnte das auch sein im 20. Jahrhundert, wo der Glaube an die Wissenschaft zwar groß, aber ihre Gewissheiten nicht mehr verlässlich waren. Ganz zu schweigen von der Verantwortung, die die Menschen für ihre modernen Errungenschaften übernehmen mussten und die sie überfordert hat.

So wuchs ihre Anfälligkeit für den Missbrauch der Macht über die Natur, wie er sich in der Barbarei der zwei Weltkriege offenbart hat. Nicht nur deswegen spielt „Neither“ größtenteils im Halbdunkel: Eine Inszenierung für Menschen, die mit Rätseln leben können. Die an sich zweifeln und sich in Frage stellen, die scheitern, doch nun „besser scheitern“ wollen. Die anderen sollten unbedingt vorher zur Einführung gehen.

www.ruhrtriennale.de

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