Weltenlauf und Transzendenz – ein Konzert der Triennale in memoriam Gerard Mortier

Voller Einsatz: Bariton Dietrich Henschel, das hr Sinfonieorchester und Dirigent Sylvain Cambreling. Foto: Michael Kneffel

Voller Einsatz: Bariton Dietrich Henschel, das hr- Sinfonieorchester und Dirigent Sylvain Cambreling. Foto: Michael Kneffel

Gerard Mortier ist im März dieses Jahres gestorben. Er war der Gründungsintendant der Ruhrtriennale und hat dort in den Jahren 2002 bis 2004 die „Kreationen“ als neue theatralische, spartenübergreifende Ausdrucksform gewissermaßen erfunden. Manches von dem, was unter der Leitung Heiner Goebbels’ heuer zu sehen ist, darf getrost als Weiterentwicklung dieser Anfänge gewertet werden.

Darüberhinaus war Mortier auch ein Verfechter dessen, was gemeinhin als Neue Musik bezeichnet wird. Für sein erstes Jahr hatte der Intendant entsprechend das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg verpflichtet, unter Leitung von Sylvain Cambreling – allesamt höchst versiert in der Interpretation von Werken des 20. Jahrhundert. Auf dem Programm stand damals Olivier Messiaens monumentales, 11teiliges Stück Éclairs sur l’Au-delà (Streiflichter über das Jenseits).

Nun hat das hr-Sinfonieorchester, ebenfalls unter Cambrelings Leitung, ein Konzert in Bochums Jahrhunderthalle gegeben, das die Triennale ihrem Gründungsintendanten Mortier gewidmet hat. Auch hier erklingt Messiaen, diesmal das fünfteilige „Et exspecto resurrectionem mortuorum“ (Und ich erwarte die Auferstehung der Toten) für Holz-, Blechbläser und metallisches Schlagwerk. Insofern schließt sich hier ein Kreis. Doch neben Messiaen haben die Interpreten jeweils ein Werk von Luc Ferrari sowie Bernd Alois Zimmermann gesetzt.

Die Auswahl ist kein Zufall, erschließt sich vielmehr aus einem Wort Mortiers, das dem Programm vorangestellt ist. Auferstehung, so heißt es, bedeute für ihn sein Fortwirken in dem, was er realisiert habe. „Paradiese interessieren mich nicht.“ Dazu erweist sich das Werk des gläubigen katholischen Komponisten Messiaen als spannender Kontrapunkt. „Et Exspecto…“ ist eine machtvolle Musik nach dem Prinzip „Durch Nacht zum Licht“, deren gewaltige Klangspreizungen letzthin in erhabenem Leuchten allem Irdischen entfliehen.

Der französische Komponist Luc Ferrari. Foto: Olivier Garros

Der französische Komponist Luc Ferrari. Foto: Olivier Garros

Im Kontrast dazu befasst sich Luc Ferraris ebenfalls gewaltiges, in seinen Strukturen aber weit diffuseres Orchesterstück „Histoire du plaisir et de la désolation“ mit Leidenschaften und der Trostlosigkeit, verwurzelt allein im Weltlichen. Messiaens Transzendenz ist davon ziemlich weit entfernt.

Schließlich Bernd Alois Zimmermanns „Ich wandte mich um und sah alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“. Hier regiert, in Anlehnung an das Wort Salomons, die blanke Verzweiflung über die schlechte Welt, imposant herausgerufen von den beiden Sprechern André Jung und Thomas Thieme, noch weit verstörender melismatisch gesungen vom fabelhaften Bariton Dietrich Henschel. Zimmermann hat hier ebenfalls für großes Orchester komponiert, doch ist die Werkfaktur weitgehend transparent, in seinen kommentierenden Klangblöcken aber ungeheuer ausdrucksstark.

Wenn dies alles nun in größtmöglicher Deutlichkeit und Emphase an unser Ohr gelangt, wenn die repetitiven Klangfiguren Messiaens, das Hymnische und Exotische dieser Musik, in purer Schönheit aufleuchten, wenn uns andererseits die düsteren Szenen bei Ferrari und Zimmermann nahegehen, wenn zudem das teils hektische Flirren und Klirren der Instrumente außerordentlich spannend wirkt, dann ist das dem wunderbaren Orchester und seinem wendigem Dirigenten zu verdanken. Sylvain Cambrelings eckige Körperbewegungen geben sich den rhythmischen Finessen der Partituren hin, die Einsätze kommen punktgenau, und niemals will sich hier jemand zur Schau stellen. – Es gibt unglaublich viel Applaus.

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