Und schon wieder ist ein Großer gestorben: Joe Cocker goes „Up Where We Belong“

Ehrlich gesagt, die augenblickliche Mortalitätsrate meiner musikalischen Helden von einst empfinde ich derzeit als unangenehm hoch. Obwohl Joe Cocker, als Auge und Ohr meiner Person damals mit ihm in Kontakt gerieten, für mich eindeutig ein Kandidat zum unmittelbar bevorstehenden Eintritt in den Club der 27-er war, die eben so jung sterben.

Aber der liebenswerte Zappelphilipp mit dem unvergleichlichen Whiskey-Organ blieb stabil, überlebte Janis Joplin, Jimi Hendrix, Jim Morrisson, Kurt Cobain, Amy Winehouse und Alexandra. Nur dem Lungenkrebs hielt seine erstaunliche Konstitution nicht stand. Der Star mit dem britischen Blues, an dessen Stimme kaum ein anderer reichte, der Held von Woodstock raspelt seine Riffs nun nicht mehr begleitet vom zupfenden Trema der Finger, die eine Luftgitarre spielten, als die noch unbekannt war. Joe Cocker starb im Alter von 70 Jahren auf seiner Ranch in Colorado.

Joe Cocker 1969 in Woodstock (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=bRzKUVjHkGk)

Joe Cocker 1969 in Woodstock (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=bRzKUVjHkGk)

„Vance Arnold and the Avengers“ hieß die Band, deren Frontman er war, wenn er nach einem langen Arbeitstag als Gasinstallateur die verrauchten Kneipen Sheffields überhitzte. Einmal, 1963 war’s, durften die Jungs aus der englischen Industriemetropole sogar platzend vor Stolz als Vorgruppe für die „Stones“ auf die Bühne. Aber den Raketenstart legte Joe Cocker hin, als er „With A Little Help From My Friends“ von den Beatles coverte. Nie zuvor und nie wieder später interpretierte ein Sänger dieses Lied so eindringlich und virtuos wie Joe (Ringo Starr wird mir diese Feststellung verzeihen).

Auch in Woodstock strahlte sein Stern über alle, und das waren damals, 1969, die Besten der Größten. Ein schmaler Junge, der schon fast so alt wirkte wie er einmal werden sollte (nur die Fülle der Haare verriet seine Jugend), ein fast zerbrechlich erscheinender Jüngling barst los, füllte mit einer einzigartigen Stimmgewalt die zerregnete Festivalwiese und ließ jede Sekunde seines Auftrittes die Besucher an seinen Lippen hängen.

Nach Woodstock und dem folgenden Stargerumpel um den Plumber (engl.: Installateur) aus Sheffield kam postwendend der Absturz. Joe Cocker kippte und rauchte in seinen Körper hinein alles, was berauschend zeitgemäß war, er betrieb Raubbau an seiner Physis und seinem Talent, war hilflos eigensüchtigen und gierigen Beratern ausgeliefert. „Wenn du erst mal in dieser Abwärtsspirale bist, dann ist es schwierig, da wieder rauszukommen. Ich brauchte Jahre, das zu schaffen“, erzählte er in einem Interview der „Daily Mail“.

Er brauchte Jahre, so viele Jahre, dass ich beinahe vergessen hätte, dass er noch am Leben war. Diese Zeit und eine Frau namens Pam Baker, die er später heiraten sollte, brauchte er, um sich gegen die Abwärtsspirale zu stemmen. Und gemeinsam schafften sie das auch.

„Geh‘ mal in ‚Officer And Gentleman'“, riet mir ein Freund damals. „Und wenn’s nur wegen des Soundtracks ist.“ Ich ging und sah mir die weinerlich-romantische Story mit dem jungen Richard Gere und Debra Winger an. Aber beide waren vergessen, wenn Joe Cocker mit Jennifer Warnes „Up Where We Belong“ anstimmten. Nicht der Plot des Filmes, sondern Joe’s künstlerische Auferstehung trieb mir Tränen in die Augen.

Ja, er war wieder da, voll da. „When The Night Comes“, „N’oubliez jamais“, „Unchain My Heart“ – nur ein paar der Comeback-Hits. Und es schien (mir zumindest), als wäre seine Stimme mit jedem Mal besser geworden. 40 Alben eines Fieberkurvendaseins im Haifischbecken des Showgeschäftes zeugen von Pam Bakers felsenfester Überzeugung, dass die Menschen Joe Cocker wieder und wieder hören wollten. Eine Überzeugung, die sie liebevoll auf ihn übertragen hatte. 2012 erschien mit „Fire It Up“ das letzte Cocker-Werk. Und es ist nicht lange her, da kündigte er noch an, im kommenden Jahr eine neue Produktion folgen zu lassen.

Da holte ihn jedoch der unbarmherzig ablaufende Sand des Uhrenglases ein. Bye, Joe!

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Zur Ergänzung: ein Cocker-Porträt von Klaus Schürholz.

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3 Antworten zu Und schon wieder ist ein Großer gestorben: Joe Cocker goes „Up Where We Belong“

  1. gp sagt:

    Auf dem Plattenspieler drehte sich am Abend mehrfach das unterschätzte Cocker-Album I Can Stand a Little Rain (1974). Es ist quasi eine von Cocker interpretierte Werkschau der (nicht nur) seinerzeit bedeutenden (US)-Songschreiber wie z.B. Harry Nilsson, Randy Newman, Jimmy Webb, Billy Preston etc.

    Ein Highlight auf der LP ist sicherlich die Cocker-Einspielung des Titels „Performance“ von Allen Toussaint.

    Und ja …

    Im traurigen Monat Dezember war’s …

    † 02.12.2014 – Bobby Keys
    † 03.12.2014 – Ian McLagan
    † 21.12.2014 – Udo Jürgens
    † 22.12.2014 – Joe Cocker

  2. Michaela sagt:

    Joe Cockers Tod erschüttert mich mehr als Udo Jürgens‘. Cocker fand ich immer toll, Jürgens – naja, Schlager halt. Tut mir leid.

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