Nägel gegen die Gewalt: Günther Uecker in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW

Foto: Andreas Endermann, 2015/Kunstsammlung NRW

Foto: Andreas Endermann, 2015/Kunstsammlung NRW

Ein Menschenauflauf für ein paar alte Nägel? Die Schlange vor der Kunstsammlung NRW (K 20) in Düsseldorf mäandert bis zur Heinrich-Heine-Allee, ein Durchkommen ist nicht möglich. Auch der Presseausweis hilft da nicht weiter: „Der Pressetermin war gestern“, bescheidet der Zerberus am Eingang barsch.

Aber ich möchte doch über die Eröffnung berichten: Denn heute Abend beginnt die erste Museumsausstellung von Günther Uecker in Düsseldorf, wo der inzwischen 84jährige Künstler seit 1953 lebt und wo er Anfang der 60er Jahre gemeinsam mit Heinz Mack und Otto Piene die ZERO-Bewegung begründete. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft soll sprechen, Uecker selbst ist anwesend. „Auch für Journalisten kein Zutritt“ weist der Zerberus einen weiteren Kollegen ab. „Sie schreiben doch heute sowieso nichts mehr….!“ Ach ja? Schon mal was von Online-Journalismus gehört?

Wie ich dann doch noch reingekommen bin, bleibt mein Berufsgeheimnis. Nur so viel: Ein Zerberus kann eben auch nicht alle Pforten gleichzeitig bewachen…

Innen halten sich die Gäste auf Einladung des Sponsors schon am Sektglas fest, während Hannelore Kraft im Saal und über drei Monitore das Kunstland NRW lobt und eine „gute Lösung“ ankündigt, die für die Portigon Sammlung der West LB gefunden werden soll. Im Moment plant die Landesregierung eine Stiftung, um den Verkauf der Werke in alle Welt zu verhindern.

Ich halte mich lieber an das, was schon hier hängt – und bin begeistert: Im großen Raum zur Rechten empfangen einen Ueckers unverwechselbare Nagelbilder. Jedes hat seinen eigenen Rhythmus, seine eigene Plastizität, seine eigene Dynamik. Der eiserne Werkstoff wirkt mitunter fast weich, wie die Wirbel im Fell von Tieren; ich möchte gerne mit der Hand darüber streichen, aber lasse das natürlich, um nicht unangenehm aufzufallen.

Stundenlang könnte ich an den zahlreichen unterschiedlichen Nagel-Exponaten entlangwandern, jedes ist anders, jedes verändert sich mit der Blickrichtung des Betrachters. Für Uecker ist der Nagel aber nicht nur Gebrauchsgegenstand, sondern Symbol mit biblischem Bezug. Mit Nägeln wurde Jesus ans Kreuz geschlagen; so steht der Nagel bei Uecker auch dafür, wie Menschen Menschen Gewalt antun – nicht zuletzt in einem von zwei Weltkriegen geprägten Jahrhundert.

Foto: Nic Tenwiggenhorn/Kunstsammlung NRW

Foto: Nic Tenwiggenhorn/Kunstsammlung NRW

Diese Lesart setzt sich im zweiten Ausstellungsraum fort, obwohl das Material ein anderes ist: Große Stoffbahnen hängen hier von der Decke, mal zerlöchert, mal bemalt und bedruckt. Der „Brief an Peking“ entstand für eine Ausstellung in China 1994. Zentrales Element ist die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen von 1948, die Uecker in dichter Schrift auf den Stoff geschrieben und dann mit schwarzer Farbe überarbeitet hat: Die Ausstellung wurde kurz vor der Eröffnung abgesagt und konnte erst 13 Jahre später gezeigt werden.

Nageln, geißeln, aufklatschen, vergasen: Die Stirnwand des Raumes wird ganz von schwarzen Worten in verschiedensten Sprachen eingenommen, die die „Verletzung des Menschen durch den Menschen“ ausdrücken. In der Mitte des Raumes schließlich stehen die zum „Terrororchester“ versammelten Klangobjekte, die von den Museumsbesuchern per Knopfdruck betätigt werden können und einen ohrenbetäubenden, kreischenden Lärm verursachen. Die Gewalt wirkt über das Ohr, den Verstand, das Auge und den Tastsinn auf uns ein: Das ist ebenso plakativ wie wahr, denn kein Opfer kann sich dieser Wucht entziehen. Wir können nur aufhören, uns immer weiter etwas anzutun.

Weitere Infos:
www.kunstsammlung.de

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