Radio mit und ohne Rausch(en)

Vor langer Zeit hatte ich mal so eine Phase. Es muss wohl in den frühen 1980er Jahren gewesen sein. Damals habe ich mich flammend für Kurzwellenradio interessiert.

Beileibe kein "Magisches Auge": Display eines Internet-Empfängers. (Foto: Bernd Berke)

Beileibe kein „Magisches Auge“: Display eines Internet-Empfängers. (Foto: Bernd Berke)

Man kann sich das heute nicht mehr vorstellen, auch ich selbst schaue ungläubig zurück: An etlichen Abenden saß ich fiebrig vor dem Weltempfänger, ja, ich schmiegte mich manchmal geradezu an den Lautsprecher oder in die Kopfhörermuscheln, um auch nur ja die schüttersten Signale aus der Ferne zu hören. Fein und feiner wurde die ganze Frequenzen-Skala durchgekurbelt, nein: behutsam abgetastet. Oh, du verheißungsvolles Rauschen im Äther!

Alsbald ging der Wahn so weit, dass ich gar zahlendes Mitglied in einem Kurzwellenclub wurde und intensiv die Verbandszeitschrift las, die Monat für Monat neue Frequenzen vermeldete und einen auch über höchst wandelbare Phänomene wie Sonnenflecken unterrichtete, die den Empfang beeinflussten. Das wuchtige Jahrbuch „Sender und Frequenzen“, überwiegend für den Kurzwellenempfang gedacht, lag ohnehin – über und über angefüllt mit Notizen – als tabellarische Bibel neben dem Receiver.

Stationen wie das omnipräsente Radio Moskau oder auch Radio Peking und das noch viel abstrusere Radio Tirana hat man bei all dem hassen gelernt. Mit ihrer lautstarken, viel- und falschzüngigen Propaganda überdeckten sie auf fast allen Frequenzbändern den Empfang anderer Sender. Doch auch der BBC World Service, die Voice of America oder die Deutsche Welle waren nicht das, was man hören wollte.

Wie gern hätte man statt dessen häufiger Botschaften etwa aus südamerikanischen, afrikanischen oder kleineren ostasiatischen Ländern empfangen. Doch der Erfolg war – trotz ziemlich kostspieliger Weltempfänger (von Grundig und Sony) – bescheiden, weil solche Sender, vor allem aus Geldmangel, nahe an der geringsten Schwundstufe operierten. Und wie groß war die Enttäuschung, wenn die spanische Grußformel „estimados oyentes“ (verehrte Hörer) nicht etwa auf lateinamerikanische Herkunft hindeutete, sondern doch wieder ein Fremdsprachenprogramm aus der Moskauer Ideologieküche war.

Dennoch blieb ich mit Ausdauer und Leidenschaft bei der Sache, obwohl die Resultate – aus heutiger Sicht – kümmerlich waren. Bei der Sendersuche überwogen allemal Quietschen, Pfeifen, Rauschen und Britzeln. Man hat es damals kaum anders gekannt. Nicht zuletzt haben Störsender zum tosend tinnitösen Geräuschchaos beigetragen.

Wie hat man aber innerlich geglüht und jubiliert, wenn man eine bislang noch ungehörte Station auf dem Radar hatte und obendrein zur vollen Stunde zweifelsfrei die Stationsansage hörte. Die Weltkarte lag stets in Reichweite und man hat eifrig Markierungen angebracht, wenn die akustische Terra incognita wieder etwas geschrumpft war. Man fühlte sich wie Magellan persönlich. Naja, vielleicht übertreibe ich etwas. Sehnsucht nach Ferne und Abenteuer hat aber gewiss mitgespielt. In ungemein gezähmter Form.

Hin und wieder habe ich mir auch die Mühe gemacht, an Radiosender zu schreiben und ihnen Empfangsberichte zu schicken. Angeblich waren die Leute dort sehr interessiert an solchen Rückmeldungen. Freudig erhielt man dann Bestätigungen aus Kanada oder Australien, einschließlich der sogenannten QSL-Karten, die als kleine Trophäen galten. Heute stellen Kurzwellensender immer mehr Programme ein.

Warum ich das alles erzähle? Seit einiger Zeit habe ich ein Internet-Radio. Zigtausend Stationen aus allen denkbaren Weltecken empfängt man damit vollkommen rauschfrei; aber nicht nur ohne Rauschen, sondern eben auch ohne jeglichen Rausch.

Abgesehen von einer ersten Erprobungszeit, bleibt das Radio nun zu allermeist unbenutzt. Die Leidenschaft von ehedem ist dahin, weil die öde Perfektion schier unendlicher Möglichkeiten herrscht. Sofern man will, kann man Sender aufrufen, die z. B. den ganzen Tag nur Beatles-Songs spielen. Oder vermeintlich exotische Klänge jeder Tönung, die freilich in einen globalen Datenstrom einfließen, als wäre alles einerlei.

Ein Zurück zur Kurzwelle gibt es allerdings auch nicht mehr. Das Gefiepe tut man sich nicht mehr freiwillig an. Internet killed the radio.

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Postskriptum:

Während ich die vorherigen Zeilen schrieb, ahnte ich dunkel, dass ich dasselbe Themenfeld schon einmal beackert habe. Und siehe da, es ist etwas über fünf Jahre her. Teilweise gleichen sich die Formulierungen, waren sie seinerzeit nicht sogar satz- und streckenweise prägnanter?

Soso, da lässt also das Gedächtnis fürs eigene Tun und Lassen merklich nach. Oder ist es nicht eh so, dass man im Kern immer wieder über dasselbe schreibt, nämlich über den Kreislauf seiner kleinen Obsessionen und Antriebe? Oder über das Erlöschen der einen oder anderen Neigung. Immer wieder, aber immer ein bisschen anders. Man steigt ja wohl nicht zweimal in denselben Redefluss.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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