Frühe Salinger-Stories erstmals auf Deutsch – ein schmales Buch von begrenztem Nutzen

Das Sujet seiner Kurzgeschichten in dem schmalen Band „Die jungen Leute“ scheint zunächst einmal wenig auffällig zu sein, handelt es sich doch um kleine Ereignisse und Begegnungen aus dem Alltag. Doch durch seine Erzählkunst gelingt es Jerome David Salinger, den Texten eine besondere Note zu geben.

Zum einen zeichnet sie ein gesellschaftskritischer Blick auf das Leben aus, zum anderen braucht der Autor keine langatmigen Passagen, um die einzelnen Charaktere zu beschreiben. Das erledigen sie selbst durch ihre Sätze, ihre Gesten und den Umgang miteinander. Ob es sich um einen Streit unter Geschwistern handelt oder um eine zufällige Partybekanntschaft, die Ereignisse weisen über sich hinaus und die Figuren lassen erkennen, wie fragwürdig für sie bestimmte Verhaltensformen und Gewohnheiten geworden sind. Das gilt auch für die Szene, in der sich ein Mann von seiner Frau verabschiedet, weil er in den Zweiten Weltkrieg zieht. Seine Bitte, sie möge sich doch ein wenig um die demente Tante kümmern, gerät zu einem grotesken Disput eines Paares, das nicht weiß, ob es sich je wiedersehen wird.

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Die Geschichten von J.D. Salinger stammen aus den 40er Jahren. Damals war der amerikanische Schriftsteller, der vor fünf Jahren starb, noch weit von einem Weltruhm entfernt, den er mit seinem 1951 erschienen Buch „Der Fänger im Roggen“ erlangen sollte. Mit den drei Arbeiten aus seiner frühen Schaffenszeit stellt Salinger aber schon nach Meinung vieler Kritiker sein schriftstellerisches Talent unter Beweis, das er dann in seinem Erfolgsroman formvollendet habe. Inhaltlich lassen sich ohnehin Parallelen ziehen, geht es doch immer um das Lebensgefühl junger Menschen.

In dem Nachwort zu den jetzt erstmals in deutscher Sprache veröffentlichen Arbeiten hebt der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic hervor, dass Salinger den Umbruch gesellschaftlicher Werte in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts widerspiegelt und genau darin auch der literarische Stellenwert des Autors zu sehen sei. Glavinic stellt den amerikanischen Autor in eine Reihe mit Tolstoi, Hamsun und Remarque, die in ihren Werken ebenfalls den jeweiligen gesellschaftlichen Wandel zum Ausdruck gebracht hätten. Mit ein paar Sätzen über das Liebesleben Salingers, einem Blick auf dessen Rückzug aus der Öffentlichkeit und einigen Lebensdaten fällt der biographische Teil aber dann doch sehr kurz aus.

Legt man das schmale Büchlein aus der Hand, bleibt man auf seltsame Weise unschlüssig zurück. Sollte das nun auf Vorgeschmack auf gute literarische Kost gewesen sein, dann fehlt der Hauptgang. Sollte Salingers Werk gewürdigt werden, wäre eine längere Biographie doch sicherlich angemessener gewesen als die wenigen Seiten – mit durchaus wohlmeinenden Worten – von Glavinic. So wirken beide Buchabschnitte unvollendet.

Offensichtlich verhindern, wie aus anderen Quellen als dem vorliegenden Buch hervorgeht, Urheberrechte, dass noch weitere Kurzgeschichten von Salinger erscheinen dürfen. Ein zarter Hinweis hätte sicherlich wertvolle Dienste geleistet, um das Zustandekommen des Buches besser einordnen zu können. Und wenn schon immer wieder auf „Der Fänger im Roggen“ verwiesen wird, hätte der Leser gewiss keine Einwände gehabt, wenn nicht nur die Intention des Buches hingehuscht worden wäre, sondern man auch den Inhalt kurz skizziert hätte. Schließlich schreibt Glavinic selbst, dass sich die Faszination von damals heute nicht mehr unbedingt erschließt.

J.D. Salinger: „Die jungen Leute“. Drei Stories. Piper Verlag, München. Aus dem amerikanischen Englisch von Eike Schönfeld. 80 Seiten. 14,99 Euro

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