Auto des Wirtschaftswunders: Vor 60 Jahren feierte Volkswagen die erste Million

Die Belegschaft feierte: Eine Million Volkswagen waren am 5. August 1955 in Wolfsburg vom Band gelaufen. Foto: Volkswagen AG

Die Belegschaft feierte: Eine Million Volkswagen waren am 5. August 1955 in Wolfsburg vom Band gelaufen. Foto: Volkswagen AG

Zehn Jahre nach Kriegsende. Das Wirtschaftswunder war in vollem Gang. Endlich konnte man sich wieder etwas leisten. Für viele Deutsche rückte der Traum vom eigenen Auto in greifbare Nähe. Und dieser Traum hatte eine Form: rundlich, bucklig, wie ein kleines Insekt. Am 5. August 1955 feierte Wolfsburg ein Fest: Eine Million Volkswagen waren vom Band gelaufen – die meisten von ihnen von dem Modell, das später als „Käfer“ weltberühmt wurde. Im Ruhrgebiet sorgten die fröhlich knatternden Wagen da schon für die ersten Staus …

Die „New York Times“ beschrieb schon 1938 eine kühne Vision: Bald sollten, so der Artikel, die deutschen Autobahnen „Tausende und Abertausende von glänzenden kleinen Käfern“ bevölkern. Ein eingängiges Bild: Bänder durch die Landschaft, auf denen lauter metallene Käferchen entlangkrabbeln. Der Begriff „Käfer“ für den deutschen „KdF“-Wagen wurde wohl mit diesem Vergleich geschaffen.

Es sollte allerdings bis weit nach 1945 dauern, bis das Auto auf den Straßen zum Alltag gehörte. Im Krieg war an die von Hitler angedachte Massenproduktion des „Volkswagens“ nicht zu denken. Und nach 1945 kam die Produktion nur allmählich in Gang. Erst ab 1946 konnten Privatpersonen – gegen Bezugsschein – einen Volkswagen kaufen. 5.000 Mark kostete er – je nach Kaufkraftberechnung wären das heute um die 20.000 Euro.

Der goldene Jubiläums-Käfer von 1955, heute ausgestellt im Zeithaus der Autostadt in Wolfsburg. Foto: Volkswagen AG

Der goldene Jubiläums-Käfer von 1955, heute ausgestellt im Zeithaus der Autostadt in Wolfsburg. Foto: Volkswagen AG

Die Herstellung des robusten und sparsamen Wagens in der typischen Buckelform und mit dem geteilten Fenster im Heck („Brezelkäfer“) kam richtig in Schwung, als im Werk Wolfsburg die Kriegsschäden beseitigt waren, die Währungsreform 1948 für neuen Schwung sorgte und der Export in die USA startete.

Fast 20.000 Fahrzeuge verließen im Reformjahr 1948 die Fabrik, für die Hitler mit großem Propaganda-Getöse 1938 den Grundstein gelegt hatte. Dass 1955, am 5. August vor 60 Jahren, der einmillionste Volkswagen vom Band lief, unterstreicht die Erfolgsgeschichte des Wagens, der wie kaum ein anderes Produkt zum Symbol für das Wirtschaftswunder und den sozialen Aufstieg breiter Bevölkerungsschichten wurde. Den Jubiläums-VW, einen 30-PS-Käfer, überzog von Goldstaub durchsetzter Lack; die Chromteile trugen geschliffene Steine aus Südamerika: Sichtbares Zeichen des Stolzes der Autobauer auf ihren Erfolg.

Meistgebautes Auto der Welt

Bis 1973 entwickelte der VW-Konzern das Modell weiter, das in den sechziger Jahren – wohl in Abgrenzung zu anderen Volkswagen-Typen wie dem VW 1500, der 1961 auf den Markt kam – auch in Deutschland „Käfer“ genannt wurde.

Als am 1. Juli 1974 der letzte seiner Art mit der Nummer 11 916 519 in Wolfsburg vom Band lief, wurde das in der Öffentlichkeit als Ende einer Epoche wahrgenommen. Fast zwölf Millionen „Volkswagen Typ 1“ – wie der Käfer intern hieß – sind dort hergestellt worden. Schon 1972 erreichte der Käfer den Rang des meistverkauften Autos der Welt: Er löste Fords Modell T „Tin Lizzy“ auf diesem Platz ab. Heute nimmt ihn der Nachfolger des Käfers, der VW Golf, ein.

Dennoch: Die Geschichte des motorisierten Krabbeltiers ist noch nicht zu Ende. Die Form ist einfach zu einzigartig, zu attraktiv, um sie im Design-Archiv verschwinden zu lassen. Bis 1978 baute VW den Käfer in Emden weiter, danach belieferte Volkswagen de México mit in Puebla produzierten Wagen den deutschen Markt. Bis 1980 baute Karmann in Osnabrück die Cabriolet-Version – sie war lange Zeit das erfolgreichste Cabrio der Welt! Erst 1985 bot Volkswagen in Deutschland keine Käfer mehr an. Produziert – und hin und wieder von Importeuren auch in Deutschland angeboten – wurde das Erfolgsmodell noch bis 2003: Der letzte von 21.529.464 gebauten Käfern ist im „Zeithaus“ der Autostadt in Wolfsburg ausgestellt.

Unsterbliches Design

Bis heute lebt das Design in veränderter Form weiter: Mit dem Werbeslogan „Eine Legende wird erwachsen.“ bietet VW den „Beetle“ als „Kultauto“ in einer modernen Form an. Erst im April hat Volkswagen auf der New York International Auto Show vier neue Versionen präsentiert. Im November 2014 hatte VW den Beetle und das Beetle Cabriolet mit fünf verschiedenen modernen EU-6-Motoren vorgestellt. Umgerechnet kostet der Wagen, ausgestattet mit modernster Technik, heute nicht mehr als sein Urahn im Jahr 1946: Wer einen der nur noch dezent buckligen Beetles fahren will, ist ab 18.000 Euro dabei.

Nicht mit zu verkaufen sind Gefühle. Das nostalgische Fahrgefühl, das Schwelgen in Erinnerungen verbinden sich nur mit den Modellen aus der Kindheit und Jugend derer, die den Käfer in seinen Glanzzeiten erlebt haben. Wer denkt noch an den Stolz über das erste Auto in den fünfziger Jahren, das Hochgefühl, mit einem vollgepackten Volkswagen zum ersten Mal über die Alpen ins Sehnsuchtsland Italien in den Urlaub zu fahren, die Freude am chromblitzenden Gefährt, das jeden Samstag poliert und gewienert wurde?

Rund 50.000 alte Käfer sind noch fahrbereit; das charakteristische Knattern des alten, zuverlässigen VW-Motors in den Straßen ist selten geworden.

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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1 Antwort zu Auto des Wirtschaftswunders: Vor 60 Jahren feierte Volkswagen die erste Million

  1. Michaela sagt:

    Ach, ich hatte auch einen! Von ´66. Leider habe ich seine Volljährigkeit nicht erleben können. Ging vorher kaputt. – Wenn man vom 3. in den 2. Gang herunterschalten wollte, musste man Zwischengas geben. Das war weder portemonnaie- noch umweltfreundlich. Aber es passten so schön viele Leute rein! Und einen studentischen Umzug konnte man im Großen und Ganzen auch damit bewerkstelligen (OK, das Sofa haben wir nachts um 3 zu Fuß durch die Stadt getragen). Ach! Das waren noch Zeiten!

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