Jugendjahre eines Genies: Yefim Bronfman spielt das frühe Klavierwerk von Prokofjew

Yefim Bronfman (57), Grammy-Preisträger, gilt hierzulande noch immer als Geheimtipp (Foto: Dario Acosta)

Yefim Bronfman (57), Grammy-Preisträger, gilt hierzulande noch immer als Geheimtipp (Foto: Dario Acosta)

Es gibt Konzerte, die längst begonnen haben, bevor auch nur der erste Ton erklingt. Der Blick auf das angekündigte Programm lässt stutzen. Wie in aller Welt passen Werke von Sergej Prokofjew und Robert Schumann zueinander?

Was hat das russische „Enfant terrible“ mit dem zentralen Exponenten der deutschen Romantik zu tun? Was mag dabei herauskommen, wenn ein Pianist sich anschickt, Klavierwerke dieser scheinbar grundverschiedenen Komponisten miteinander zu verschränken?

Yefim Bronfman gibt uns die Antwort. Der amerikanisch-israelische Pianist, 1958 in Usbekistans Hauptstadt Taschkent geboren, beglückt uns im Konzerthaus Dortmund mit einem jener Recitals, aus denen man klüger wieder herauskommt, als man hineingegangen ist. Denn wer Prokofjew vor allem als kühnen Avantgardisten sieht, der die romantische Tonwelt von Rachmaninow und Rimski-Korsakow mit anarchischem Schwung vom Tisch fegte, erlebt an diesem Abend sein blaues Wunder.

Schon der Beginn ist beinahe ein Schock. Prokofjews 1. Klaviersonate klingt uns so verblüffend schumanesk entgegen, dass wir uns die Ohren reiben möchten. So leidenschaftlich trumpft das Werk des 16-Jährigen auf, so vollgriffig sind die Akkorde und so leuchtend die Momente der Poesie, als habe der Mann aus Zwickau Prokofjew bei der Niederschrift über die Schulter gesehen.

Wie das junge Genie sich allmählich von diesen Traditionslinien löst, wie er bis zu den mit 26 Jahren komponierten Klaviersonaten Nummer 3 und 4 zu seiner eigenen Tonsprache findet, führt Bronfman im Konzerthaus Dortmund mit einer Spielfreude vor, die ein formidables kleines Prokofjew-Feuerwerk zündet.

Wie nebenbei bestätigt Bronfman, welche Spitzenposition er in der internationalen Pianisten-Elite einnimmt. Sein kraftvoller Klang erreicht imperiales Format, ohne je künstlich aufgedonnert zu wirken.

Fingerfertigkeit ist bei diesem Pianisten reine Nebensache. Ihm geht es um die Aussage, um den Kern der Musik, mag sie nun feurig vorwärts stürmen wie im Kopfsatz der 3. Sonate (Allegro tempestoso) oder von existenzieller Einsamkeit sprechen wie der langsame Satz der 4. Sonate (Andante assai). Da steigen Klänge aus dem Konzertflügel wie fahler Dunst. Darunter liegt Grabestiefe. Düsteres Klopfen, zwielichtes Schillern, dann wieder unerwartet grelle Schlaglichter: Bronfman ist ein Magier, der uns bannt und schaudern lässt, der den chamäleongleichen Wendungen von Prokofjews Tonsprache mit größter Hingabe folgt.

In Robert Schumanns „Faschingsschwank aus Wien“ erkennen wir den stürmischen Gestus wieder, den Prokofjew später zu rhythmischem Drive, ja bohrender Motorik weiterentwickeln wird. Ein Ereignis ist auch Bronfmans Interpretation von Schumanns „Arabeske“ op. 18, die bei ihm nicht harmlos vor sich hin plaudert, sondern wie ein leises, ernstes Selbstgespräch tönt. Es muss ein Dichter sein wie aus den „Kinderszenen“, der da spricht.

Gipfelpunkt und Abschluss des Abends ist Prokofjews 2. Klaviersonate op. 14, in der die brachiale Kraft und die diabolischen Elemente anklingen, wie wir sie vom Komponisten der so genannten „Kriegssonaten“ kennen. Was wie ein harmonisch erweiterter Schumann beginnt, wühlt und bohrt sich voran, bis eine expressionistische Kantigkeit erreicht ist.

Aber bei aller wirbelnden Virtuosität ist es auch hier der langsame Satz, mit dem Yefim Bronfman nach den Sternen greift. Weltabgewandt ist diese Musik, hoffnungslos verloren, und der Künstler nimmt uns mit in diese Landschaft, die nach kahlen Tannen auf dunklem Felsengrund klingt, nach einer stillen, erstorbenen Welt im Schneegestöber. Verführerisch ist das und unvergesslich. Tosender Beifall von einem Publikum, das über weite Strecken bemerkenswert konzentriert gelauscht hat.

(Die Website des Künstlers informiert u.a. über Konzerttermine und Diskographie: http://www.yefimbronfman.com)

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