In einer hoffnungslosen Welt: „Der Dieb“ von Fuminori Nakamura

derDieb Nishimura ist ein erfahrener Taschendieb. Ein Maßanzug verleiht ihm Anonymität, elegant und unauffällig bewegt er sich durch Tokios Menschenmassen und stiehlt Fremden ihre Geldbörsen. Sein Gewerbe hat er zur Kunst erhoben, fließend und kaum merkbar sind seine Bewegungen. Der Diebstahl geschieht reibungslos und unbemerkt, manchmal so unbemerkt, dass nicht einmal er selbst sich an alle Diebstähle erinnern kann.

Dabei lässt er Prinzipien walten, er stiehlt nur von Menschen, die ihm reich und wohlhabend erscheinen. Geld an sich bedeutet ihm nichts, so wenig wie die Menschen, die er bestiehlt, beides ist für ihn nur eine weitere Unschärfe seines Lebens, in dem er keine Gegenwart und keine Zukunft sieht. Er lebt in einem armseligen Appartement, er hat keine Familie, keine Freunde, keine Verbindungen. Nur einen kleinen Jungen, der ihn sich als Vaterfigur ausgesucht hat und der von ihm die hohe Kunst des Diebstahls lernen will, den wird er nicht los. In dem Moment, wo er sein Herz ein klein wenig öffnet, eine Verantwortung fühlt, holt ihn das Einzige, was er noch hat, seine Vergangenheit ein.

Sein erster und bis dato auch einziger Partner, Ishikawa erscheint wieder in seinem Leben. Einst war er mit ihm ihn einen Raubüberfall verwickelt, danach trennten sich ihre Wege und Nishimura tauchte in der Anonymität der Großstadt unter. Ishikawa hingegen wurde zur Marionette des mächtigen Gangsterbosses Kizaki, der sich selbst mit Genuß als Herrn über Leben und Tod inszeniert, Kizaki zwingt Ishikawa und mit ihm Nishimura, Handlanger für seine Verbrechen zu sein. Das Schicksal des Diebes scheint besiegelt.

In seinem Roman „Der Dieb“ nimmt Fuminori Nakamura den Leser mit in die Unterwelt einer Kultur, die vielen Europäern unbegreiflich und undurchdringlich scheint. Über den Autor selbst ist wenig in Erfahrung zu bringen, außer dass er ein 1977 geborener japanischer Schriftsteller sei. Dieses Buch hat er unter Pseudonym geschrieben.

Nakamura zeigt ein hoffnungsloses Land und seine Metropole. Sein Tokio ist keine Stadt heller Lichter und modernster Technologie, es ist farblos und düster, die Gesichter der Menschen sind blickleer, die Messer blutig und statt der modebewussten Mädchen mit ihren bonbonfarbenen Haaren kreuzen früh gealterte alleinerziehende Frauen den Weg des Diebs.

Dieser Thriller kommt ohne Action aus, dafür aber beschwört er Angst durch die Art, wie der Gangsterboss Kizaki seine Ansichten von Schicksal und Kontrolle lebt und gleichzeitig den Dieb mit einem lakonischen „Es ist alles nur ein Spiel. Nimm das Leben nicht so wichtig“ abfertigt und in sein Verderben schickt.

Der Fokus liegt nicht auf den Verbrechen selbst, sondern auf der Psychologie und der Körperlichkeit des Verbrechens: „Die Zeit floss in ihrem eigenen, immer gleichen Tempo dahin, bestimmte den Lauf der Dinge und schob mich langsam vor sich her. Wenn ich jedoch meine Hände nach dem Eigentum fremder Leute ausstreckte, fühlte ich in der Anspannung des Moments so etwas wie Freiheit.“

Nakamura erzählt rasant, dabei aber sehr elegant und schnörkellos, jederzeit um die Symbole von Unausweichlichkeit wissend. Darin gleicht er in der Ausübung seines Handwerks seinem Helden. So akribisch, wie der Dieb seine Aktionen ausübt, so sorgfältig ist auch das Buch geschrieben.

„Der Dieb“ ist ein kühler Thriller, der tief an existentielle Fragen rührt. Ein sehr intensives Leseerlebnis.

Fuminori Nakamura: „Der Dieb“. Roman. Aus dem Japanischen von Thomas Eggenberg. Diogenes Verlag, Zürich. 211 Seiten, € 22.-

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