Was aus dem Arabischen Frühling wurde – „Zawaya“ aus Kairo bei den Ruhrfestspielen

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Der Stuhl des Sprechers ist noch leer. (Foto: Tamer Eissa/Ruhrfestspiele)

Richtig, die Ruhrfestspiele haben ja ein Motto! „Mare nostrum“ lautet es, lateinisch für „unser Meer“, und den Aktualitäten Tribut zollend noch mit einem Fragezeichen versehen. Die meisten Produktionen allerdings, die während des Festivals zur Vorführung gelangen, haben keinen Bezug zu den Ereignissen an eben jenem Meer, die man vor wenigen Jahren euphorisch als Arabischen Frühling bezeichnete und die vielerorts zu Krieg und Chaos führten. Natürlich handeln sie von Konflikten, auch von blutigen, doch sind sie auf die eine oder andere Weise mediterran, was dem Unterhaltungswert der Ruhrfestspiele sicherlich guttut.

Berichte „von der Straße“

Ein Stück wie „Zawaya. Zeugnisse der Revolution“ nun, das am Wochenende im Kleinen Haus gezeigt wurde, ist illusionslos aktuell und wirkt hier deshalb fast ein wenig fremd. Die knapp anderthalbstündige Produktion der Compagnie El Warsha Kairo läßt Zeugen und Teilnehmer der Arabellion zu Wort kommen, die von ihren schlimmen Erlebnissen berichten, von Gewalt, Tod und Leichen. Gesucht wird nichts Geringeres als die Wahrheit. Das Arbeitsprinzip der Gruppe, so ist zu lesen, besteht darin, sich authentische Originaltöne „auf der Straße“ zu holen und sie zu Texten zu formen, die von Schauspielerinnen und Schauspielern gesprochen werden.

Gewaltbereiter Fußballfan

Mit dieser Vorgabe formte sich auf der Bühne ein originelles Personal. Neben der Mutter eines getöteten Sohnes, deren Teilnahme nicht verwundert, treten berichtend auch ein gewaltbereiter Fußball-Ultra und ein Spitzel des Regimes auf. Alle fünf (ein Offizier und eine Krankenschwester sind noch zu nennen) berichten sie von ihren traumatisierenden Erlebnissen, die damals auf dem Tahrir-Platz ihren Ausgang nahmen. Nacheinander treten sie auf, zwischen ihren Monologen singt der Musiker Yasser El Magrabi Lieder, die das Vaterland preisen und die Umstände beklagen. Wir entnehmen dies der Videoübertextung, denn alles an diesem Abend läuft in arabischer Sprache. Und wahrscheinlich wäre ein Vortrag in Deutsch besser gewesen.

Nichts geht ohne Übertitelung

Der Verständnis-Umweg über das Textelesen nämlich schafft eine erhebliche Distanz zum Bühnengeschehen, zumal dort außer Reden reinweg gar nichts geschieht, was man ohne Sprachkenntnis verstehen könnte. Alle sitzen brav auf ihren Stühlen, bis sie an die Reihe kommen. Und dann sitzen sie auf dem Erzählerstuhl vorn an der Rampe. So registrieren wir natürlich Aufgewühltheit, Erschütterung und Trauer der Darsteller, doch erreicht das alles kaum die Intensität alltäglicher Tagesthemen-Features aus den betroffenen Ländern. Des öfteren schaut man auf die Uhr.

Oral History

Wir sind, kleiner Gedanke am Rande, im Strom der niemals endenden Horrornachrichten abgestumpft, uns bringt so schnell nichts aus der Fassung. Deshalb mag der Ansatz des Regisseurs Hassan El Geretly als Oral-History-Projekt funktionieren, für ein Theaterstück ist er jedoch arg mager. Doch möge sich das Publikum auf weitere „migrantische“ Stoffe freuen, die in diesem Jahr vorwiegend im Kleinen Haus behandelt werden. Nächste Premiere ist hier als Koproduktion von Ruhrfestspielen und Schauspiel Frankfurt eine „Odyssee“ (Regie: Therese Willstedt), in der selbstverständlich auch wieder Flüchtlingsströme strömen werden.

Übrigens:

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Die Kunstausstellung ist traditionsreicher Bestandteil der Ruhrfestspiele. In der Kunsthalle Recklinghausen zeigt jetzt Fabrizio Plessi Arbeiten unter dem Titel „Feuer und Wasser“. Plessi stellte 1970 erstmals bei der Biennale von Venedig und 1987 auf der Documenta 8 aus. Mitte der 70er Jahre entstanden erste raumgreifende Video-Installationen, in denen er Monitore in skulpturale Bildträger verwandelte. – Kunsthalle Recklinghausen, Große Perdekamp-Str. 25-27. Di bis So 11-18 Uhr Eintritt: 5,00 € / 2,50 € (ermäßigt). (Foto: Ruhrfestspiele)

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