Fabelhaftes Einverständnis: Der Oboist Albrecht Mayer und das Schumann Quartett in Essen

Das Schumann Quartett. Foto: Kaupo Kikkas.

Das Schumann Quartett. Foto: Kaupo Kikkas.

„Ich steh mit einem Fuß im Grabe“, kündigt Albrecht Mayer die erste Zugabe an und weckt eine gewisse Heiterkeit im Saal der Philharmonie Essen. Die Sinfonia zu dieser Kantate Johann Sebastian Bachs passt für den Solo-Oboisten der Berliner Philharmoniker: Sie stammt wohl aus einem früheren Oboenkonzert Bachs.

Bei der zweiten Zugabe war der Fuß gleich wieder aus der Grube draußen: Bernhard Crusells Divertimento für Streicher und Oboe op. 9, 1823 in Leipzig erschienen, ist in der Tat ein veritabler „Rausschmeißer“: Spritzig und agil schreibt der Klarinettenvirtuose und schwedische Hofmusikus, geprägt von seinem Lehrer Abbé Georg Joseph Vogler und ein wenig im Stil Carl Maria von Webers.

Mit dieser originellen Zugaben-Kombination endet ein Kammerkonzert, dessen Programm mit einem Meisterstück der Quartettliteratur begonnen hat, Mozarts letztem Werk für diese Besetzung in F-Dur (KV 590). Es lässt die elegischen Ausflüge nach Moll vernehmen, die das Abschlusswerk des Abends, das Quintett in c-Moll (KV 406) prägen werden. Zu hören ist sozusagen eine doppelte Bearbeitung: Mozart selbst hat seine „Nacht-Musique“ für Bläser (KV 388) umgeformt – und aus dem Streichquintett wurde jetzt eine Bearbeitung für Oboe und Quartett.

Mayer findet in den geheimnisvollen Schatten und melancholischen Eintrübungen zu einem fabelhaften Einverständnis mit dem jungen Schumann Quartett. Die Formation, bestehend aus drei jungen Herren mit dem Nachnamen Schumann und der estnischen Bratscherin Liisa Randalu, hat sich seit 2012 Achtung und Aufmerksamkeit erspielt. Sie wird in dieser Saison eine dreijährige Residenz bei der Chamber Music Society des Lincoln Center New York beginnen, spielt Konzerte in London, München und Zürich, debütiert beim Rheingau Festival und kündigt eine CD mit Werken von Haydn, Bartók, Takemitsu und Pärt an.

Auf dem Weg zur Weltspitze: das Schumann Quartett. Drei Brüder aus dem Rheinland und eine junge Dame aus Estland. Foto: Kaupo Kikkas.

Auf dem Weg zur Weltspitze: das Schumann Quartett. Drei Brüder aus dem Rheinland und eine junge Dame aus Estland. Foto: Kaupo Kikkas.

Auch beim Essener Konzert flankiert Mozart eine ungewöhnliche Auswahl. Eine reizvolle Entdeckung ist das Quintett für Oboe und Streicher des Engländers Arnold Bax. Der 1953 gestorbene Wahl-Ire – Schönbergs Neuerungen hat er abgelehnt – schwelgt in der ausgekosteten Schönheit tonaler Harmonien, bleibt aber originell: Seine Musik ist wie in seinen leider kaum gespielten sinfonischen Dichtungen atmosphärisch dicht, farbenreich und nie kitschig. Die Streicher und der Oboist Albrecht Mayer finden in der behutsamen Melancholie zu atmendem Einverständnis, halten die üppigen Harmonien in perfekter Balance. Die Oboenstimme wird manchmal wie improvisiert geführt, erinnert dann wieder an gedankenverlorene meditative Hirtenweisen und im dritten Satz an einen irischen Volkstanz.

Auch in Mozarts Quintett fällt auf, wie feinsinnig die Balance zwischen der Oboe und den Streichern gestaltet ist: Mayer räumt der Oboe keine Dominanz ein, fügt sich mit einem ausgeglichenen Ton in das dichte Stimmengeflecht ein, hält ihn auch in der Höhe weit, weich und klar. Die jungen Streicher spielen mit leichtem, noblem Klang, dynamisch vielfältig abgestuft und in einer wie selbstverständlich wirkenden Übereinstimmung. In Mozarts F-Dur-Quartett hält Erik, der erste Geiger, seine Dominanz diszipliniert zurück, Ken an der zweiten Geige schmiegt sich harmonisch in die melodischen Verläufe ein, Mark Schumann am Cello hat hier, aber auch im c-Moll-Quintett und bei Arnold Bax wunderschöne Momente, ebenso die Bratschistin Liisa Randalu mit berückender Formung des Ton. Manchmal halten sich die jungen Leute freilich zu vornehm zurück: Das Mozart-Quintett vertrüge einen Schuss Temperament sehr gut.

Von diesem erzmusikalischen Feingefühl profitiert auch Alfred Schnittkes Drittes Streichquartett. Der Sohn deutsch-russischer Eltern hielt nichts von den Fortschritts-Ideologien der westlichen Moderne. Er bildete seine eigene Sprache heraus, tonal und atonal, vor allem aber mit vielfältigen Rückbezügen in die Geschichte der Musik. In dem Quartett von 1983 zitiert er zu Beginn ein Motiv von Orlando di Lasso, spaltet es harmonisch auf, setzt einen kraftvollen Halteakkord und beginnt dann, das Material durchzuarbeiten. Da tritt noch Beethoven hinzu. Und die Töne D-Es-C-H als Kürzel für Schostakowitsch.

Das Schumann Quartett spielt Schnittke genau abgestuft im Klang und im besten Sinn unbeschwert: Die dichte Verarbeitung der Motive bleibt stets durchhörbar. Im Vordergrund steht, mit den klanglichen Raffinessen nicht zu überwältigen, sondern die inneren Spannungen und Entwicklungen der Musik zu demonstrieren. Das wirkt manchmal etwas vorsichtig, aber nie trocken oder akademisch. Es zeigt sich die alte Wahrheit: Musik wird „schön“ nicht durch den gekonnt gesetzten Effekt, sondern durch die lebendige Darstellung ihrer Form.

Mayer eröffnete als Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker mit seinem Auftritt die „Ruhr Residenz“ des Spitzenorchesters. Sie wird am 5. Dezember vom Blechbläserensemble mit einem weihnachtlichen Konzert fortgeführt und findet ihren Höhepunkt im Februar 2017 mit drei Orchesterkonzerten in Dortmund und Essen. Weitere Informationen: http://www.philharmonie-essen.de/themen-reihen/ruhrresidenz.htm

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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