„Phoenixsee“: WDR-Serie über zwei Familien im Strudel des Strukturwandels

Mit dem Dortmunder Phoenixsee ist das so: Das künstliche Gewässer erstreckt sich seit einigen Jahren da, wo früher einmal ein Hoesch-Stahlwerk gestanden hat. Restbestände der früheren Arbeiterhäuser bilden nun einen starken Kontrast zur massiven Ansiedlung Neureicher, die sich direkt am Seeufer breitgemacht haben.

Diese Gemengelage gab schon reichlich Stoff für den großartigen Dokumentarfilm „Göttliche Lage“ her, auch dient der See immer mal wieder als Kulisse für die Dortmunder „Tatort“-Folgen. Und jetzt heißt gleich eine ganze WDR-Spielserie so.

Die beiden ungleichen Familienväter am "Phoenixsee": Birger Hansmann (Stephan Kampwirth, li.) und Mike Neurath (Felix Vörtler). (Foto: © WDR/Frank Dicks)

Die beiden ungleichen Familienväter am Phoenixsee: Birger Hansmann (Stephan Kampwirth, li.) und Mike Neurath (Felix Vörtler). (Foto: © WDR/Frank Dicks)

„Phoenixsee“ (WDR, heute = 28. November, 20.15 bis 21.50 Uhr die erste Doppelfolge – komplette Serie derzeit auch in der Mediathek) dreht sich um zwei vermeintlich höchst ungleiche Familien im Strudel des Strukturwandels.

Steuerberater Birger Hansmann (Stephan Kampwirt) kommt aus Düsseldorf und hat sich mit einer protzigen Kanzlei in Dortmund niedergelassen. Er und die Seinen wohnen luxuriös in der ersten Reihe – mit direktem Blick auf den Phoenixsee, versteht sich.

Den Neuraths, die nur einen Steinwurf entfernt, doch weit weniger komfortabel leben, geht es bei weitem nicht so gold. Vater Mike (Felix Vörtler) hat seinen Job in der Autofabrik verloren, seine Frau schuftet für kleines Geld in einer Bäckerei. Ob es auch künftig noch reichen wird? Mike weiß nicht, ob er das Abfindungsangebot annehmen soll, das offenbar weit unter seinen Vorstellungen liegt.

Es ist wie ein früher Showdown, man ist gleich mittendrin in der Story: Beim Elternabend in der Schule prallen beide Paare aufeinander. Der reiche Schnösel Birger nimmt mit seinem Porsche Cayenne dem verdutzten Mike den Parkplatz weg. Mike und seine Frau kommen zu spät und sitzen nicht nur sinnbildlich in der allerletzten Reihe. Zu allem Überfluss macht Birger bei der Klassenlehrerin einen auf „dicke Hose“ und kündigt an, der Schule vier Computer zu spendieren. Reichlich Zündstoff für Konflikte.

So weit liegt alles glasklar unterschieden vor uns. Doch so einfach ist es eben nicht. Auch ließe sich aus dem schieren „Ihr da oben – wir da unten“ wohl keine tragfähige Serie machen. Und also ist die Sache etwas anders gelagert: Bitterernste, die Existenz bedrohende Probleme gibt es nämlich hier wie dort.

Birger Hansmann steckt bis zur Halskrause in einer betrügerischen Insolvenz-Verschleppung, die er mit seiner Unterschrift abgesegnet hat. Jetzt ist guter Rat fürchterlich teuer.

Mike Neurath, der sich mit kleinen Gefälligkeiten über Wasser hält, droht derweil ein Verfahren wegen Schwarzarbeit. Anfangs verschweigen beide ihren Frauen die Malaise. Neben den knisternd kriselnden Ehen geraten auch die seelischen Nöte der Kinder in den Blick. So weitet sich die Perspektive, und das Gesamtbild gewinnt immer mehr gesellschaftliche und psychologische Tiefenschärfe.

Unter der einfühlsamen, geschmackssicheren Regie von Bettina Woernle entwickelt sich eine ebenso lebenspralle wie realistische und spannende Mischung aus Familienserie und Wirtschaftskrimi mit entschiedener, aber nicht übertriebener Lokal-Tönung.

Beileibe nicht nur die Szenen aus der Kneipe und vom Fußballplatz in Dortmund-Hörde vermitteln das Gefühl, hier eine ziemlich authentische Geschichte zu sehen. Gekonnt werden die Erzählbögen gespannt, mitunter herrlich saftig oder – bei Bedarf – auch sanft ironisch wird das Ganze ausgespielt. Vor allem Felix Vörtler gestaltet seine Rolle famos, ohne jemanden „an die Wand“ zu spielen. Die durchweg typgerechte Besetzung reicht bis in die Nebenrollen.

Man könnte immerhin argwöhnen, hier würden Uralt-Muster à la „Die Reichen haben’s auch nicht leicht“, „Jeder hat sein Päckchen zu tragen“ oder „Geld allein macht auch nicht glücklich“ bedient.

Doch so verhält es sich nicht. Drehbuchautor Michael Gantenberg geht nur nicht der etwaigen Versuchung auf den Leim, die Dinge vorschnell zu simplifizieren. Er schaut genauer hin und spürt den zwischenmenschlichen Folgen kapitalistischen Wirtschaftens noch auf dem Schulhof nach, wo zuweilen einer den anderen demütigt und erpresst oder die neue Mitschülerin gemobbt wird. Dass sich die beiden Familien auf sehr unterschiedlichem Level plagen, wird jedoch auch nicht verwischt.

Beim Sechsteiler (der in drei abendfüllenden Doppelfolgen ausgestrahlt wird) soll es übrigens nicht bleiben. Eine zweite Staffel ist schon im Planungsstadium. Gut so. Nur weiter so.

Nach dermaßen viel Lob wollen wir aber doch nicht gleich an die Chance auf einen Grimmepreis denken. Obwohl: warum eigentlich nicht?

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Die beiden weiteren Doppelfolgen laufen am nächsten und übernächsten Montag (5. und 12. Dezember)

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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1 Antwort zu „Phoenixsee“: WDR-Serie über zwei Familien im Strudel des Strukturwandels

  1. Oliver Wittershagen sagt:

    Die ersten Folgen sind auf jeden Fall vielversprechend

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