Von bedrückender Aktualität – Brechts „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ in Dortmund

Fiederike Tiefenbacher Bettina Lieder Frank Genser

Eine einsame Frau (Friederike Tiefenbacher) packt die Koffer für Amsterdam. Im Hintergrund, heftig verliebt und sportlich: SS-Mann Theo (Frank Genser) und seine Anna (Bettina Lieder). (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Gerade ist jemand abgeholt worden, und das Ehepaar in der Nachbarwohnung hat es mitgekriegt. Das Treppengeländer hätten sie nicht kaputtmachen sollen, befinden sie, der Mann war ja schon bewußtlos. Und seine Jacke hätten sie nicht zerreißen sollen, „so dicke hat’s unsereiner nämlich auch nicht“.

Die gruselige Szene aus Bertolt Brechts „Furcht und Elend des Dritten Reiches“, ist jetzt im Dortmunder Theater zu sehen, in der Ausweichspielstätte „Megastore“, wo Sascha Hawemann die Alltagsbilder aus Nazi-Deutschland in lockerer Reihung inszeniert hat. Die 24 Szenen, von denen 11 in Dortmund zur Aufführung gelangen, schrieb Brecht zwischen 1935 und 1938, im selben Jahr wurden sie in Paris uraufgeführt.

Episches Theater

Seinen Brecht hat der Regisseur, Jahrgang 1967 und in der DDR aufgewachsen, fleißig studiert, weiß um episches Theater und V-Effekt: Verfremdung schafft Verständnis, und ein besonderer Kunstgriff von Sascha Hawemann besteht darin, Bert Brecht als den Inszenierer seiner Szenen auf der Bühne selbst auftreten zu lassen.

Uwe Schmieder, ein zierlicher Mensch mit Hornbrille und staubgrauer Jacke, gibt dem klarsichtigen Dichter Gestalt, doch wenn er manche Szenen wiederholen läßt, wenn er sein Schauspielpersonal zu höchster Perfektion antreibt und erst nach dem dritten, wütenden Durchgang halbwegs zufrieden ist, dann ähnelt er mehr als Brecht fast Woody Allen, einem ganz anderen und doch erstaunlich ähnlichen großen Dramatiker.

Carlos Lobo Frank Genser Bettina Lieder Uwe Schmieder Alexander Xell Dafov

Man übt sich im Schlange stehen. Von links: Carlos Lobo, Frank Genser, Bettina Lieder, Uwe Schmieder und Alexander Xell Dafov (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Moralverlust

Ein an Aktualität kaum zu überbietender Stoff: Was für die einen Furcht und Elend bedeutet, ist für die anderen nationalistische Verheißung, Genugtuung nach historischer Schmach, allfälliges Herrenmenschentum.

SS-Mann Theo mit seinen blitzblank polierten Stiefeln ist so ein Verblendeter, ihm ähnlich seine Verlobte Anna, hörig aus Liebe und blind für alles andere. Vielleicht kann man jungen Menschen wie ihnen noch ihre intellektuelle Unbedarftheit zugutehalten. Bei anderen, Älteren jedoch erodieren Werte, Recht, Haltungen ins Bodenlose, sie sind es schon längst.

Auf gespenstische Weise gemahnt dieser kollektive Moralverlust an heutige Zeiten mit erfolgreichen „Populisten“, mit Pegida, Doppelpaßverbot und „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“.

Uwe Schmieder

Uwe Schmieder, Bert Brecht (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Wortloser Abschied

Mutige Helden gibt es bei Brecht nicht, eher durchschnittliche Menschen, die glauben, mit etwas Wegducken und Weggucken durchzukommen. Die Jüdin Judith Gold, die die Flucht nach Amsterdam vorbereitet und sich telefonisch von einigen Freunden verabschiedet, ahnt, daß sie keinem dieser „arischen“ Deutschen fehlen wird. Ist sie auch ihrem Mann nur Last? Ihrer beider Abschied jedoch, wortlos, schmerzlich, wissend, gehört zu den stärksten Momenten dieses Theaterabends. Andreas Beck und Friederike Tiefenbacher geben das bürgerliche Ehepaar, dessen letzte 60 Trennungssekunden von „Brecht“ Uwe Schmieder qualvoll langsam abgezählt werden.

Merle Wasmuth Andreas Beck Uwe Schmieder

Szene im Amtsgericht mit Merle Wasmuth und Andreas Beck (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Hilfloser Richter

Beck brilliert auch in der Rolle des Amtsrichters, der über drei Nazis urteilen soll, die ein jüdisches Schmuckgeschäft verwüstet haben. Skrupel oder gar Handlungsethik sind diesem mißratenen Nachfahren des Richters Adam fremd, fachlich angezeigtes Ermitteln und Bewerten sowieso. Und trotzdem reitet er sich in die Grütze, weil er seinen Opportunismus nicht zu kanalisieren weiß.

Hat der Jude die Nazis vielleicht provoziert, oder ist es besser für dessen „arischen“ Kompagnon, wenn es anders war? Welche Rolle spielt der mächtige Hausbesitzer, und wie soll man das Abhandenkommen von Schmuck erklären? Wenn er was falsch macht, wird er nach Hinterpommern strafversetzt, aber nichts falsch zu machen scheint unmöglich, trotz aller charakterlichen Geschmeidigkeit. Uwe Schmieder macht sich als Zuträger von verstörenden Gerüchten aller Art wiederum verdient, eine herrliche Posse, bestens gegeben – und erschütternd wegen ihres vermutlich nicht geringen Wahrheitsgehalts.

Angst vor den eigenen Kindern

Carlos Lobo und Merle Wasmuth sind – unter anderem – das ängstliche Elternpaar eines in der Hitlerjugend radikalisierten Sohnes (Raafat Daboul), dem sie zutrauen, daß er sie wegen unvorsichtiger Äußerungen denunziert. Es sei „nicht ganz sauber im braunen Haus“ hat der Vater unvorsichtigerweise gesagt, so oder ähnlich, und nun wissen sie nicht, wohin sich der Sohn im Regen wortlos verabschiedet hat. Schließlich Erleichterung, er hat nur etwas eingekauft.

Fiederike Tiefenbacher Uwe Schmieder Bettina Lieder Frank Genser

„Brecht“ (Uwe Schmieder) legt Judith Gold Friederike Tiefenbacher) einen Mantel um. Im Hintergrund Bettina Lieder und Frank Genser (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Frank Genser und Bettina Lieder schließlich, der SS-Mann Theo und das Dienstmädchen Anna, heiraten gegen Ende des Theaterabends. Was dann kommt, ist nicht mehr von Brecht: Ein Bericht über Massenermordungen von Juden in der Schlucht von Babyn Jar in der Ukraine im Jahr 1941. 33.000 Menschen wurden hier erschossen. Theo und Anna erinnern sich (angeregt durch eine Schmalfilmvorführung am Tag der Hochzeit?) im heiter palavernden Dialog, und was sie da ohne jegliches Bewußtsein für die Ungeheuerlichkeit des Geschehens erzählen, ist schrecklich und bedrückend.

Bettina Lieder Frank Genser

Heitere Erinnerungen an den Massenmord: Szene mit Bettina Lieder und Frank Genser (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Kroetz folgt Brecht

Ob dieser Theaterabend indes die Abrundung mit Geschehnissen jenseits der Brechtschen Vorlage braucht – auch die Andeutung eines nahöstlichen Luftangriffs gelangt audiovisuell noch zur Vorführung, bevor das Stück zu Ende ist – sei dahingestellt.

Als Nächstes folgt in einer Woche im Megastore sinnfälligerweise „Furcht und Hoffnung der BRD“ von Franz-Xaver Kroetz, das 1984 seine Uraufführung im Bochumer Schauspielhaus erlebte und die Methode der Szenencollage aufgreift. Fast muß man befürchten, daß Bert Brechts düster-klarsichtige Vorahnungen der 30er Jahre aktueller sein könnten als Kroetz’ bundesrepublikanische Bestandsaufnahme.

  • Termine: 16.21.12.2016, 14., 19.1., 5., 19., 24.2., 4., 15.3., 2.4.2017
  • Karten Tel. 0231 50 27 222
  • www.theaterdo.de
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