Eine Liebe im Schatten der Ideologie

Das erste, was der Leser des neuen Buches von Barbara Honigmann wahrnimmt, ist das Bild eines schlanken und großen Radfahrers. Im Hintergrund scheint sich, der Wolkenbildung nach zu urteilen, ein Gewitter anzukündigen. Die rechte Hand hält der direkt auf den Betrachter zuradelnde Mann an die Stirn. Wahrscheinlich hat er, wie die Autorin später im Buch mutmaßen wird, wieder einmal Kopfschmerzen.

Vor allem daran erinnert sich Barbara Honigmann, die das von ihr selbst gemalte Bild ihres früheren Geliebten auf dem Cover ihres Buches zeigt: dass der Mann so dürr und lang war, oft Migräne hatte und sich schnell aus dem Staub machte, wenn es ernst wurde und die Frauen, die ihn umschwirrten wie Motten das Licht, seine intellektuelle Abkapselung durchdringen wollten. „Wenn ich an A. denke“, schreibt Honigmann, „bin ich verletzt, beleidigt, fühle mich abgewiesen und ausgenutzt, er ist mir fern, fremd, unverständlich, und ich liebe ihn. Wir sind, wie man so sagt, im Bösen auseinander gegangen. Unversöhnt. A. ist jetzt tot.“

„Bilder von A.“ heißt das Buch. Es ist, wie alle Bücher der jüdischen Autorin, die 1984 die DDR verließ und ins französische Straßburg zog, ein auf das Nötigste komprimiertes Bändchen. Es gibt kein überflüssiges Wort, keine erklärenden Umschreibungen. Nur die flüchtigen Erinnerungen, die Bilder und Briefe, die sie noch von jenem Mann hat, den sie A. nennt, spielen eine Rolle.

A., das ist nicht allzu schwer zu dechiffrieren, ist Adolf Dresen, der im Jahre 2001 verstorbene Theater- und Opern-Regisseur, Vater von Filmregisseur Andreas Dresen. Die beiden, was Temperament und Alter angeht, völlig verschiedenen Künstler lernten sich bei einem Kleist-Projekt kennen. Barbara Honigmann war damals eine junge, unbekannte Dramaturgin, Dresen ein in der DDR hoch angesehener Bühnenguru. Zusammen entwickelten sie Ideen für mehrere Kleist-Inszenierungen, Text-Abende und Konzerte. Doch während die von Dresen arrangierten Inszenierungen („Prinz von Homburg“, „Der zerbrochene Krug“) den Beifall der Zensoren fanden und noch jahrelang auf dem Programm standen, wurden die von Honigmann eingeübten Aufführungen (ein Kinder-Kleist-Stück und ein musikalisch-kritischer Kleist-Abend) nach den ersten Vorstellungen abgesagt. Die aufmüpfige Jung-Regisseurin wurde gefeuert. Damit war zwar die Theater-Karriere von Honigmann beendet, die Liebesaffäre mit dem verheirateten Dresen aber noch lange nicht.

Ausführlich und ungeschminkt von den Schwierigkeiten und Verletzungen dieser Liebesgeschichte zu erzählen, würde vielleicht voyeuristische Neugier wecken. Doch das interessiert Barbara Honigmann keinen Moment. Ihr geht es darum, das exemplarische Scheitern einer Liebe vor dem Hintergrund der ideologischen Katastrophen und religiösen Widersprüche zu zeigen, die das 20. Jahrhundert geprägt haben.

Barbara Honigmann hat schon mehrfach („Damals, dann und danach“, „Roman von einem Kinde“, „Eine Liebe aus nichts“, „Alles, alles Liebe!“) ihre Lebensgeschichte für fiktive Verwirrspiele benutzt, hat davon erzählt, wie ihre kommunistischen Eltern aus dem englischen Exil in die DDR kamen, um den Sozialismus aufzubauen – und dafür ihre jüdischen Geschichte über Bord warfen und verdrängten. Honigmann hat berichtet, wie sie ihr Judentum wiederentdeckte, antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt war und schließlich nach Frankreich auswanderte. Seitdem blickt sie von dort, kritisch und mahnend, auf Deutschland.

Wer die Zukunft gestalten will, muss die Vergangenheit verstehen. Für die Autorin heißt das: sich vergegenwärtigen, warum der Kommunist Dresen seiner Geliebten das Judentum ausreden wollte, warum er ihr, damals in Ostberlin genauso wie später in unzähligen Briefen, unterstellte, sie hätte sich nur aus Unzufriedenheit mit dem realen Sozialismus der DDR, quasi als antisozialistische Attitüde zum Judentum bekannt. „Warum reitest Du immer auf den jüdischen Dingen herum“, hat A. in einem Brief gefragt. Doch da war die Liebe zwischen den beiden schon längst zerbrochen, hatte sich die junge Frau längst aus den Fängen der intellektuellen Bevormundung befreit und auf den Weg in ein eigenes Leben gemacht. Spätestens da wusste Barbara Honigmann auch, dass die Deutschen und die Juden noch lange brauchen würden, bis sie den anderen verstehen.

Barbara Honigmann: „Bilder von A.“ Hanser Verlag, München. 137 Seiten, 16,90 Euro.

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