Das Testament

Erinnern Sie sich an die Kulturhauptstadt?

Es ist erst ein Jahr her, als die letzten Veranstaltungen in den Schnee gesetzt wurden. Eitel Sonnenschein war es nicht, aber für viele Eingeborene im Tal der 53 Kommunen waren die Gipfel der Metropolenträume durch den seichten Nebel immerhin sichtbar. Die Leuchttürme blinkten Zuversicht. Man feierte und  pappte sich Buttons ans Revers, besetzte die A40 und schickte gelbe Luftballons ins All, die Kunde tun sollten von der Überwindung der post-industriellen Depression. Die Beauftragten standen an den Fenstern ihrer Verwaltungs-zentren und malten ein wolkiges „Wir“ an die angehauchten Scheiben.

Day of Song

Ein Jahr ist es erst her, das Ende des Jahres der Erbauung, der singenden Massen, der lokalen Helden, der Umarmungen von Vergangenheit mit der Gegenwart. Die Touristen kamen, um das Ruhrmärchen zu erleben. Jetzt kommen sie, um Spuren der Nachhaltigkeit zu entdecken. Sie kommen auch, um den BVB zu sehen oder zu hören, wie es klingt, wenn 50.000 „Raaauuul“ rufen.

Das Fell des Bären

Das Fell des abgehalfterten Ruhr-Bären ist ein paar Millionen wert und man machte sich daran, es zu verteilen, um wiederaufzunehmen und zu erhalten, was der Masse Spaß gemacht hat. Inzwischen ist klar, dass die Taube doch das Leittier der Region ist, da sie als einziges Wesen am Turm des Dortmunder „U“ würdevoll hinter den Verwaltungsgebäuden wacht. Das Gebäude musste Federn lassen, ist weder langfristig bezahlbar, noch wirklich mit aufregendem Inhalt gefüllt. Nicht Menschen hat das Jahr hervorgebracht, sondern
Gebäudeerinnerungen.

Erinnerungen an einen Auftritt

Veranstaltungssaal in Oer-ERkenschwick

7. Dezember vor einem Jahr. Draußen herrscht alpineske Stimmung. Blitzeis, Schneeverwehungen, unschuldige weiße Landschaften. Abends sind die Abschieds-veranstaltungen angekündigt. Ich fahre wie auf Kufen nach Oer-Erkenschwick, um mein Bühnenprogramm über das vergangene Kulturhaupt-stadtjahr zum Besten zu geben. Die Schulaula liegt ein wenig seitwärts des Zentrums. Fünf Zuschauer sind gekommen. Auf der Bühne steht auch ein Weihnachtsbaum. Ein paar Häuser weiter läuft ein Adventskonzert. An den Abschlussparty-Orten tobt der Abschiedsbär, hier machen wir uns einen schönen intimen Abend. Illusion und Wahrheit in Gleichzeitigkeit – Oer-Erkenschwick gegen Duisburg, Essen,Dortmund, Gelsenkirchen.

Der Clan der Erben

Man traf sich am Montag auf PACT Zollverein und es war, als gelte es, etwas zu eröffnen. Voll besetzt und fast alle haben ohne Zettel gesprochen, denn es ist alles ja schon zigmal gesagt worden. Dass der Aufsichtsratsvorsitzende Wulf Bernotat einen Zettel braucht, liegt
daran, dass Kunst und Kultur nicht seine Metiers sind. Ein launiger Pleitgen führt sicher im Wechsel mit Oliver Scheytt durch die Talkrunden. Als Ehemaliger kann man schon mal nachfragen. Jetzt werden sich also eine Reihe anderer um das Erbe kümmern. Ruhr2010 hat das Volk über ein paar Veranstaltungen mitgenommen und es hat sich gefreut. Jetzt geht die neue Familie gemeinsam in die Leuchttürme und schaut, wie das Land unter ihnen beleuchtet wird. Ohne Dunkelheit sieht man den Leuchtturm nicht.

Die Erben übernehmen den Staffelstab

Winkender Mann (c) dman

„Die Kultur Ruhr GmbH wird um die eigenständige Programmsäule „Künste im urbanen Raum“ erweitert, um die Zusammenarbeit von Kultureinrichtungen zu unterstützen und Exzellenz-projekte zu initiieren.“ So heißt es nun.  Erstmals wird der RVR, zusammen mit dem Land, ab 2012 eine programmatische „Kulturkonferenz Ruhr“ organisieren. Regionaldirektorin Karola Geiß-Netthöfel: Wir wollen, dass die Metropole Ruhr weiter so bunt, vielfältig und vital bleibt, wie sie es im Kulturhauptstadtjahr gewesen ist.“

Urbane Kunst – damit ist zunächst die Bildende gemeint, die nicht nur hier inzwischen zur freien Szene zählt wie fast alles – von Popmusik über Handtaschenherstellung  bis hin zu
Karnevalsveranstaltungen. Als frei  galt eine Zeitlang der, der unabhängig von Institutionen arbeitet, ohne Haus – nämlich genau im Gegensatz oder als Alternative zu jenen in den behördlichenTheatern.

Und man wünscht sich für die Zukunft einen interdisziplinären Dialog. Dieser Dialog ist sowas von überholt und längst keine Rede mehr wert – in der europäischen und internationalen Wildnis der Kunst.

KRITISIEREN OHNE ZU NÖRGELN – oder kreatives Nörgeln

Wir müssen also wieder abwarten, was sich entwickelt in den Zentren der Nachfolge. Wollen wir also nicht nörgeln, was ja schwer genug ist, aber als Kreativer kann man das ja eben kreativ tun.  Und immer an alles denken, bevor der Hammer rausgeholt wird.  „Man muss ein Gefühl für die Gesamtlandschaft entwickeln“, wurde gesagt. Dies geschieht bisher über Begriffe wie „Metropole“. Man muss sich nur oft genug „Ich liebe Dich“ sagen.
Irgendwann ist es dann soweit.

Lokale Helden sollen wieder leuchten

local hero (c) dman

Das Local-Hero-Projekt war ein ausgezeichneter Gedanke, der auch hier und da wunderbar funktionierte. So kann man Heimat kennenlernen und künstlerische und überhaupt kulturelle Statements abgeben. Aber dass manche Verwaltungsleute aus irgendwelchen Bereichen dafür als Beauftragte eingesetzt wurden, die sich hier und da bemühten, nicht entdeckt zu werden, zeigte, dass die Unternehmung mit der Nähe zu Kunst und Kultur zunächst nichts zu tun hatte. Kulturhauptstadt ist eben eine kulturpolitische Veranstaltung, deren Geist man nicht per Dekret an handelnde Personen vermitteln kann.  Jetzt will man sie wieder aus dem Schrank zerren, damit sie sich kümmern! Möge die Übung gelingen! Kraftschöpfung also aus der Dezentralität.

Der Markt

Eigentlich geht es um den Erfolg am Markt, wie fast überall heute. Die Exzellenzen werden es schon bringen. Es gibt Bereiche, da ist der Markt das Todesurteil für freies Tun und Denken, aber eine große Fläche für Manipulation – siehe die Gesundheitsindustrie, die uns jeden Tag neue Krankheiten verordnet. Aber schweifen wir nicht ab. Wir müssen uns halt nur vernetzen, dann tritt Wirkung ein.

Der Künstler soll sich vertreten lassen. Man wird in Netzwerke und Institutionen gedrängt. Der Funktionär ist maßgeblich. Der Vermittler, der Agent, der Vertreter ist wichtiger geworden als der Künstler selbst, aber vielleicht war das schon immer so. Und hier regt sich nur einer künstlich auf.