Christian Wulff und das „Stahlgewitter“

Wenn man der Süddeutschen Zeitung glauben darf (und das darf man meistens), so hat Bundespräsident Christian Wulff beim Neujahrsempfang für seine Mitarbeiter gesagt, er sei zuversichtlich, „dass dieses Stahlgewitter bald vorbei ist“. Damit meint er nicht etwa, er habe im Schützengraben um sein Leben gezittert, sondern er spielt auf die gelegentlich scharfe, wenn auch keineswegs lebensgefährliche Debatte um seine Amtsführung an.

Nur zur Erinnerung. Der Ausdruck „Stahlgewitter“ ist vor allem durch Ernst Jüngers Buch „In Stahlgewittern“ bekannt und berüchtigt geworden. Geschildert werden (teils rauschhaft empfundene) Fronterlebnisse aus dem Ersten Weltkrieg, an einer Stelle ist etwa von „Blutdurst, Wut und Trunkenheit“ die Rede.

Nach all den Diskussionen um günstige Kredite und Urlaube sowie über Wulffs Verständnis von Pressefreiheit, scheint der Noch-Bundespräsident nunmehr noch einen weiteren Schauplatz eröffnen zu wollen. Darf es denn wahr sein, dass unser oberster staatlicher Repräsentant die Kriegsmetapher dermaßen unreflektiert verwendet? Schon im Zusammenhang mit der „Bild“-Zeitung soll er ja das Wort „Krieg“ im Munde geführt haben. Geht es denn mal ein paar Nummern kleiner und weniger martialisch?

Wie ein Freund bei Facebook ganz richtig vorgeschlagen hat, sollte Christian Wulff mal einen Soldatenfriedhof aufsuchen. Vielleicht konmt er dort wieder zur Besinnung.

Soldatengräberfeld auf dem Dortmunder Hauptfriedhof (Foto: Bernd Berke)

Soldatengräberfeld auf dem Dortmunder Hauptfriedhof (Foto: Bernd Berke)

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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3 Antworten zu Christian Wulff und das „Stahlgewitter“

  1. Erbloggtes sagt:

    Der Clou bei solchen Metaphern wie Wulffs „Stahlgewittern“ ist ja, dass die Sprecher nicht nur so reden, sondern auch so denken. Die Metaphorik ist in solchen Fällen häufig eine Offenbarung der Gedankenwelt. Weil die Gedankenwelt so martialisch ist, muss es auch die Sprache sein. Empfehlenswert dazu ist George Lakoff/Mark Johnson: Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, Heidelberg 2004 (zuerst 1980).

    Wenn man sich da mal genau hinein denkt, dann ist das sehr peinlich für Wulff. Zur „Stahlgewitter“-Metaphorik gehören ja einige kulturell sehr aufgeladene Aspekte hinzu, die die Metapher erweitern können. Weltkrieg und Schützengraben sind naheliegend, weiter geht es aber mit Freund-Feind-Denken, Heldentum und Opfertod. Da es klar auf den Ersten Weltkrieg bezogen ist, umgiben die „Stahlgewitter“ auch noch unschöne Dinge wie Burgfrieden (den Wulff sich wünscht), „Dolchstoß“ (von dem er sicher gern schwadronieren würde) und „Kriegsschuldlüge“ (auf die nachher sicher jemand anspielen wird).

    Zuletzt aufgefallen waren die „Stahlgewitter“ bei Guttenberg. Ich habe mir damals ein paar Gedanken zu dieser Weltsicht gemacht.[1]

    In der Wulff-Affäre gibt es übrigens noch eine zweite häufig benutzte Metapher: den Tanzbären.[2]

  2. Connie Müller-Gödecke sagt:

    Ich bin sehr erleichtert, daß nicht nur mir diese unsäglich aggressive Wortwahl des Herrn W. auffällt:

    http://www.kultur-banal.de/2012/01/unangefochten-von-jedweder-selbstkritik/

    Danke für Ihre Sprachsensibilität!

  3. „21. Februar 1916: Beginn des deutschen Angriffs bei Verdun /

    Statistik des Mordens
    1. Weltkrieg: 10 Millionen Tote
    2. Weltkrieg: 16 Millionen Tote
    2. Weltkrieg: circa 20 – 30 Millionen Tote
    (Luftangriffe, Massenvernichtung, Partisanenkämpfe)“
    Anmerkung:
    „20 Millionen Tote, 30 Millionen Tote: das Wort „circa“ ist verrucht“

    (Wolfgang Weyrauch: „Kalenderbuch“, edition büchergilde in der EVA, Köln + F. a. M. 1977, S.81)

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