Der bleiche Abschied des Christian Wulff

Abgang durch die Flügeltür: Wulff und Ehefrau, abfotografiert vom ARD-Fernsehbild

Abgang durch die Flügeltür: Wulff und Ehefrau, abfotografiert vom ARD-Fernsehbild.

Christian Wulff ist um 11 Uhr als Bundespräsident zurückgetreten. Die Beweggründe sind hinlänglich bekannt, man mag eigentlich schon gar nichts mehr darüber hören. Jetzt hat wenigstens diese Quälerei ein Ende. Freilich: Hinter den Kulissen wird gewiss schon um die Nachfolge gestritten. Es darf munter bis haltlos spekuliert werden. Durchaus denkbar, dass sich manche Politiker dieses Amt nicht mehr antun wollen.

Vor Wulffs Erklärung richteten sich die TV-Kameras immer und immer wieder auf die geschlossene Flügeltür, durch die Wulff den Saal betreten sollte. Es war das Nicht-Bild, gleichsam die weiße Leinwand dieses Vormittags. Durch Spalt unter der Tür sah man schließlich schon, wie jemand (nervös?) hin und her ging. Und ach, an solchen Tagen nehmen sich manche Fernsehleute unendlich wichtig.

Wulffs erste Worte rührten noch einmal an die Integrationsdebatte, die er nach eigenem Beteuern hatte befördern wollen. Für solche Zukunftsfragen, so seine Einlassung, werde ein Bundespräsident gebraucht, der uneingeschränktes Vertrauen genieße… Nach wie vor sei er überzeugt, von allen Verdächtigungen vollständig entlastet zu werden. Die Berichterstattung mancher Medien habe ihn und seine Frau „verletzt“.

Das war’s schon. Banal genug, ein bleichblasser Abschied. Grotesk das Missverhältnis zur mühsam gewahrten gravitätischen Form. Doch wie will man’s anders machen?

Für Sekunden habe ich es für möglich gehalten (für möglich halten wollen), dass Wulff – mitten im Satz – bitterlich weinend zusammenbricht und sich bebend an seine Frau klammert. Doch so etwas geschieht nicht im Staatstheater.

Angela Merkel erhob Wulff in ihrer schmallippigen Erklärung kurzerhand zum Integrations-Präsidenten, der wichtige Impulse gegeben habe. Beschönigung muss in solchen Fällen wohl sein. Über die Gegangenen nur Gutes. Man wird sehen, was die Ermittlungsbehörden noch herausfinden.

Doch von tragischer Fallhöhe kann man hier wahrlich nicht mehr sprechen. Allzu gewöhnlich waren die Umstände, die zum Rücktritt geführt haben.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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5 Antworten zu Der bleiche Abschied des Christian Wulff

  1. Bernd Berke sagt:

    Es ist doch ein Treppenwitz, dass Grüne und SPD (mit rabiater Unterstützung Röslers) der Kanzlerin diesen Kandidaten nachgetragen haben, der ideologisch eher zu Merkel passt.

  2. Michaela sagt:

    Ach – nun hat sie ihn hingenommen!

  3. Britta Langhoff sagt:

    Fast muss man ihnen widerwillig Respekt zollen, den Herren Guttenberg, Sauerland, Köhler und jetzt Wulff: für die Chuzpe, mit der sie schmallippig ihre als ungerechtfertigt empfundenen Kränkungen verkünden. Demnächst sind wir soweit: Dann muss das Volk die aufgebrachten Politiker beruhigen und nicht mehr umgekehrt.

  4. Bernd Berke sagt:

    Frau Merkel hat vermutlich schon dutzendfach in diverse Tische gebissen und ausgerufen: „Ach, hätte ich doch damals den Gauck hingenommen!“

  5. Rudi Bernhardt sagt:

    Er kam blassbleich, schäumte sich für kurze Zeit zum Karrenzieher einer Augenhöhen-Integration auf – was kurzfristig sogar gelang – er blieb und fiel zunächst nicht weiter auf, dann folgten die Schlagzeilen in der Art eines überdrehten Metronoms, er blieb, auch wenn die Inhaltsleere dieser Schlagzeilen zunahm und die Wichtigkeiten alsbald zu Nichtigkeiten verkamen, die Chronisten zu Beckmessern, und er blieb, bis er blassbleich aus seinem Amt schied.

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