Denkwürdige Vokabeln (6): „Risikofreudig“

Es fiel mir sozusagen wie Schuppen aus den Haaren – oder hieß das Schuppen von den Augen? Na jedenfalls hörte ich aus dem Munde eines jungen Kollegen, dass ihn sein Bank-Berater ganz toll informiert habe. Der hätte ihm zunächst einmal eine sehr konservative Möglichkeit angeboten, sein Bares zu mehren, sozusagen in der Art eines Eichhörnchens, langsam, aber sicher. Und unter dem verschämten Geständnis, dass er als Banker derzeit eher mal bei diesen Dingen zurückhaltender sei, die sogenannte „risikofreudiger“ Version, sozusagen turboschnell, aber mit möglichem Totalverlust.

„Risiko-freudig“, eine Vokabel , die besonders gern in der Bankenwelt und ihrer näheren Umgebung, also auch bei denen, die über die Bankenwelt berichten, Wirtschaftsjournalisten, genutzt wird. „Risiko“ allein, das klingt schon eher so, als solle man Anlagen dieser Art mit Vorsicht genießen. Niemand indes käme auf den Gedanken, mit Risiken behaftete Anlagen als „gefährlich“ für die Kunden-Barschaft zu beschreiben, das wäre ja zu eindeutig abschreckend. Aber „Risiko“ für sich gestellt ja eigentlich auch.
Was tun? Eine frische und eher kecke Wortschöpfung muss her. Die sollte die Aussagen vor sich her tragen, dass eigentlich mit heiterem Auge dem immerhin möglichen Untergang des eigenen Geldes entgegengeblickt wird, freudig also. Die sollte ebenso implizieren, dass Risiken nicht im eigentlichen Sinne negativ sind, sondern eine Schwelle, über die jung-dynamisch gehüpft werden sollte. Positiv denkend, an eine sichere Landung glaubend, auch wenn jenseits der Schwelle ein tiefes Loch sein könnte, in das man unversehens stürzen kann.

„Risikofreudig“ setze ich denn nun zu einem Sprung an, der Herr mit dem Schlips und dem jung-dynamischen Gel im Haar lächelt vermutlich nur ermunternd, nicht etwa wegen der zu erwartenden Prämie, wenn ich unterschreibe. Ach nee, ich nehme denn doch lieber den Bundesschatzbrief, auch wenn der nur ein säuerliches Lächeln meines Gegenüber auf dessen marktkonforme Schmallippigkeit zaubert.

Und dann werde ich wach – beruhigt stelle ich fest, dass ich „Risikofreude“ nur im Traum erlebe. Bin halt ein ökonomischer Langweiler und bleibe konservativ. Ist ja auch so eine denkwürdige Vokabel für zwei sehr gegensätzliche Verhaltensweisen. Man kann auch als fortschrittlich denkender Mensch konservatives Handeln bevorzugen, ebenso wie man als Konservativer ungemein unfortschrittlich sein kann.

„Meine Sorgen möchte ich haben…“
(nicht von mir, sondern von Tucholsky)

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