„Mächtiger Körper, Wahnsinn im Glas“: Das Vokabular der Weinverkostung

In vino veritas! Wer wollte bestreiten, dass im Wein der Widerschein von Weisheit und Wahrheit funkeln kann? Das edelste aller Getränke spornt den Menschen seit jeher auch zu sprachlichen Anstrengungen an, mit denen er den zahllosen Geschmacksnoten halbwegs gerecht werden will – ein ähnlich schwieriges Unterfangen wie die verbale Umschreibung musikalischer Nuancen.

Von einem Schloss zum anderen... (Foto: Bernd Berke)

Von einem Schloss zum anderen… (Foto: Bernd Berke)

Der mindestens ebenso starke Hang zur Bequemlichkeit hat allerdings eine standardisierte, vielfach zu Formeln geronnene Sprache mit sich gebracht, die sich derart in Schwärmerei und Huldigung ergeht, dass oft genug die Gefilde des Lächerlichen gestreift werden. Da wird geraunt, rhapsodiert, psalmodiert und in die Harfe gegriffen, dass es nur so rauscht.

Aus zwei umfangreichen Weinkatalogen renommierter Häuser (Hanseatisches Wein- und Sektkontor sowie Tesdorpf) habe ich gängige Floskeln des Rühmens herausgepickt, wie sie nach der Verkostung offenbar so anfallen. Am Schluss dieses Beitrags finden sie sich in einer Auflistung, quasi fürs Vokalbelheft.

Mutmaßung: Wer die wichtigsten Signalwörter einigermaßen stilsicher anwendet, der ist schon ziemlich gut für den Verkauf gerüstet. In diesem Sinne ist es eine peinliche Entgleisung, wenn hie und da von „Powerwein“ gemunkelt wird. Die unbedarfte Wortschöpfung passt nicht in eine Welt, in der ansonsten Jahrhunderte währende Traditionen beschworen werden und in der etwa die Punktewertung des Wein-Gurus Robert Parker wie in einer Monstranz einhergetragen wird.

Bei all dem vermengen sich Begrifflichkeiten für Duft- und Geschmacksnoten manchmal bis zur Unschärfe. Überhaupt gewinnt man bei fortlaufender Lektüre solcher Beschreibungen den Eindruck, dass man die häufigsten Weinwörter nahezu beliebig kombinieren und stapeln kann – schon klingt es nach dem Jargon der Eingeweihten. Doch fragt man sich bang, wie die stille Post von den hochsensiblen Degustierern zu den Werbetextern gelangt. Ob da immer alles so ankommt, wie es gemeint war?

Vollmundige Lobpreisungen setzen bereits bei Gewächsen an der 12-Euro-Grenze ein, so dass bei edlen Tröpfchen zu mehreren tausend Euro pro Flasche auch sprachlich die Luft nach oben ganz dünn wird. Die stets selig schwelgenden Texter haben ihr Pulver, so scheint es, schon längst auf dem Gelände der moderaten Einstiegspreise verschossen. Was soll man verbal noch nachlegen, wenn man schon den einen oder anderen 25-Euro-Wein der „Weltklasse“ zugerechnet hat? Hier empfiehlt es sich vielleicht, die Fachsprache noch entschiedener zu systematisieren, also auf strenge Hierarchie zu trimmen und bestimmte Worte nur den teuersten Weinen vorzubehalten…

Es fällt auf, dass der Hanseaten-Katalog immerzu mit dem Begriff „Körper“ („saftiger Körper“, „mächtiger Körper“) wuchert und so manchen „Abgang“ („warm und schön lang“) getreulich verzeichnet, während es Tesdorpf eher mit Struktur, Statur und Finale hält. Im Großen und Ganzen aber überschneidet sich das wabernde Vokabular der Weinbeschreibung, wie es sich in vielen Jahrzehnten verfestigt hat. In aller Regel sind die angepriesenen Weine zumindest harmonisch und gut ausbalanciert, sodann beispielsweise nobel oder vital. Mit steigenden Preisen mehren sich denn doch Verzückungsworte wie diese: umwerfend, atemberaubend, betörend, hinreißend, bezaubernd, aristokratisch, majestätisch, zum Niederknien, monumental, unergründlich oder unbegreiflich. Man muss sich das mit tremolierender Stimme und weit ausholender Geste von einer gülden umrahmten Bühne herab gesprochen vorstellen. Oder gleich vor einem Altar mit Tabernakel.

Da wir hier in einem Kulturblog sind, folgen jetzt noch vier erlesene Wein-Vergleiche aus dem Reich der Künste. Bitte festhalten, es geht gleich scharf in die Kurve:

Tänzerisch wie der leichtfüßige Tanz des legendären Rudolf Nurejew.

Hier perlen die Aromen wie Bach’sche Fugen.

…zart konturiert wie ein Bild von Claude Monet

…überrascht mit aromatischen Wendungen wie eine Oper von Verdi

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So. Und nun der samt und sonders aus Originalzitaten geschöpfte Lernstoff, der beim nächsten Mal „sitzen“ soll, ganz nach dem altbewährten Motto: Hefte `raus – Klassenarbeit!

Kleines Weinbeschreibungs-Lexikon

ABGANG, FINALE & Co.

Erstaunlich frischer Abgang

Der Abgang ist warm und schön lang

Nachhaltiges Finale

Mit grandiosem Feuerwerk im Finale

Im Finale macht sich eine leicht malzige Würze bemerkbar

Mit einem sehr langen Finish

Ewig langes Finish

Konzentrierter, zugleich aber filigraner Nachhall

Tiefer und langer Nachhall

Langer, saftiger Nachhall

Beträchtliche Persistenz

Von beeindruckender Persistenz

FRUCHT

Die Aromen sind fruchtig und floral

Reife Frucht und kühle Mineralität wunderbar ausbalanciert

Geradlinig fruchtig

Schön prononcierte Fruchtaromen

Fruchtbetont

Delikate Frucht

Richtige Balance von Frucht, Frische und Volumen

Sehr schön ausgefeiltes Frucht-Säure-Spiel

Mit prallen Frucht-Aromen und überbordender Vitalität

Subtile, hochelegante Frucht

Üppige, elegante Frucht

Üppige und auskleidende Frucht

Saftig pikante Frucht

Brillanz der prallen Frucht

Feuerwerk delikat fruchtiger Aromen

GAUMEN

Der Gaumen ist samtig

Am Gaumen schmelzig und rund

Am Gaumen vielschichtig und samtweich

Am Gaumen sauber und erfrischend

Am Gaumen substanzreich und komplex

Am Gaumen wirkt er schlüssig und stimmig

Am Gaumen ein Schmeichler

Die Präsenz am Gaumen ist geschmeidig und sehr samtig, zeigt aber durchaus Kraft und Muskeln

…der den Gaumen liebkosend willkommen heißt

…dessen Präsenz am Gaumen einem Vulkanausbruch gleichkommt

Am Gaumen entwickelt sich ein regelrechter Sturm der Aromen

Der Gaumen wird von runden, samtigen Gerbstoffen zart gestreichelt

KÖRPER

Beeindruckt mit Frucht, gutem Körper und Tiefe

Hat einen vollen Körper

Mit charakteristischem und stabilem Körper

Mächtiger Körper

Am Gaumen mit tollem Körper

Der Körper ist stabil

Saftiger Körper

MINERALITÄT

Mineralische, erdige und leicht florale Noten

Hintergründige Mineralität

Beinahe salzige Mineralität

Rassige Mineralität

Hintergründige, feinherbe Mineralität

Säurespiel mit mineralischem Nerv

Cremige Mineralität

Erfrischende Mineralität

…ruht die Frucht auf einem mineralischen Kissen

NASE

Die Nase ist klar

Zeigt eine reife Nase

Vielschichtige Nase

Eine saubere, klare Nase

Hat eine konzentrierte Nase

STRUKTUR

Plus an Struktur und Kraft

Elegante Struktur

Subtile Struktur

Samtig-weiche, noble Struktur

Tiefgründig strukturiert

Von verwobener Struktur

Nobel strukturiert

Türmt sich die aromatische Struktur geradezu auf

Weit ausholende Struktur

Sehr reich in seiner Struktur

Verzaubernd strukturiert

Bezaubernd im reich strukturierten Duftspiel

Fein geschliffene Struktur

TANNINE

Angenehme Tanninstruktur

Seidenfeine Tannine

Seidige Tannine

Durch sechs Monate Barrique geschmeidig gewordene Tannine

Tanninrückgrat

Mit seidigen Tanninen gut strukturiert

Tannine sind fest und stabil

Runde Tannine

Weiche Tannine

Tannine sind fein und zurückhaltend

In Samt und Seide gehüllte Tannine

Zart schmelzende Tannine

Feinmaschige Tannine

Zarte, reife Tannine ummanteln den Säurenerv

TEXTUR

Die Textur ist viskos

Seidenfeine Textur

Feincremige Textur

Perfekt eingebundene Textur

TERROIR

Schieferkalk-Terroir

Schiefer-Terror

Terroirbezogen

Nektar des Bordelaiser Terroirs

VERSCHIEDENES

Spritzig frisch, lebendig

vital

juvenil

Mit dem besonderen „Pfefferl“

Maskulin im Auftreten

Geradezu muskulös

Blumige Akkorde

Herrlich saftig

Atemberaubendes Elixier, das sprachlos macht

Er ist tiefdunkel und deutet schon mit prächtigen „Kirchenfenstern“ Viskosität und Volumen an.

Samtig, sanft und auskleidend

„Outstanding“ schreibt Parker über diesen „Wahnsinn im Glas“.

Sensationell, nobel, feingliedrig, distinguiert und tiefgründig

Sagenhaft samtig, unglaublich dicht, hochelegant und doch kraftvoll

Kostümiert sich mit einem filigranen Duftspiel

Hinreißender Wein mit magischem Tiefgang

Komplexes aromatisches Geflecht

Schmeichelt den Sinnen wie eine warme, sternklare Nacht

…dass die Sinne nicht nur vibrieren, sondern beben

AROMEN, BOUQUET

Ananas Anis Apfel Aprikosen

Backpflaumen Beerenkonfitüre Birne Bittermandel Bitterschokolade Blaubeere Brioche Brombeere

Cassis

Datteln Dunkle Beeren Dunkles Steinobst

Eichenholz Erdbeeren Espresso Eukalyptus Exotische

Früchte Feigen Feuerstein Flieder Florale Komponenten

Gelbe Früchte Gewürzschränkchen Grapefruit

Haselnuss Himbeere Holunder Holz Honig Honigmelone

Jasmin Johannisbeere

Kaffee Kandierte Früchte Karamell Kernobst Kirsche Kirschkompott Konfitüre Koriander Kräuter der Provence

Lakritz Lavendel Lebkuchengewürz Leder Limetten Limonen Lorbeer Lychees

Mandelblüten Marillen Marzipan Maulbeeren Melone Minze Mokka Mokkabohnen

Nektarinen Nelke Nüsse

Orangenblüten Orangenschalen Orient-Tabak

Paprika Pfirsich Pflaumen Pflaumig-malzig-traubig Pfeffer Pilze

Quitte

Rhabarber Rosen Rosenholz Rosinen Rosmarin Röstaromen (dezente…) Rumtopffrüchte

Sandelholz Schattenmorellen Schokolade Schwarze Johannisbeeren Schwarze Oliven Schwarzer Tee Schwarzkirsche Stachelbeere Steinobst Süßholz Süßkirsche

Tabak Tarte au Citron Thymian Toastbrot Toffee Trockenfrüchte Trüffel

Vanille Veilchen

Waldbeeren Waldboden Waldfrüchte Walnüsse Weichselkirsche Weihrauch (Anmutung von…) Weinbergpfirsiche Weiße Blüten Weißer Pfeffer Wiesenblumen Wildkräuter

Zabaione Zartbitter Zedernholz Zigarrenkiste Zimt Zitronenbaiser Zitronengras Zitrusfrüchte Zwetschgen

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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3 Antworten zu „Mächtiger Körper, Wahnsinn im Glas“: Das Vokabular der Weinverkostung

  1. Ockenga sagt:

    Die Weinproben-Sprache ist eine illlusionierte und alkoholisiert verklausolierte Beschreibung
    von dem, was wir schon immer wussten. Zu Deutsch: Jeder Wein der schmeckt ist? Gut!!.

    Die Weinprobe ist eine olionatura (weingeistige) und dabei doch solitäre Degustationserotik mit imaginärer Oralempfindung und einmaligem Charakter von Weinen und Menschen. Zu Deutsch:
    Die Weinprobe ist eine einmalig flüchtige und leichtgängige, von durch Alkohol unterstützte,
    Verkostungsfreude mit ein- und gebildeten aber auch unbeweisbaren Zungenerlebnissen.

    Eine komplizierte Weinverkostung: Auch bei der nächsten Vinumprobandum wird das Licht der
    unnachahmlichen merlotischen Erleuchtung wieder einmal heller scheinen, als es je in einer Alkolol-Umnachtung möglich sein könnte. Das Gleiche zu Deutsch: Auch bei der nächsten Weinprobe wird bei Einigen die vorherige Einbildung köstlicher schmecken als es je Betrunkenen nachher möglich ist.

    Ockenga

  2. ChaLi sagt:

    Bin komplett dahingerafft von deiner Sprachgewalt. Würd vor lauter Begeisterung gern zitieren, wovon genau (weil’s so blulmigsaftigatemberaubendmuskulösfeingliedrigtiefgründig klingt), weiß nur leider nich, wo anfangen.
    Egal – wär eh redundant.
    Is ja auch schon spät, und daher begebe ich mich mithinnen zur „verwobenen, nobel strukturierten & sich geradezu auftürmenden Struktur“ uswusf.
    Oder auf Prosaisch: Oans, zwoa: gsuffa.

  3. Werner Häußner sagt:

    Wunderbar! Danke! Genau richtig zur ProWein in Düsseldorf veröffentlicht. Darf ich dann über florale Gaumen und muskulösen Abgang berichten? (Oh, hoppla, oder habe ich schin jetzt mit 0,0 Promille die Begriffe etwas durcheinandergeworfen…?).

    Aromatische Grüße mit donnerndem Nachhall!

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