Der Veranstaltungsort als Ausstellungsstück: Bonner Bundeskunsthalle widmet sich der Postmoderne

Alessando Mendini: „Interno di un interno (Sofa)“, 1990 (Foto: Collection Groninger Museum, Bundeskunsthalle Bonn)

Sind wir zu früh? Über die „Postmoderne“ – um die geht es hier – ließe sich eigentlich doch erst streiten, wenn man sie gut und ganz im Blick hätte. Dafür müßte man sie aber verlassen haben, sich in einer Art Post-Postmoderne befinden mit sachlich-distanziertem Blick auf das, was bisher geschah.

Wenn die Bonner Bundeskunsthalle nun in einer großen Ausstellung eben jene Postmoderne zum Thema macht: „Alles auf einmal: die Postmoderne. 1967 – 1992“, mag der Grund auch eher schlichter Natur sein. Sie sind nicht eher fertiggeworden. Eigentlich war diese oder eine doch recht ähnliche Veranstaltung geplant für das Jahr 2022, in dem nämliche Bundeskunsthalle 30 Jahre alt wurde. 1992 fing das an in Bonn, man erinnert sich, wenn man älter ist.

Sehr postmodern: Die spitzen blauen Türmchen auf dem Dach der Bundskunsthalle (Foto: Bundeskunsthalle Bonn)

Blaue Türmchen

In Sonderheit erinnert man sich aber auch an die damals wiederholt geäußerte Kritik an der Architektur dieser Bundesinstitution, die den bombastischen, triumphal-verspielten, quasi „unsachlichen“ Stil des Gebäudes geißelte. Die blaubunten Spitztürmchen auf dem Dach wurden heftig kritisiert, ebenso die Säulen auf Seiten der Helmut-Kohl-Allee, von denen jede für ein Bundesland stehen sollte, alte wie neue. Manchen Kritikern zeigte das Bauwerk gar Anklänge an nationalsozialistische Überwältigungsarchitektur, und das in etwa zeitgleich entstehende Museum des Bonner Kunstvereins mit seinem pompösen Entree gleich gegenüber tat das Seine (wenn man so will), um dieses Architekturensemble verwerflich erscheinen zu lassen.

Zeiträume

Tja. Das alles, und noch viel mehr, hätte man 2022 mit einer gewissen Schlüssigkeit wieder erzählen können. Doch dann wurde die Schau nicht fertig, Corona vermutlich, und das runde Datum schwand dahin. Um der jetzigen Ausstellung wenigstens ein bißchen Aktualität mitzugeben, hat man neben 1992 auch noch die Jahreszahl 1967 in den Titel geschrieben. So ergeben sich zwei annähernd gleich große Betrachtungszeiträume von 25 und 31 Jahren, 1967 bis 1992 und 1992 bis 2023, und bei allen Vorbehalten gegenüber allzu zeitnaher historischer Betrachtung weisen diese beiden Zeiträume fraglos unterschiedliche Prägungen auf. Eine „Erfindung“ der Bonner Ausstellung sind die beiden Jahreszahlen als Zäsuren der Postmoderne übrigens nicht, man findet sie, geäußert meistens unter Vorbehalt, auch andernorts.

Ettore Sottsass‘ Regal „Carlton“ der italienischen Postmoderne, beschichtet & bedruckt (Foto: Bundeskunsthalle Bonn)

Alles mögliche

Großen Wert legt Kolja Reichert, der die Ausstellung neben seiner Chefin Eva Kraus maßgeblich gestaltete, darauf, daß in Bonn nicht nur Architektur und Design zum Zuge kommen, sondern alle Künste, die Philosophie, der technische Fortschritt, die politischen Bewegungen. Nun gut; doch der Begriff der Postmoderne bezog sich in der ersten Hälfte der 90er Jahre – und da führte man ihn durchaus im Munde – ganz wesentlich auf Architektur und Design.

Gewiß, damals war der Kalte Krieg zu Ende, und Francis Fukuyamas Buchtitel „Das Ende der Geschichte“ machte die Menschen glücklich, weil sie es mit einem Ende von Krieg und Gewalt gleichsetzten. Aber sichtbar wurde Postmoderne vor allem – eben – in Dingen, Architekturen, Veranstaltungen. Nicht das Motto der Moderne „Form Follows Function“ galt fürderhin, sondern, in den Worten Eva Kraus’, „Form Follows Fun“. Man war weitgehend frei in der Gestaltung, bewundernd sprachen die Betrachter von einer Revision der Moderne oder, je nach dem, von Methodenpluralismus.

Ruiniert und verspielt

Ein bißchen Unsicherheit war aber wohl auch mit im Spiel, was die Ausstellung in ihrer Struktur sinnfällig spiegelt. Nach einer ersten, etwas anmaßend mit „Das Erwachen der Medien“ überschriebenen und mit vielen flachen Bildern bestückten Abteilung wird in der zweiten „die Moderne buchstäblich in die Luft gejagt“ (O-Ton Katalog) – in Zeichnungen, Film-Stills und Videos, aber auch (scheinbar) in der (fotografierten) Trümmer-Architektur James Wines‘ für die Supermarktkette „Best“. Doch die Postmoderne bot auch viel Platz für Verspieltheiten wie die pompös-barocken, knallbunt bezogenen Sessel und Sofas  Alessandro Mendinis, die weitgehend funktionsfreien, als Raumteiler titulierten vielfarbigen Holzgebilde von Ettore Sottsass, die frei fantasierte und nur scheinbar maßstäblich verkleinerte Ideallandschaft „Piazza d’Italia“ von Charles Moore. Auch eine Arbeit David Hockneys hat man hier einsortiert, „Kerby (After Hogarth), Useful Knowledge“, entstanden 1975, unerwartet allegorisch.

David Hockeys Bild „Kerby (After Hogarth), Useful Knowledge“ (1975), Oil on Canvas (Foto: David Hockey Collection, Museum of Modern Art (MOMA), New York, Pru Cuming Associates Ltd., Bundeskunsthalle Bonn)

Aerobic

Körperkult – Jane Fonda und Aerobic – und bei aller Skepsis auch ein gewisser Machbarkeitswahn sind weitere Stichworte der Schau, dargeboten ganz überwiegend mit flachem Bildmaterial. „Richtige“ Objekte aber sind bei Mode und Design zu bestaunen. Wir begegnen Alessis weltberühmten Salzstreuern und Pfeffermühlen, den putzigen PCs der Siebziger, den wattierten Schultern, den ehrfurchtgebietenden Schnurtelefonen mit Tasten, silbernen Teegeschirren, utopistischen Auto-Karosserien und manchem mehr. Über die Sinnhaftigkeit der Zusammenstellung möge das Publikum befinden. Denn wie gesagt: Wir sind ja viel zu nahe dran, als daß abschließende Urteile möglich wären, und je nach Perspektive mag die Gewichtung unterschiedlich erlebt und gutgeheißen werden.

Dröhnende Thesen

Allerdings irritiert mitunter die dröhnende Thesenhaftigkeit der Schau. Exemplarisches Zitat: „Kultur für alle!, heißt es ab Ende der 1970er-Jahre. Während der Sozialstaat rückgebaut wird, schießen Museen und Bibliotheken aus dem Boden. Die Idee ökonomischer Gerechtigkeit wird ersetzt durch kulturelle Teilhabe. Kultur wird zur Währung, die man haben muß.“ Ein bißchen revolutionär, ein bißchen anklagend, aber nicht zu sehr – vielleicht Kennzeichen des Kritisierens in der Post-Postmoderne, über die uns Nachfolgende in zwanzig, dreißig, vierzig Jahren schreiben werden.

Tea & Coffee von Aldi Rossi (1983) (Foto: Collection Groninger Museum, John Stiel, Bundeskunsthalle Bonn)

Schlechtes Beispiel

Als ein architektonisches Exempel der Kulturbauten in den Siebzigerjahren wird übrigens das 1977 eröffnete Centre Pompidou in Paris genannt; nur ganz leise sei vermerkt, daß dieses Haus in seiner Modernität (von Postmoderne sollte man sicherlich nicht reden, eher folgt ja hier ganz im Sinne der Moderne die Form der Funktion) in der Pariser Museumslandschaft nach wie vor ein Solitär ist. Das meiste, der Louvre vorneweg, ist gravitätisch und, wenn wir in diesem Begrifflichkeiten bleiben wollen, eher „vormodern“.

Blicken wir einmal noch in die Ausstellung. Medienpräsenz und Mediennutzung veränderten sich in den genannten Zeiträumen dramatisch, erzählt sie uns, die Clubszene expandierte, „Women of Colour“ erfanden die Identitätspolitik. Außerdem gab es Helmut Kohl und, nicht zu leugnen, das Erstarken einer neuen Rechten. Alles richtig.

Die Grünen

Es gab aber auch, und dazu findet sich wenig bis nichts in Katalog und Ausstellung, das Erstarken der Atomkraftgegner, der ökologischen Bewegung zunächst („Tunix“), der grünen Parteien späterhin in Deutschland und anderswo. Das geschah nicht nach dem Ende der Moderne, sondern wesentlich nach der Ernüchterung und der Selbstauflösung maoistischer Parteien wie KBW und KPD-AO. Auch die RAF hätte ungefähr hier ins Bild gehört, doch die Ausstellung bleibt da eigentümlich unpolitisch. Wie gesagt, bei der kurzen Betrachtungsdistanz noch erlaubt, aber nicht völlig zufriedenstellend. Doch vielleicht lohnt gerade dies den Besuch: Eigenes Erleben, eigene Erinnerung neben das zu stellen, was Ausstellungsmachern wichtig war.

Übrigens: „Anything Goes“, eine der vielen Zwischenzeilen dieser Schau, war 1934 schon Titel eines Musicals von Cole Porter. Was die Botschaft allerdings nicht schmälert.

  • „Alles auf einmal. Die Postmoderne, 1967 – 1992″
  • Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH (Bundeskunsthalle), Bonn
  • Bis 28. Januar 2024
  • www.bundeskunsthalle.de

 




Bonner Ausstellung sucht nach „Peinlichkeiten“ in der Kunst

Maria Lassnig: „Selbst als Almuth“ oder „Selbst als Almkuh“ (beide Titel sind zu finden), 1987, Öl auf Leinwand (Bild: Bundeskunsthalle / VG Bild-Kunst, Bonn 2022 / Maria Lassnig Stiftung)

Auch das „Advanced Learner’s“, das im Bücherregal seit ewigen Zeiten ein weitgehend unbehelligtes Dasein fristet, kannte es nicht, das Wort „camp“ in seiner besonderen Bedeutung für das Kunstgeschehen. Also Wikipedia, wo zu lesen ist, daß „camp“ „eine stilistisch überpointierte Art der Wahrnehmung kultureller Produkte aller Art (Film, Musik, Literatur, Bildende Kunst, Mode, Schminke etc.) (meint), die am Künstlichen und der Übertreibung orientiert ist“. Je nachdem kann man auch „campy“ sagen, das ist dann aber schon etwas despektierlich. Wieso interessiert der Begriff „camp“? Weil die Bundeskunsthalle in Bonn jetzt in einer Ausstellung Kunst zeigt, die – auch, manchmal – campy ist. Oder sein soll.

Schlagworte

„Ernsthaft?! Albernheit und Enthusiasmus in der Kunst“ heißt die Schau, deren Titel den Betrachter zunächst einmal ziemlich ratlos macht. Auch ein weiteres Schlagwort des textlichen Begleitmaterials, die „enthusiastische Peinlichkeit“, bringt ihn nicht wirklich weiter. „Peinlich“ ist uns ja vor allem als wertender Begriff aus dem Teenager-Sprech gegenwärtig („Mama/Papa, du bist peinlich“). Aber peinliche Kunst? Das läßt fast an Nazi-Formeln denken. Oder ist das alles nur Scherz? Wohl nicht.

Trubel im historischen Vergnügungspark – Blick in die Austellung mit Arbeiten von Adrien Rovero und Jim Shaw (Foto: Mick Vincenz, 2022, © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Historisch

Die Kunst, die in Bonn gezeigt wird, ist schön, aber weniger spektakulär als der Ausstellungstitel befürchten läßt. Verständlicher wird das ganze, wenn man auf die insgesamt sieben Kapitel schaut, in denen Jörg Heiser und Cristina Ricupero als Kuratoren „enthusiastische Peinlichkeit“ zu entdecken vermeinen. Grellrotbunter Blickfang – und erklärtermaßen Kapitel Nr. 1 – ist in prominenter Raumesmitte eine Installation von Adrien Rovero, die mit der Anmutung eines historischen Vergnügungsparks spielt. Hier wird das eigentlich Kleine groß und bunt und dramatisch gemacht, um Aufmerksamkeit zu erlangen. In dieses Umfeld wurde Jim Shaws ebenfalls ziemlich raumgreifende Arbeit „Labyrinth: I Dreamt I was Taller than Jonathan Borofsky“ (2009) platziert, deren Elemente wirken wie überdimensionierte  Pappe-Aufsteller mit großem Mitteilungsdrang. Auf der einen Seite werden anonyme Menschenmassen zusammengepfercht, während auf auf der anderen  ein überdimensionaler Staubsauger mit Ganovengesicht Menschen aufsaugt, die in Panik zu fliehen versuchen. Dominiert wird das alles von einem riesigen, traurigen Clown mit Vollbart, Tutu und Netzstrümpfen.

Vorbild für Rovero war der Luna Park auf Coney Island (New York), der 1903 als erster seiner Art eröffnete. Gemessen an Titel und Anspruch der Schau könnte man also fragen: Enthusiasmus? Na ja. Albernheit? Nicht wirklich. Aber auf jeden Fall ein kluges Spiel mit Proportionen in einer skulpturalen Überwältigungsarchitektur.

Wenn sie nur nicht so schielen würden! Hans-Peter Feldmann malte das Paar mit schielenden Augen (Cross-eyed couple) 2012. Öl auf Leinwand (Foto: Bundeskunsthalle, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Jan Windszus)

Was Künstler wollen

Die meisten anderen Werke sind erheblich kleiner, stehen im Raum oder hängen an der Wand, doch fast immer schwebt ein gerüttelt Maß Ambivalenz über dem Ganzen, zumal die Ausstellung der Frage wenig Bedeutung beimißt, ob Albernheit, Peinlichkeit und ähnliches nun der künstlerischen Intention entsprechen oder im Widerspruch zu ihr stehen.

Bei „Dada“ (zweites Kapitel) fällt die Antwort leicht; die Welt, der im Weltkrieg alle Gewißheiten abhandengekommen waren, sollte sich in der Kunst spiegeln, im „respektlosen Humor“ (Katalog) etwa von Alfred Jarry oder Marcel Duchamp. Die schrillen fotografischen Selbstinszenierungen der Baroness Elsa von Freytag-Lohringhoven aus den 20er Jahren wirken in diesem Kapitel gut aufgehoben. Eine Radierung Pieter Bruegels d.Ä. von 1642 („Die Narren“) hier unterzubringen, wollen wir allerdings mutig nennen. Doch eigen ist ihr wie den anderen Genannten, daß der Künstler der erklärte, quasi aktive Possenreißer ist.

MRZYK et MORICEAU: „Ohne Titel“, 2021, Tinte auf Papier (Foto: Bundeskunsthalle, © Courtesy the artists and Air de Paris, Romainville, Marc Domage)

Musentempel

„Das moderne Museum“ ist  Kapitel III übertitelt, das den Widerspruch zwischen der Feierlichkeit des Musentempels mit seinen Vorschriften, Absperrungen, Sockeln und der Respektlosigkeit der Künstler sehr schön pointiert. Hier gibt es Surreales von Magritte und de Chirico zu sehen, knallbunte Publikumsverhöhnung von James Ensor und einiges von Martin Kippenberger, dem die Bundeskunsthalle vor einiger Zeit ja eine umfangreiche Retrospektive widmete. Da hing viel Gutes, und etwas beispielsweise aus dem Projekt „Lieber Maler male mir“ hätte auch der aktuellen Ausstellung sicherlich gutgetan.

Kuratoren-Slapstick

„Trockenen Humor“ macht die Ausstellung in manchen Hervorbringen der Minimal Art/Konzeptkunst aus. „Man kann dieses Kapitel als einen sehr kühlen White Cube beschreiben, mit sich bewegenden Wänden und sich verschiebenden kleinen Objekten von Robert Breer und Sigmar Polke, mit Kuhportraits von Jef Geys oder den gefundenen, von Wollfäden umspannten Sonntagsmalereien von Lara Favaretto. Zusammen bilden diese Werke einen (fast) stummen Slapstick-Film“, meint die Pressemappe. Erfolgte der Aufbau der Arbeiten mithin in diffamierender Absicht? Selbst wenn es so wäre, kann der Rezensent den unernsten Eindruck aus eigener Anschauung nicht bestätigen, den die Ausstellungsmacher offenbar von dieser Kunst haben. Und es fragt sich schon, warum gerade sie schlecht wegkommt bei diesem gewaltigen Rundumschlag der Kunstbetrachtung.

Der schlechteste Regisseur aller Zeiten darf  nicht fehlen

Erstmal geht es jetzt aber weiter mit den B-Movies, entsetzlich schlecht gemachten Horrorfilmen aus den 50er Jahren, mit denen sich bekanntlich untrennbar der Name des Regisseurs Ed Wood verbindet, des „schlechtesten Regisseurs aller Zeiten“. Doch auch andere machten peinliche Filme (hier paßt das Wort direkt mal), die Bonner Ausstellung zeigt Filmplakate auch von Hervorbringungen wie „Die Satansweiber von Tittfield“ oder „Angriff der Killertomaten“ sowie aus dem asiatischen Raum.

Da wundern sich die Kuscheltiere: Paul McCarthys „Skunks“ von 1993 haben bemerkenswerte Pimmel. (Foto: rp)

Lustige Figuren

Die letzten Kapitel schließlich arbeiten sich an bereits erwähnten Begriff „camp“ und an „Post-Surrealismus/Post-Internet“ ab, an gegenwärtiger Kunst, deren Peinlichkeits- bzw. Spaßvaleurs, falls vorhanden, sich nicht immer unmittelbar erschließen. Auf dem Weg durch die Kapitel, der übrigens weit davon entfernt ist, so etwas wie eine Zwangsführung zu sein, gibt es jedenfalls viel Lustiges zu sehen. Besonders gefällt Hans-Peter Feldmanns Ölgemälde eines wohlhabenden bürgerlichen Ehepaars des 19. Jahrhunderts, das nur leider ganz grauenvoll schielt und dem damit jede Feierlichkeit abgeht. Auch Feldmanns Nofretete, hier mit Zweitauge, schielt zum Gotterbarmen.

Das Dortmunder Fotografenehepaar Anna und Bernhard Blume ist mit Bildern aus der „Holterdiepolter“-Serie von 1977/78 ebenso vertreten wie Isa Genzken mit ihrer Figureninstallation „Family on the Beach“ (2015) oder George Grosz mit der Zeichnung „Schwejk: ,melde gehorsamst, daß ich blöd bin’“ von 1928. Ausgesprochen stark ist Maria Lassnigs „Selbst als Almuth“ (oder „Selbst als Almkuh“) (1987), geradezu umwerfend sind Paul McCarthys „Skunks“ von 1993 mit ihren stattlichen Pimmeln, wie sie sich für süße Stofftiere doch eigentlich nicht gehören, auch wenn sie überlebensgroß sind.

Ein Platz in der Kunstgeschichte?

Und so weiter, man könnte endlos aufzählen. Dabei fällt schon auf, daß der Auswahl der Werke eine gewisse Beliebigkeit eigen ist, die im Gegensatz zu den relativ eng gefaßten Betextungen steht. Ob der Begriff der Peinlichkeit, der enthusiastischen zumal, seinen Platz in der Kunstgeschichte finden wird? Dann hätten sich die Kuratoren ein veritables Denkmal gesetzt. Immerhin hat es schon mal für eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle gereicht, hernach wird sie in Hamburg (Deichtorhallen/Sammlung Falckenberg) und in Graz zu sehen sein.

  • „Ernsthaft?! Albernheit und Enthusiasmus in der Kunst“, Bundeskunsthalle, Bonn, Helmut-Kohl-Allee 4
  • Bis 10. April 2023.
  • Eintritt 13 Euro, erm. 6,50 Euro, bis enschl. 18 Jahre frei.
  • Allg. Informationen Tel. 0228 9171 200

www.bundeskunsthalle.de




Ein äußerst konservatives Verständnis von Kunst – Sammlung des Bundes zeigt ihre Neuerwerbungen in Bonn

„Question #2: When Are We Right“ und „Question #2: When Are We Wrong?“ von Isaac Chaong Wai (2021) (Foto: Mick Vincenz, 2022 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Und anschließend überlegt man, was wirklich überwältigend war. Spontan eigentlich: Nichts. Oder vielleicht der große hölzerne Guckkasten von Dirk-Dietrich Henning, in dem er in großer räumlicher Tiefe Bildebenen montiert hat, Ausgeschnittenes überwiegend in Schwarzweiß, eine Fleißarbeit. Der französische Titel ließe sich in etwa mit „Schwäche der Leichtgläubigen“ übersetzen, und darunter kann man sich ja eine Menge vorstellen. Große Holzkiste also, eindrucksvoll. Aber sonst?

Der Titel dieses Bildes gab der Kunstschau den Namen: „Identität nicht nachgewiesen“ wurde, so der Ausstellungskatalog, einer Frau aus Afrika auf den Ablehnungsbescheid gestempelt, als sie versuchte, ein Bankkonto zu eröffnen. (Bild: Bussaraporn Thongchai, Courtesy the artist, Sammlung des Bundes)

Soeben wurde besichtigt, was zwei Auswahlgremien in den Jahren 2017 bis 2021 für die Sammlung des Bundes vorwiegend wohl auf Kunstmessen in Köln, Berlin und Basel zusammengekauft haben, 170 von insgesamt 360 Arbeiten. 4,5 Millionen wurden ausgegeben, was nicht zu kritisieren ist. Doch die Kunst selbst – oder sagen wir besser, der offenbar zugrundegelegte Kunstbegriff – wirkt doch ausgesprochen mager und ausschnitthaft. Kunst ist, daran läßt diese Kunstschau keinen Zweifel, was man an die Wand hängen, auf die Erde stellen, schlimmstenfalls auf die Wand projizieren oder über einen Fernsehbildschirm laufen lassen kann. Wand anmalen geht auch noch. Als inhaltlichen Anspruch formuliert Susanne Kleine, Kuratorin dieser Ausstellung, im Vorwort des Kataloges den Anspruch, den man an die Werke stellte: „Diversität, Toleranz und gesellschaftliche und persönliche Hinterfragungen sind Kriterien, nach denen die Werke ausgesucht worden sind“. Der Souverän, repräsentiert durch die Auswahlkommission, mag es demnach brav und handzahm.

Auch das könnte Kunst sein

Aber wenigstens fragen möchte man doch einmal, wo all die anderen Kriterien geblieben sind, die spannende, berührende Kunst ebenfalls ausmachen können -–Erotik beispielsweise, Wut, Spontaneität, Provokation, vielleicht aber auch Verspieltheit und Obsession, oder die Hingabe an Form und Material. Und natürlich das, was ein verbaler Kriterienkatalog eben nicht adäquat beschreiben kann, was ahnt und raunt und diffus bleibt.

Zuzanna Czebatul: „Siegfried’s Departure“ (2018) (Foto: CAC Futura Prag, Zuzanna Czebatul/Sammlung des Bundes)

Künstler und Werk

Der Kunstbegriff, auf den man hier stößt, ist extrem konservativ. Er kennt nur die Spielpaarung Künstler und Werk, gerade einmal Zweiergruppen sind im Teilnehmerverzeichnis noch auszumachen. Längst jedoch, es genügt ein Blick in die nähere Nachbarschaft, gibt es eine umfangreiche Kunstproduktion jenseits der hier übermäßig bemühten Schemata, die sich nicht sonderlich um die althergebrachten Fachabteilungen kümmert. Man denke da beispielsweise an Künstlergruppen wie „Rimini Protokoll“, der man mit Arbeiten wie „Urban Nature“ im Theater ebenso begegnen kann wie im Museum oder bei einem Musikfestival; oder an das „Zentrum für politische Schönheit“, dessen gewiß nicht immer geschmackvolle Aktionen doch nicht nur politische Demonstrationen sind, sondern eben auch Hervorbringungen mit ästhetischen Qualitäten. Erinnert sei auch an das indonesische Künstlerkollektiv ruangrupa, das in diesem Jahr die Documenta in Kassel kuratiert.

Die Rolle der Kuratoren

Hier wäre übrigens, ganz beiläufig, die Stelle, an der man sich zudem über den Einfluß der Kuratoren auf Kunstproduktion und –präsentation ein paar kritische Gedanken machen könnte, aber das führte im Moment wohl zu weit. Gleichwohl: Müßte man nicht auch für sie, die Kuratorinnen und Kuratoren, ein warmes Plätzchen in der Bundeskunsthalle reservieren?

Bild aus der Fotoserie „The Last Drop – Indien, Westbengalen“ von Anja Bohnhof (2019) (Bild: © Anja Bohnhof/Sammlung des Bundes)

Schließlich, und die Liste könnte durchaus noch länger werden, fehlt das, was mit eher unklarer Kontur als Computerkunst bezeichnet wird – mehr oder weniger geschickte Versuche, dem monströsen Thema IT (oder in letzter Zeit, schlimmer noch: KI) mit einer analog rezipierbaren künstlerischen Beschäftigung zu begegnen. Im Dortmunder Hartware Medienkunstverein im Kulturzentrum „U“, dies nur am Rande, ist in einer schön zusammengestellten Ausstellung zu sehen, wie sich vorwiegend jüngere Künstlerinnen und Künstler dem Thema annähern (Besprechung in den Revierpassagen). Nicht jeder Versuch ist Gold, doch schon der Versuch ist zu preisen. In Bonn gibt es zu diesem Thema nur weißes Rauschen.

„Hochdrücken“ von Kristina Schmidt (2018) (Bild: © Kristina Schmidt/Sammlung des Bundes)

Erwartet wird Haltung

„Es läßt sich beobachten, daß heute verstärkt Stimmen zu Wort kommen, Haltungen sich abzeichnen, Persönlichkeiten unterstützt werden, die sich besonders gut darauf verstehen, das fragile System unserer Gesellschaft, Demokratie und unseres Planeten zu durchleuchten“, schreibt Bundeskunsthallen-Intendantin Eva Kraus im Vorwort zum Katalog. Große Worte, kaum zu widerlegen. Aber natürlich läßt sich dieser Trend eben deshalb beobachten, weil entsprechend ausgesucht wurde. Blickt man auf den Kunstmarkt, wie er sich beispielsweise in Versteigerungen darstellt, erhält man ein gänzlich anderes Bild von Marktwert und Relevanz der Kunst – übrigens auch im drei- oder vierstelligen Euro-Bereich.

Man vermißt die prominenten Zeitgenossen

Kuratorinnen und Kuratoren kamen in der ersten Auswahlperiode vom Hamburger Bahnhof in Berlin, vom Kunstmuseum Stuttgart, der Kunsthalle Bielefeld, der Insel Hombroich und der Bundeskunsthalle selbst; im zweiten Durchgang von den Kunstsammlungen Chemnitz, dem Münchener Museum Brandhorst, dem Kunstverein für Mecklenburg und Vorpommern in Schwerin, dem Kunstverein Braunschweig, dem Westfälischen Kunstverein in Münster und der Städtischen Galerie im Münchener Lenbachhaus. Die Künstler sind dem Verfasser dieser Zeilen mit zwei, drei Ausnahmen unbekannt, und in 20 Jahren, so steht zu befürchten, werden sie dem Großteil des Publikum immer noch unbekannt sein. Warum gibt es in einer nationalen Kunstsammlung keinen aktuellen Neo Rauch? Oder einen Jonathan Meese? Oder einen anderen oder, nota bene, eine andere? Nur als Beispiel. Eine „Sammlung des Bundes“, deren Name auch Anspruch wäre, sollte über Werke der deutschen Künstlerprominenz verfügen können.

  • „Identität nicht nachgewiesen – Neuerwerbungen der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland“
  • Bundeskunsthalle Bonn
  • Bis 3. Oktober 2022
  • www.bundeskunsthalle.de



„Das andere Geschlecht“ – Bundeskunsthalle erinnert an Simone de Beauvoirs Klassiker der Frauenbewegung

Simone de Beauvoir an ihrem Schreibtisch in Paris im Jahr 1945. (Foto: akg images, Denise Bellon / Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Ein rundes Datum gibt es nicht, es ist auf jeden Fall schon lange her. 1949, vor 73 Jahren mithin, erschien Simone de Beauvoirs bahnbrechendes Werk „Le deuxième sexe“, dessen Titel im Deutschen zwei Jahre später nicht ganz exakt mit „Das andere Geschlecht“ übersetzt wurde. Genau genommen eben das zweite, nicht das andere.

Die Ordnungszahl Zwei verweist schon auf die Rangfolge, die „den Mann“ seit ewigen Zeiten auf Platz eins stellt, was Beauvoirs Buch „als eine sozialwissenschaftliche und existentialistische Studie“, so die Pressemitteilung, ausgiebig referiert. Jetzt widmet die Bundeskunsthalle dem Buch und seiner Autorin eine durchaus ansprechende Ausstellung, die Katharina Chrubasik kuratiert hat.

Das intellektuelle Paris

Wie die meisten Literaturausstellungen mangelt es auch dieser naturgemäß an Exponaten. Herausragend ist deshalb ein wenige Zentimeter hoher Giacometti-Kopf, den der berühmte Skulpteur von Simone de Beauvoir fertigte. Erläuterungen und Zitate, gefällig auf die Wände appliziert, prägen den Gesamteindruck stark. Viele Fotos im zeittypischen Schwarzweiß lassen jedoch auch ein Gefühl entstehen für das wilde, aufbegehrende, intellektuelle Paris der frühen 50er Jahre, wo die Szene Jazz hörte und der Existentialismus zur dominierenden (westlichen) Nachkriegsphilosophie wurde. Eine hübsch nachempfundene Café-Bestuhlung in typischem Thonet lädt zur Rast und zum Blättern in verschiedenen Ausgaben des Buches, Übersetzungen zumal, ein.

Die erste Ausgabe von „Le deuxième sexe“ von 1949 in zwei Bänden. (Foto: Laurin Schmid, 2022 / Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Kämpferische Frauen

Trotz moderner Medien wie Video- und Hörstationen ist diese Schau natürlich eine nostalgische Veranstaltung; auch die Schwarzweiß-Fotos kämpferischer Frauen, die in der Bundesrepublik gegen den Paragraphen 218 auf die Straße gingen, sind schon 50 Jahre alt. Das wird erst anders im letzten Raum. Hier laufen Filme mit den Interviews, die Alice Schwarzer seit 1972 regelmäßig mit Simone de Beauvoir führte und die auch heute noch die Wucht spüren lassen, mit der politische Frauenthemen damals ins Öffentliche drängten. Das formale Setting mit Interviewerin und Interviewter kann und will nicht verbergen, daß die beiden Frauen gut und vertrauensvoll befreundet waren. Auch zu Beauvoirs Lebenspartner Jean-Paul Sartre bestand eine enge Freundschaft, an die sich Alice Schwarzer im Pressetermin lebhaft und streckenweise gar humorvoll erinnerte. Die Diskussionskultur des berühmten Intellektuellenpaars sei hoch gewesen, vorbildlich und entwaffnend, Widersprüche hätten sie als Material für produktive Gespräche sehr geschätzt.

Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir bei einem Cuba-Besuch 1960. Mit im Bild: Gastgeber Fidel Castro (stehend). (Foto: ullstein Bild – Pictures from History – Ionary Zeal / Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Auf dem Index

„Das andere Geschlecht“ kam bei Gallimard heraus und war ein großer literarischer Erfolg, wurde in der ersten Woche 22.000 Mal verkauft. Die erste deutsche Übersetzung folgte 1951 mit dem irgendwie doch zeittypischen Untertitel „Sitte und Sexus der Frau“. Weitere Ausgaben, so 1953 die englische, waren mitunter stark und auch sinnentstellend gekürzt. Der Vatikan, die Sowjetunion und das zu jener Zeit faschistisch regierte Spanien setzten das Buch auf den Index. Doch seine Wirkmächtigkeit bleibt ungebrochen. Seit den 1990er Jahren, wiederum sei der Pressetext zitiert, „richtet eine neue Generation von Wissenschaftlerinnen einen frischen Blick auf das Buch“ mit der Folge, daß etliche Neuübersetzungen der vollständigen Originalfassung entstanden.

Die Macht der Influencerinnen

Und heute? Den Paragraphen 218, stellt Alice Schwarzer nüchtern fest, gibt es noch immer. Und ungewollt schwangere Frauen finden immer schwerer Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Mit dem Thema „Influencerinnen“ hat sie sich beschäftigt, ist erschrocken über den Gruppendruck, der von ihnen und ihren vorgeblichen Schönheitsidealen auf Mädchen und Frauen ausgeht. Von Equal Pay wäre vielleicht noch zu reden, von der Gläsernen Decke, die weibliche Karrierechancen deckelt, und so fort. An Problemen ist mithin kein Mangel, auch 73 Jahre nach dem Erscheinen von Simone de Beauvoirs „Klassiker der Frauenbewegung“ nicht.

  • Simone de Beauvoir und „Das andere Geschlecht“
  • Bundeskunsthalle, Bonn, Helmut-Kohl-Allee 4
  • Bis 16. Oktober 2022
  • Geöffnet Di 10-19 Uhr, Mi 10-21 Uhr, Do-So und feiertags- 10-19 Uhr
  • Eintritt 5 EUR
  • www.bundeskunsthalle.de

 




Kreativer Kosmos, künstlerischer Klamauk – Martin Kippenberger in der Bonner Bundeskunsthalle

Ohne Titel: Martin Kippenberger (aus der Serie Window Shopping bis 2 Uhr nachts) 1996. Öl auf Leinwand. Private Collection (Bild: © Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne/Bundeskunsthalle)

Martin Kippenberger: Ohne Titel (aus der Serie „Window Shopping bis 2 Uhr nachts“), 1996. Öl auf Leinwand. Private Collection (Bild: © Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne/Bundeskunsthalle)

Was macht Spiderman im Atelier des Malers? Er könnte einfach als Besucher da sein, er könnte als Superheld eine Versinnbildlichung der Machtfülle des Künstlers sein. Er könnte aber auch, als Spinnenmann eben, Produzent jener „Spinnereien“ sein, die das Werk seines Schöpfers in herausragendem Maße prägen – Ausdruck jenes hoch assoziativen Schaffens Martin Kippenbergers, dem die Bonner Bundeskunsthalle jetzt eine große Werkschau ausrichtet.

Das Spiderman-Atelier Kippenbergers, der 1953 in Dortmund geboren wurde und 1997 viel zu früh in Wien starb, steht gleich am Eingang der Ausstellung mit dem etwas sperrigen Titel „BITTESCHÖN DANKESCHÖN“. 360 Arbeiten sind hier ausgestellt, Gemälde, Zeichnungen, Fotos, Plakate, Multiples und so weiter, und sollen eine Annäherung an den Künstler ermöglichen, dem fraglos eine gewisse Neigung zum Dadaismus eigen ist, der so recht aber keiner bestimmten Gruppe oder Richtung zugeordnet werden kann.

Ohne Titel (aus der Serie „Das Floß der Medusa“), 1996. Öl auf Leinwand. (Bild: Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne / Bundeskunsthalle)

Alles hat er gemacht

Kippenberger hat Fotos gemacht und Holzplatten zu Skulpturen zersägt, er hat wundersam verbogene Straßenlaternen geschlossert und Zäune aufgestellt, Plastikfrösche ans Kreuz genagelt und aus Hotelrechnungen Malgründe gemacht. Er hat, so scheint es, eigentlich alles gemacht, was ihm gerade in den Sinn kam. Vor allem aber war er wohl Maler, wenngleich er eine seiner bekanntesten Bilderserien nicht selbst gemalt hat. „Lieber Maler, male mir“, so der Titel, ließ er nach Fotos von dem Plakatmaler Hans Siebert anfertigen. Und der Betrachter und die Betrachterin mögen nun nachsinnen über den Wert des Originals und darüber, was ein Original ausmacht.

Menschliches Leiden und Niedergang

Im großen Saal im Erdgeschoß der Bundeskunsthalle, wo Kippenberger jetzt ausgestellt ist, dominieren zu Beginn späte Gemälde, von fremder und von eigener Hand geschaffen. Tief beeindruckt der Zyklus „Das Floß der Medusa“, für den Kippenberger das berühmte gleichnamige Gemälde Théodore Géricaults sozusagen thematisch zerlegte, die unterschiedlichen Posen menschlichen Leidens und Niedergangs isolierte. In einem zweiten Schritt stellte er diese Posen für eine Fotoserie nach, die ihrerseits das Ausgangsmaterial für den gemalten Zyklus war und Bilder von einzelnen Körpern, Gliedmaßen, Gesichtern zeigt.

Ohne Titel (aus der Serie „Lieber Maler, male mir“), 1981. Acryl auf Leinwand. (Bild: Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne / Bundeskunsthalle)

Die Banane war weg

Große Bilder waren das Resultat von Kippenbergers Beschäftigung mit dem Ei, das er nach eigenem Bekunden zum Thema machte, weil die Banane ja schon von Warhol verwendet worden war. Auch die letzte Serie „Window Shopping bis 2 Uhr nachts“ von 1996 ist mit drei Arbeiten verteten. Es sind wohl eher Schaufensterpuppen, die er da gemalt hat, mit verschwimmenden Rümpfen, einmal auch mit vier Beinen, entfernt an Figuren Francis Bacons erinnernd. Auf den ersten Blick könnte man die Serien der letzten Jahre vergleichsweise glatt und gefällig finden; man könnte sie aber auch in Verbindung sehen mit Kippenbergers schwerer chronischer Erkrankung, als Befassung mit qualvoller Körperlichkeit und Vergehen.

Kippenberger arbeitete „mit großer Schnelligkeit, großem Antrieb und großer Empathie“, so Kuratorin Susanne Kleine. Er beherrschte „die Kunst des Weglassens“, „er vermeidet Wertungen in seiner Kunst, er demokratisiert“.

„Nieder mit der Inflation“ (aus der Serie „Die I.N.P.-Bilder“), 1984. Öl, Silikon auf Leinwand. Private Collection (Bild: Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne / Bundeskunsthalle)

Schrebergarten

Kippenberger thematisierte den Schrebergarten als Analogie zum eigenen und anderer Künstler Schaffen, das in dem Kommentar „Kunst ist Schrebergarten“ seines Mitstreiters Michael Krebber einen Ausdruck fand, er bastelte Zimmerkarussells und stopfte eine Galerie mit eigenen Arbeiten buchstäblich zu, um ein skulpturales Pendant zur notorischen „Petersburger Hängung“ zu schaffen, er malte absurde Richtungsschildchen für die Kasseler „Documenta“, er entwarf Aufkleber, die das berühmte „I Love New York“-Motiv variierten bis hin zu „I love Uhu und Pattex“, und so weiter, und so weiter. Es ist ein großes Verdienst der Bonner Ausstellung, die enorme Vielseitigkeit dieses Künstlers deutlich zu machen und eine Ahnung zu geben von der Komplexität seines Schaffens.

Ausstellungsansicht: „Spiderman im Atelier des Künstlers“ (Foto: Peter-Paul Weiler, 2019 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Die Wilden

In seinen multiplen Bezüglichkeiten war Kippenberger nahe an den Großen der Zunft, an Anselm Kiefer, Sigmar Polke, Jörg Immendorff. Ein Originalgemälde Gerhard Richters, der auch damals schon prominent und teuer war, verarbeitete er kurzerhand zu einer Tischplatte. Aber er war eben auch etwas jünger als die westlichen Malerfürsten, was manche Betrachter veranlaßte, Kippenberger den „jungen Wilden“ zuzuschlagen, die in den 80er-, 90er-Jahren von sich reden machten. Auch da paßte er nicht hin, wenngleich einige „Wilde“ zu seinen Freunden zählten.

Person des Künstlers bleibt rätselhaft

Nach Besichtigung der Ausstellung verschwimmt die Person Kippenberger immer noch hinter ihrem Werk. Im hoch assoziativen Geflecht aus alltäglicher Banalität und letzten Menschheitsthemen hat sie sich, unfreiwillig vielleicht, gut versteckt. Oder sollte ihr Versteck ein Gewebe sein? Auch das wäre – rein assoziativ natürlich – eine schöne Erklärung für den Spiderman im Künstleratelier.

  • „Martin Kippenberger – BITTESCHÖN DANKESCHÖN“
  • Bis 16. Februar 2020
  • Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
  • Helmut Kohl-Allee 4, Bon
  • Di+Mi 10-21 Uhr, Do-So 10-19 Uhr, feiertags 10-19 Uhr
  • Eintritt 10.00 EUR
  • www.bundeskunsthalle.de
  • Sehr empfehlenswerter umfangreicher Katalog 49,00 EUR

Nachbemerkung:

Auch wenn er gewiß kein „typischer Dortmunder“ war, seine Heimatverbundenheit niemals an die, beispielsweise, Emil Schumachers heranreichte – die Hartleibigkeit, mit der Dortmunds fraglos berühmtester zeitgenössischer bildender Künstler in der Stadt nicht wahrgenommen wird, ist frappierend. Weil ein Stadtprobst Coersmeier vor neun Jahren die religiösen Gefühle seiner Mitmenschen durch Kippenbergers gekreuzigten Plastikfrosch verletzt sah und dies in einem Brandbrief der Bezirksvertretung West kundtat, ist kein Gäßchen, kein Plätzchen rund um das „U“ nach ihm benannt worden. Und nie gab es in dieser Stadt eine nennenswerte Ausstellung seiner Arbeiten. (Falls ich mit dieser Aussage falsch liegen sollte, bin ich für eine Richtigstellung dankbar.) Dafür aber Pink Floyd, mit einem finanziellen Verlust im zweistelligen Millionenbereich, was aber niemanden aufregt.

Ein anderer Dortmunder, dem Beachtung eher andernorts zuteil wird, ist Norbert Tadeusz (geb. 1940 in Dortmund, gestorben 2011 in Düsseldorf). Späte Großformate von ihm sind noch bis 2. Februar 2020 im Düsseldorfer Museum Kunstpalast zu besichtigen.




Das große Vorbild Afrika – Bundeskunsthalle präsentiert Ernst Ludwig Kirchner in einer opulenten Werkschau

Ernst Ludwig Kirchner: Akt vor dem Spiegel 1915/1920 Öl auf Leinwand (Bild: Bundeskunsthalle/Courtesy Galerie Henze & Ketterer, Wichtrach/Bern)

Sie waren, scheint es, unersättlich. Wieder und wieder warfen sie nackte Frauen auf ihre Malgründe, zeigten sie entspannt in der Natur, im Atelier in manchmal unschicklichen Posen. Offenbar hatten sie nichts anderes im Kopf (oder vor der Staffelei).

Der Körper als Spiegel der Seele

Junge Maler wie Ernst Ludwig Kirchner, dem die Bonner Bundeskunsthalle bis März eine große Retrospektive ausrichtet, hätten natürlich vehement bestritten, hier in wenig sublimer Form ihre erotischen Präferenzen abzuarbeiten. Nein, Vorbild war ihnen die Kunst Afrikas, die Männer und Frauen gerne nackt präsentiert, nicht jedoch naturalistisch. Afrikanische Kunst macht Skulpturen oft gleichsam zum körperlichen Ausdruck intensiver Seinserfahrung, spiritueller Weitung oder manchmal auch, vergleichsweise banal, typisch menschlicher Verhaltensweisen. Das war alles neu für die europäisch-akademisch gebildeten Maler und Bildhauer zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und begeistert sogen sie die Impulse auf, die ihrer Kunst bald schon den Titel „Expressionismus“ einbringen sollte.

Kolonialismus

Es gehört zu den dunkel-ironischen Fußnoten der Geschichte, daß in der Zeit des brachialsten Kolonialismus, als Europa und die USA die restliche Welt unter sich aufteilten, auch die modernen Künstler nicht abseits standen – mit dem Unterschied, daß das Afrikanische in der Kunst nicht ausgesogen und weggeworfen wurde, sondern in der Auseinandersetzung mit europäischen Traditionen eine bahnbrechende neue Qualität entstehen ließ. „Fusion“ wäre ein Begriff, der heutzutage für diesen Prozeß vielleicht in Anwendung kommen könnte, und ob das alles gerecht zuging (natürlich nicht) und heutzutage richtig erzählt wird (vermutlich auch nicht), soll an dieser Stelle jetzt nicht diskutiert werden. Auch die Arbeitsteilung in malende (schöpferische, bestimmende) Männer und nackte (sonst nicht viel) junge Frauen entspricht eher nicht afrikanischen Vorbildern; wir registrieren es mit einem gewissen Unverständnis als zeittypisch und kehren zu Kirchner zurück.

Ernst Ludwig Kirchner: „Mandolinistin“, 1921. Öl auf Leinwand (Bild: Bundeskunsthalle / © Kirchner Museum Davos, Foto: Kirchner Museum Davos, Jakob Jägli)

Kirchner blieb lieber zu Hause

Im Gegensatz zu vielen Malerkollegen drängte es ihn offenbar nicht zu großen Reisen. Er blieb daheim, in Dresden, auf Fehmarn oder in der Schweiz, und träumte sich die exotische Welt im trauten Heim zusammen, das er allerdings, viele Fotos in der Ausstellung zeigen es, hingebungsvoll zu afrikanisch inspirierten Wohnlandschaften umdekorierte. Da sieht man sie nackt herumhüpfen, vor allem natürlich die Damen, aber doch nicht nur; manchmal lud sich der Maler auch Afrikaner ins Haus, wenn sie – als Artisten eines Varietés möglicherweise – in der Stadt waren.

Drogensucht und Freitod

Hoch ging’s her. Kirchner war kaum 30 Jahre alt, als er Gesundheit und Verstand für zeitgenössische Bewußtseinserweiterungen fast unheilbar hingeopfert hatte. Alkohol, Morphium und Veronal, dazu für den Kick selbstverordneter Schlafentzug führten zwischen 1915 und 1918 zu mehreren Sanatoriumsaufenthalten. Ihnen verdankt er wohl auch, daß der Erste Weltkrieg fast spurlos an ihm vorüberging. Kirchner ist keiner von den vielen begabten jungen Männern, die, wie etwa August Macke, nicht einmal dreißigjährig ihr Leben im Schützengraben verloren.

Ernst Ludwig Kirchner: „Junkerboden bei Frauenkirch/Davos, mit Blick auf Rhätische Bahn“, 1919. Öl auf Leinwand (Bild: © Bundeskunsthalle/Privatsammlung)

Und so könnte man weitererzählen von den verschiedenen Schaffens-perioden des Malers, denn er wurde ja relativ alt; Kirchner war 57, als er sich – aus Angst vor einem Einmarsch der deutschen National-sozialisten in die Schweiz, wie es heißt – in Davos erschoß.

Gepriesenes Frühwerk

Hoch gepriesen in der Kunstgeschichte ist der junge Kirchner, der unter anderem die Schaufensterbilder schuf, von denen das Dortmunder Ostwall-Museum eins besitzt und von denen keine in der Ausstellung gezeigt werden. Das war, da soll man sich nichts vormachen, der Berserker, der Drogensüchtige, der Sanatoriumspatient. Seine rastlose Suche nach Exzeß hat offenbar die besten Werke hervorgebracht, und wie oft in der Kunst profitiert das entspannte Publikum nun vom selbstzerstörerischen Drang des Künstlers.

Ernst Ludwig Kirchner – Selbstportrait im Atelier 1913–1915. Kontaktabzug ab Glasnegativ auf Baryt Papier (Bild: Bundeskunsthalle/© Kirchner Museum Davos)

Ruhiger, ordentlicher

Der Kirchner aus den 20er Jahren, der Stabilisierte nach Sanatoriumsaufenthalten, malte dann schon entschieden ruhiger, ordentlicher. Viel Landschaft, Berge Bäume, Bauern. Manches könnte als Neue Sachlichkeit durchgehen.

In den 30er Jahren wird das Vorbild des verehrten Meisters Pablo Picasso unübersehbar. Konturen werden zu übergangslos in den Raum gestellten Farbflächen, Kirchner wagt zögernde Schritte in die Abstraktion. Doch den Kubismus des katalanischen Meisters scheut er; seine „Tanzenden Mädchen“ von 1937 beispielsweise sind genau noch eben diese, keine Montagen anatomischer Elemente, wie Picasso es 1925 in „Les trois danseuses“ gemacht hat. Der Katalog vergleicht die Bilder sehr schön und sinnfällig.

Ernst Ludwig Kirchner: „Badende an der Steilküste von Fehmarn“, um 1912. Stift und Wasserfarbe auf Papier (Bild: Bundeskunsthalle/© Kirchner Museum Davos)

Vorbild Picasso

Der späte Kirchner fand in der Kunstwelt nie die Anerkennung wie der frühe, die späten Bilder werden bei weitem nicht so hoch gehandelt. Zu Recht? Zu den zahlreichen Verdiensten der großen Bonner Kirchner-Schau gehört es, dieser Frage angemessen Raum zu geben.

Am Ende des Rundgangs durch die erste Etage der Bundeskunsthalle – Hängung, wie bei fast jeder Kunstausstellung hier, chronologisch – ermöglichen die letzten Räume eine Auseinandersetzung mit dem Spätwerk. Und wie so oft ertappt sich der Besucher bei dem Gedanken, was wohl gewesen wäre, hätte der Künstler länger gelebt. Epigonales Scheitern des früheren Malerfürsten oder souveränes Spätwerk nach Art Emil Schumachers? Nicht zu beantworten.

Hervorragender Zeichner

Ein kurzer Hinweis noch auf die in allen Schaffensphasen exzellenten Zeichnungen des Künstlers, und damit soll es sein Bewenden haben. Wem das Bonner Angebot tatsächlich nicht reichen sollte, der kann nach Berlin fahren. Dort widmet sich das „Brücke“-Museum in einer Sonderschau dem Zerfall der gleichnamigen Künstlergruppe im Jahr 1913, zu deren Mitgliedern bekanntlich auch Ernst Ludwig Kirchner zählte.

  • „Ernst Ludwig Kirchner – Erträumte Reisen“
  • Bundeskunsthalle, Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 4
  • Bis 3. März 2019
  • Geöffnet Di u. Mi 10-21 Uhr, Do bis So 10-19 Uhr, feiertags 10-19 Uhr
  • Eintritt: 19 EUR, Familienkarte 16 EUR, Eintritt frei bis 18 Jahre
  • Katalog 35 EUR
  • Weitere Infos:
  • https://www.bundeskunsthalle.de/ausstellungen/ernst-ludwig-kirchner.html



Alles fließt: Der Rhein im Strom der Zeit – eine gedankenreiche Ausstellung in Bonn

Warum ist es am Rhein so schön? Etwa, „weil die Mädel so lustig und die Burschen so durstig“? Nee, du gutes altes Stimmungslied, es gibt noch etwas Anderes als das nervige Partygetümmel an den Promenaden von Düsseldorf, Köln oder Rüdesheim.

Der "Vater Rhein" in seinem Bett, umgeben von Städten und Nebenflüssen - so malte es 1848 Moritz von Schwind. (Foto: Raczynski-Stiftung, Poznan)

Der „Vater Rhein“ in seinem Bett, umgeben von Städten und Nebenflüssen – so malte es 1848 Moritz von Schwind. (Foto: Raczynski-Stiftung, Poznan)

Abseits, auf den Uferwiesen, da fließen die Gedanken und Gefühle. An den windigen Stränden, wo die Kinder des Rheins lernen, flache Kiesel so über das Wasser zu werfen, dass sie hochhüpfen, ehe sie versinken. Dort, wo sich die Pänz nasse Füße holen und den Schiffen hinterherträumen, die aus Basel oder Rotterdam kommen und mit ihren langen Lasten und fremden Leuten so leicht und fast lautlos vorüberfahren.

Es kam zu allen Zeiten etwas Neues mit dem Strom, und etwas Altes wurde fortgespült, bis es weiter oben im Meer verschwand. Vielleicht sind die Menschen am Rhein deshalb tatsächlich etwas offener und toleranter und, ja, manchmal auch etwas weniger treu und beharrlich als ihre Mitbürger, die tief verwurzelten Westfalen. In Bonn, der (typisch Rhein) verflossenen Hauptstadt der Republik, präsentiert die Bundeskunsthalle in den nächsten Monaten das große Thema „Der Rhein“ und zwar, wie der Untertitel heißt, als „Eine europäische Flussbiografie“. Das klingt ein wenig anstrengend und ist es auch.

Krieg und Kirche, Macht und Wacht

Zwischen leuchtend blauen Wellenwänden wird dem Betrachter einige Wissbegier abgefordert. Eine Fülle an Fakten und neuerer Forschung muss durchgearbeitet werden. Zahlreiche Bücher, Dokumente und historische Exponate erfordern mehr als beiläufiges Interesse für flussrelevante Themen wie Hochwasserregulierung, Kriegs-, Kirchen- und Industriegeschichte, die Macht und die Wacht am Rhein. Der Gesamteindruck ist irgendwie halbtrocken wie der Wein vom Drachenfels, den Kalauer konnten wir uns jetzt nicht verkneifen.

Nüchtern betrachtet: "Der Rhein I", Fotografie von Andreas Gursky. (Foto: Gursky / VG Bild-Kunst)

Nüchtern betrachtet: „Der Rhein I“, Fotografie von Andreas Gursky. (Foto: Gursky / VG Bild-Kunst)

Aber es lohnt sich, artig hinzusehen, zumal Kuratorin Mare-Louise Gräfin von Plessen eine kunstvolle Idee zur Einstimmung hatte. Unter den Klängen von Schumanns „Rheinischer Symphonie“ werden da drei Rheinbilder zusammengeführt. Die nüchtern-rätselhafte Fotografie eines nicht identifizierbaren Uferstreifens aus dem Werk des Starfotografen Andreas Gursky (1996) hängt gegenüber Moritz von Schwinds schwärmerischer Darstellung von „Vater Rhein“, der anno 1848 in den grünblauen Fluten sitzt und seinen Töchtern, den Flüssen und Städten, ein rheinisches Liedchen fiedelt. Daneben bannt uns der alienhafte grüne Kopf, den Max Ernst, der Surrealist und Weltbürger, 1953 seinem „Vater Rhein“ gegeben hat.

Nach Jahren im Exil war der in Brühl geborene Künstler zurückgekehrt an den heimischen Fluss und besang ihn auf seine Weise: „Hier kreuzen sich die bedeutendsten europäischen Kulturströme, frühe mediterrane Einflüsse, westliche Regionalismen, östliche Neigung zum Okkulten, nördliche Mythologie, preußisch-kategorischer Imperativ, Ideale der französischen Revolution und noch manches mehr“, stellte er fest.

Der Flussgott trägt zwei Hörner

Und das belegt die Ausstellung mit Bildungsgut. Die Chronologie beginnt bei den alten Römern, die den Rhenus fluvius als Flussgott sahen, mit zwei Hörnern, bicornis, wegen der Gabelung an der Mündung. Der Fluss, nicht so leicht zu überqueren, galt als natürliche Grenze zwischen Gallien und Germanien. Hier spielten sich über Jahrhunderte, bis hin zum Zweiten Weltkrieg, die Konflikte zwischen Franzosen und Deutschen ab, der Machtkampf zwischen Marianne und Germania. In nicht allzu schlechter Erinnerung hat man die sogenannte Franzosenzeit zwischen 1794 und 1814, als die nachrevolutionären Truppen aus Paris auf ihrem Eroberungszug nicht nur ein geregeltes Rechtssystem (Code Napoléon), sondern auch ein gewisses savoir vivre an den Rhein brachten.

Aufwallung: der "Vater Rhein" von Max Ernst, 1953. (Foto: Kunstmuseum Basel / VG Bild-Kunst)

Aufwallung: der „Vater Rhein“ von Max Ernst, 1953. (Foto: Kunstmuseum Basel / VG Bild-Kunst)

Heute bemüht man sich im europäischen Geist, die friedliche Einigkeit der Nationen zu betonen. Die Verbundenheit mit den Rhein-Nachbarn Schweiz, Frankreich und den Niederlanden wird auch in der Bonner Ausstellung beschworen, aber, Hand aufs Herz, die westlichen Anwohner sind nie zu solchen Rheinromantikern geworden wie es die angereisten Engländer schon im 19. Jahrhundert waren, als sie die Romantik und die erbauliche Flussfahrt entdeckten. The river Rhine is so lovely, Ladies and Gentlemen!

Die Geschichte der fatalen Loreley

Doch halt! Da sind wir wieder mal zu schnell im Strom der Zeit vorausgetrieben. Zunächst einmal baute die christliche Kirche auf den Stätten der Antike ihre Kathedralen, und das Heilige Römische Reich breitete sich aus. Kaiser und Ritter residierten bevorzugt am Rhein, und es entstanden die Burgen, deren Ruinen sich noch heute so malerisch erheben, und es entstanden die Sagen und Märchen, die sogar disziplinierten japanischen Touristen die Tränen in die Augen treiben. Am Felsen der Loreley, die mit ihrem Gesang und ihren goldenen Haaren so manchen Schiffer ins Verderben lockte, da singen sie im Chor: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin …“.

Zum Fürchten: Lorenz Clasens "Germania als Wacht am Rhein", 1880. (Foto: Kunstmuseen Krefeld)

Zum Fürchten: Lorenz Clasens „Germania als Wacht am Rhein“, 1880. (Foto: Kunstmuseen Krefeld)

Heinrich Heine schrieb die berühmten Verse, denn selbst scharfsinnige Spötter werden sentimental, wenn sie nur lange genug auf die Fluten schauen. Und nicht nur Richard Wagner suchte mit ganz großem Pathos nach dem Rheingold. Über Kopfhörer kann man allerlei vom Rhein inspirierte Musik hören.

Ansonsten ist in der Ausstellung relativ wenig Platz für sinnliche Erlebnisse. Sie hat einfach zu viel zu erzählen: vom Strom der Händler, von den Waren und Menschen, die über den Rhein kamen, von wachsenden Städten und von glanzvollen Höfen wie dem des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz, genannt Jan Wellem, der in Düsseldorf die erste Gemäldegalerie für das Volk eröffnete und von dessen ganzer Prachtentfaltung nur noch ein kleiner übriggebliebener Schlossturm zeugt. Das Türmchen ist heute Domizil eines hübschen kleinen Schifffahrtsmuseums und steht gleich vorn in der Altstadt an der Promenade der immerwährenden Party. Womit wir wieder beim Stimmungslied wären: „Warum ist es am Rhein so schön?“ Ich empfehle, einen kleinen Spaziergang zu machen, ein wenig abseits, und sich den Wind des freien Rheins um die Nase wehen zu lassen.

„Der Rhein. Eine europäische Flussbiografie“. Bis 22. Januar 2017 in der Bundeskunsthalle Bonn, Friedrich-Ebert-Str. 4, Museumsmeile. Di und Mi. 10 bis 21 Uhr, Do.-So. 10 bis 19 Uhr. Eintritt: 12 Euro (ermäßigt 8 Euro). Katalog (Hrsg. Marie-Louise von Plessen), Prestel-Verlag, 336 Seiten, 39,95 Euro. Es gibt ein umfangreiches Begleitprogramm. www.bundeskunsthalle.de




Bonner „Hommage an Michelangelo“ untersucht seine Wirkung auf andere Künstler

Werkstatt von Frans de Vriendt, genannt Floris: Brustbild des Michelangelo, um 1550. Foto: Kunsthistorisches Museum Wien

Werkstatt von Frans de Vriendt, genannt Floris: Brustbild des Michelangelo, um 1550. Foto: Kunsthistorisches Museum Wien

Schon zu Lebzeiten galt er als Legende. Seine Wirkung auf die europäische Kunst war und ist auch 450 Jahre nach seinem Tod enorm: Michelangelo Buonarroti (1475-1564) hat sich als herausragender Künstler der europäischen Renaissance vor allem durch seine virtuose Darstellung des menschlichen Körpers unsterblichen Ruhm erworben. Die Bundeskunsthalle Bonn widmet seinem jahrhundertelangen Einfluss auf die europäische Kunst eine Ausstellung. Die Schau ist bis 25. Mai zu sehen.

Der ideale menschliche Körper: Raffael zeichnete 1505/08 Michelangelos David vor dem Palazzo Vecchio in Florenz. Foto: The British Museum, London

Der ideale menschliche Körper: Raffael zeichnete 1505/08 Michelangelos David vor dem Palazzo Vecchio in Florenz. Foto: The British Museum, London

Die „Hommage an Michelangelo“ stellt nicht dessen eigenen Werke in den Mittelpunkt, sondern fragt nach der Inspiration, die andere Künstler in der Auseinandersetzung mit seinem Werk erfahren haben. Gezeigt werden Gemälde, Drucke, Zeichnungen und Skulpturen von Künstlern wie Raffael, Caravaggio, Rubens, Tintoretto, Füssli, Delacroix, Rodin, Cézanne und Moore – bis hin zur Moderne mit Arbeiten von Robert Mapplethorpe, Markus Lüpertz oder Thomas Struth.

Seine innovative Rhetorik des Körpers begründet den über Jahrhunderte andauernden Einfluss Michelangelos. Er schuf ein Repertoire an Ausdrucksformen für menschliche Bewegungen, Haltungen und Affekte, die eine geradezu archetypische Kraft erwiesen haben. Die Interpretationen seiner Kunst reichen von Nachahmung und Hommage bis zu konzeptioneller Auseinandersetzung und kritischer Distanzierung.

Die Kuratoren Georg Satzinger und Sebastian Schütze stellen in der thematisch gegliederten Ausstellung die beispielgebende Wirkung der legendär gewordenen Arbeiten Michelangelos in den Mittelpunkt: der florentinische David oder der Auferstandene aus Rom etwa stehen für die Aktstatue, das Marmorrelief der Kentaurenschlacht oder das Jüngste Gericht für die großen, vielfigurigen Werke.

Beleuchtet wird auch die Wirkung bedeutender Werkkomplexe wie der Sixtinischen Decke oder der Figuren der Medici-Kapelle. Die Ausstellung zeigt zugleich die Medien, in denen sich das Studium der Werke Michelangelos vollzog und ihre Kenntnis festgehalten wurde: Abgüsse und Gemälde, kleinplastische Kopien, Nachzeichnungen, Drucke und Fotos.

Auswirkungen bis in die Moderne: 1938 schuf Henry Moore diese "Liegende Figur". © The Henry Moore Foundation. Foto: Michael Furze. All rights reserved/VG Bild-Kunst, Bonn 2015.

Auswirkungen bis in die Moderne: 1938 schuf Henry Moore diese „Liegende Figur“. © The Henry Moore Foundation. Foto: Michael Furze. All rights reserved/VG Bild-Kunst, Bonn 2015.

  • Zur Ausstellung ist im Hirmer-Verlag München ein Katalog erschienen: „Der Göttliche. Hommage an Michelangelo“, herausgegeben von der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland. Er umfasst 288 Seiten und etwa 400 Abbildungen in Farbe und kostet vor Ort 29 Euro.

Konstruktivistische Nacktheit: Aus der "Thomas"-Serie von Robert Mapplethorpe (1987). © Robert Mapplethorpe Foundation New York.

Konstruktivistische Nacktheit: Aus der „Thomas“-Serie von Robert Mapplethorpe (1987). © Robert Mapplethorpe Foundation New York.

  • Von 29. bis 30. April beleuchtet eine internationale Fachtagung in etwa 20 Beiträgen die umfassende und bis heute andauernde Wirkung Michelangelos in den Bildkünsten. Am 20. Mai, 19 Uhr, liest Markus Lüpertz eigene Gedichte und Sonette Michelangelos. Und am 21. Mai geht es in einer Abendveranstaltung unter dem Titel „Von Michelangelo bis Lagerfeld“ darum, ob der Künstler- und Starkult ein Phänomen oder eine kalkulierte Strategie ist.
  • Die Bundeskunsthalle Bonn ist Dienstag und Mittwoch von 10 bis 21 Uhr, Donnerstag bis Sonntag von 10 bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet pro Ausstellung 10, ermäßigt 6,50 Euro; die Familienkarte 16 Euro. Das Kombi-Ticket für alle Ausstellungen ist für 15 bzw. 10 Euro und für Familien für 24 Euro zu haben. Im Online-Vorverkauf (Ticket plus Fahrausweis) gelten erhöhte Preise.



Modigliani in Bonn: Der Mensch ohne Beiwerk

Allein schon die Augen ! Wie Amedeo Modigliani (1884-1920) die Fenster zur Psyche gemalt hat, das ist einfach phänomenal. Mitunter lässt er die Höhlen ganz leer oder verleiht ihnen einen unbestimmbaren, pupillenlosen Schimmer. Und dennoch scheinen diese Gesichter den Betrachter aus großer Tiefe innig anzublicken. Ein Rätsel, ganz so wie die Menschenseele.

Bonns Bundeskunsthalle bietet jetzt eine furiose Werkschau des Italieners, der nur 35 Jahre alt wurde und in seiner kurzen Hauptschaffenszeit ab etwa 1909 ein Werk von bleibender Weltbedeutung hervorgebracht hat. Man kann natürlich nur darüber spekulieren, ob er seinen frühen Tod vorhergesehen hat. Darf sein Werk als „abgeschlossen“ gelten – oder hätte es sich noch ganz anders entwickeln können, vielleicht sogar im Sinne einer Verwässerung? Gleichviel.

Eine solche Modigliani-Retrospektive hat es in Deutschland lange nicht gegeben. 1991 stellte Werner Schmalenbach eine solche Rückschau in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW zusammen. Jetzt zeichnet eine andere Legende des Museumsbetriebs verantwortlich: Christoph Vitali hat (gemeinsam mit Susanne Kleine) wohl das Maximum dessen zusammengetragen, was sich heute an einem Ort versammeln lässt. Rund 40 Gemälde und 70 Zeichnungen Modiglianis sind zu sehen. Die Schwierigkeiten haben schon bei der Recherche begonnen: Modiglianis Arbeiten finden sich nicht so sehr in den großen Museen, sondern vielfach in entlegenen Privatsammlungen. Außerdem kursieren recht viele Fälschungen, so dass strengstens geprüft und gesondert werden muss.

Modigliani ist verglüht wie nur je ein Rockstar. Doch man mag kaum glauben, dass sich seine Werke einem so rauschhaften Leben verdanken. Es finden sich in den Bildern keinerlei Spuren von jenen wüsten Alkohol- oder Drogenexzessen, für die Modigliani zu seiner Zeit ebenso berüchtigt war wie für sein wechselhaftes Liebesleben in der Bohème. Umso staunenswerter: Besonders im Rückgriff auf die Renaissance hat dieser Künstler schließlich zu einer „klassischen“, vielleicht allzeit gültigen Form der Schönheit gefunden.

Schier unendlich lange, oft sanft gedrehte Halslinien, zerbrechlich schmale Kinnpartien und eben jene tiefen Blicke, so sehen die legendären Gesichter um 1917 aus. Es sind wahrhaftige Ikonen von großer Stille und Reinheit. Beispiellos erscheint die psychologische Durchdringung verschwiegenen Leids und namenloser Sehnsüchte. Grandios etwa auch die subtile Charakterisierung der exzentrischen britischen Kolumnistin Beatrice Hastings (Porträt von 1915), mit der Modigliani eine zweijährige, äußerst bewegte Liebesbeziehung verband. Wie hohlwangig sie hier die Luft einzusaugen scheint! Ganz so, als wolle sie mit spitzem Mund die gierig inhalierte Welt gleich wieder ausspeien. Von einer ganz anders beschaffenen Liebe künden die verklärenden Porträts der Jeanne Hébuterne. Sie lassen gar etwas von der Heiligkeit des Eros verspüren.

Überhaupt tritt der Mensch hier nicht als Gesellschaftswesen auf, sondern stets existenziell vereinzelt, befreit von allem Beiwerk. Ja, selbst ein Blumenmädchen wird just ohne alle Blumen dargestellt. Hinter diesen Porträts steht ein ziemlich ernsthaftes Spiel des Verbergens und Enthüllens. Von Leichtigkeit kann keine Rede sein. Eher schon kann man sich den Malprozess als seelisches Ringen zwischen Künstler und Modell vorstellen.

Vor allem anderen hat sich Modigliani – geradezu besessen – immer wieder aufs Menschenbild konzentriert, zuallermeist aufs Frauenporträt, dem er ungemein viele Nuancen abgewonnen hat. Einige delikate Akte kommen hinzu, aber es gibt so gut wie keine Landschafts-Darstellungen von seiner Hand. Was einen sogleich für Modigliani einnimmt: Er hat sich, fern von allen damals herrschenden Richtungen (Kubismus, Futurismus usw.), einen ganz eigenen Weg gebahnt – und das, obwohl seinerzeit in Paris der übermächtige Genius Picasso die Szene dominiert hat.

Natürlich gibt es allerlei Ähnlichkeiten zwischen den zahlreichen Porträts. Der typische Modigliani-Stil ist unverkennbar, sozusagen längst Poster-tauglich und mit einigem Geschick wohl leichter nachzuahmen als andere „Handschriften“. Doch die chronologisch, nach Lebensphasen geordnete Bonner Schau lässt Entwicklungslinien ahnen und schärft den Blick auch für kleinere, sonst kaum beachtete Differenzen. Hilfreich dabei: Etliche markante Zitate von Zeitgenossen prangen an den Wänden und geben Anstöße zum noch genaueren Hinsehen.

Sehr empfehlenswert ist übrigens auch der bei DuMont erschienene Katalog. Er enthält nicht nur die üblichen Expertenaufsätze und Reproduktionen, sondern drei hochliterarische, überaus lesenswerte Texte zu Modigliani. Sie stammen von John Updike, John Berger und J. M. G. Le Clézio. Daraus darf man wohl folgern, dass gerade Modiglianis Leben und Schaffen auch erstrangige Schriftsteller inspiriert hat. So wirkt und wirkt die Kunst im besten Falle weiter.

Amedeo Modigliani. 17. April bis 30. August 2009. Bundeskunsthalle Bonn (Museumsmeile, Friedrich-Ebert-Allee 4). Geöffnet Di/Mi 10-21 Uhr, Do bis So 10-19 Uhr. Eintritt 8 €, ermäßigt 5 €. Katalog 39,95 €. Internet:

http://www.bundeskunsthalle.de




Guggenheim: Weltklasse aus New York – Bonner Bundeskunsthalle und Kunstmuseum bieten Großereignis des Kultursommers

Von Bernd Berke

Bonn. Mit der Guggenheim-Sammlung verhält es sich ungefähr so: Wenn einer die bedeutenden Künstler des 20. Jahrhunderts aufzählen würde, so wären sie wohl fast alle in diesem Fundus vertreten. Als Besucher in Bonn, wo die famose Kollektion nun gastiert, befallen einen Schlaraffenland-Gelüste: So ungeheuer vieles ist hier und jetzt vorhanden, gar reichlich aus dem New Yorker Füllhorn geflossen.

Es beginnt gleich mit einem ganz großen Tusch: Ein Konvolut von Bildern des Wassily Kandinsky skizziert wie im Zeitraffer seine Entwicklung zur gegenstandslosen Kunst. Weg von der Abbildung der Wirklichkeit, hin zur freien Färb- und Formen-Erscheinung – daran richtete sich auch das ursprüngliche Sammelprogramm der New Yorker aus; damals, als die deutsche Künstlerin Hilla von Rebay den Kupfer- und Diamant-Magnaten Solomon R. Guggenheim becircte und zum fleißigen Sammeln abstrakter Kunst animierte.

Im Laufe der Jahrzehnte lagerten sich diverse andere Zeitschichten und Geschmäcker an die Bestände an, so dass „Guggenheim“ heute mit Fug und Recht als Weltklasse-Sammlung gilt. Das New Yorker Stammhaus ist nicht zuletzt durch die Schnecken-Architektur von Frank Lloyd Wright unverwechselbar. Der auftrumpfende Bau hat bislang den Blick für die immense Sammlung beinahe verstellt.

Man rechnet mit mindestens 600 000 Besuchern

Das Bonner Gastspiel ist so üppig geraten, dass man es auf zwei Häuser verteilt hat: die Bundeskunsthalle und das Kunstmuseum gleich nebenan. Die Schau kostet angeblich rund 10 bis 12 Millionen Euro, die Telekom sponsert kräftig. Man rechnet am Rhein mit mindestens 600 000 Besuchern. Sie können hier eine Art Kunst-WM erleben.

Van Gogh oder Picasso gefällig? Natürlich vorhanden. Lieber die Impressionisten? Bitteschön, da wären zum Beispiel Renoir, Manet und Monet. Oder halten Sie’s mit den Surrealisten? Nun, da hätten wir Werke von Magritte, Max Ernst, Dalí und Tanguy. Auch die Pop-Art ist ähnlich schwergewichtig vertreten. Warhol neben Lichtenstein und Rosenquist.

Harte Konkurrenz der Meisterwerke

Jetzt aber Schluss mit dem name dropping, wir können hier beileibe nicht alle nennen. Kaum zu glauben, dass dies bestenfalls ein Zehntel der gesamten Guggenheim-Besitztümer ist. Auch so gehen einem ja schon die Augen über. Hart ist die Konkurrenz der Meisterwerke, jedes ruft: Hier bin ich, komm her! Dabei ist man mit dem einen doch noch gar nicht fertig.

Viele dieser Richtungen haben einander im 20. Jahrhundert bitter bekämpft. Heute sind’s lauter Prachtstücke in friedlicher Koexistenz. Welch ein unfassbares Jahrhundert war das: So viele Aufbrüche, so viele Brüche! Man durchläuft auch als Besucher mancherlei Gemütszustände – bis hin zur Minimal Art, mit der man sich nach all den visuellen Aufregungen so wunderbar beruhigen kann. Neben solcher Fülle ist das schiere, stille Nichts verlockend.

Wer so viel zeigen kann, der muss gar nicht großartig inszenieren. Die Bilder sprechen für sich, sie müssen nur noch sinnvoll gruppiert werden. Einen grandiosen Doppel-Akkord setzt etwa der Raum mit einem dreiteiligen Schmerzensbild von Francis Bacon und der schrundigen Wildheit von Jean Dubuffet.

Kein Einwand? Doch! Im Kunstmuseum wird ausgebreitet, was die Guggenheimer aus der unmittelbaren Gegenwart bewahren wollen: Da wuchern private Mythologien, und es flimmern allerlei Videos. Dieser Ausblick wirkt wie ein etwas hilfloses Anhängsel. Ganz so, als hätte die Kunst heute ihre Kraft verloren. Oder die potenten Kunstsammler den Instinkt…

„Guggenheim Collection“. Bundeskunsthalle und Kunstmuseum, Bonn, Museumsmeile. Bis zum 7. Januar 2007.

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HINTERGRUND

Onkel und Nichte sammelten

  • Der New Yorker Industrielle Solomon R. Guggenheim (1861-1949) fing in den 1890er Jahren an, Kunst zu sammeln. Seine Begegnung mit der deutschen Malerin Hilla von Rebay weckte sein Interesse für europäische Avantgardisten.
  • Guggenheims Nichte Peggy (1898-1979) eröffnete 1942 die Galerie „Art of this Century“. Wie ihr Onkel gilt sie als bdeutende Sammlerin moderner Kunst. 1976 übereignete sie ihre Sammlung der Guggenheim Foundation, die so noch stark an Bedeutung gewann.
  • Die Guggenheim-Sammlungen kennzeichnete anfangs vor allem ihre Konzentration auf die umfassende Darstellung des Gesamtwerkes weniger Künstler in großen Werkgruppen – z.B. Kandinsky, Klee, Delaunay usw.



Freiraum der Frömmigkeit: „Krone und Schleier“ – eine prachtvolle Doppelschau über mittelalterliche Frauenklöster

Von Bernd Berke

Essen/Bonn. Sind Nonnenklöster im Mittelalter Bastionen einer frühen „Frauenbefreiung“ gewesen? Diese verblüffende Frage lässt jetzt die prachtvolle Doppelschau „Krone und Schleier“ in Essen und Bonn aufkommen.

Der Titel nennt Symbole himmlischer Vermählung, denn Nonnen sahen sich als „Bräute Christi“. Ruhrlandmuseum (Essen) und Bundeskunsthalle (Bonn) haben ihre Kräfte vereint, um das Thema erstmals in solcher Fülle zu behandeln. Die Essener kümmern sich ums frühe Mittelalter (6.bis 12. Jhdt.), dieBonner um die Ära zwischen 1200 und 1500, also bis an die Schwelle der Reformation.

Insgesamt 600 Leihgaben aus aller Welt sind, brüderlich (oder, dem Thema gemäß: schwesterlich) zwischen beiden Museen aufgeteilt. Wer nur die Zeit für einen der beiden Orte aufbringt, hat auch schon eine Menge davon.

Kulturblüte und Machtentfaltung

Kunst und Kult(ur)-Gegenstände aus mittelalterlichen Frauenklöstern belegen vielerlei. Beispielsweise, dass die Nonnen und Stiftsdamen versiert lesen, schreiben und übersetzen konnten. Das klingt banal, war aber damals beileibe nicht selbstverständlich.klingt banal, war aber damals beileibe nicht selbstverständlich.

Überhaupt mussten sich die Frauen hinter Klostermauern zwar kasteien, sie konnten sich aber kulturell entfalten wie sonst nirgendwo. So traten Klosterfrauen als Schöpferinnen ..(oder Auftraggeberinnen) bildlicher Bibeldarstellungen in Erscheinung. Das wiederum heißt: Sie bestimmten auch, so oder so, die ästhetische Richtung.

Überdies häuften sich auch im Umkreis der Frauenklöster die Zeichen weltlicher Macht.In der Ausstellung zeugen Dokumente über päpstliche und königliche Privilegien davon.So durften manche Klöster Märkte abhalten, Zölle einnehmen oder von Bauern Abgaben verlangen.

Ein Fächer gegen Insekten auf Opfergaben

Kostbare liturgische Gerätschaften sind in Essen ebenso zu bewundern wie unschätzbar wertvolle Schriften (Purpur-Evangeliar aus Brescia, Gebetbuch der Hildegard von Bingen) oder Wandteppiche.

Im Ganzen durch Prunk überwältigend, führt die Ausstellung zuweilen bis in kuriose Details. Da sieht man etwa den bronzenen Löwenkopf, der als Türklopfer an einer Klosterpforte diente. Oder man staunt über seltsame Relikte aus Meschede: Vasenförmige „Schallgefäße“ mit Luftauslässen dienten zur Verbesserung kirchlicher Akustik. Ob sie wohl auch für Philharmonien taugen würden?

Auch lernt man anhand vieler Exponate neue Begriffe hinzu. Wer weiß schon, was mit dem lateinischen „flabellum“ gemeint ist? Nun. es handelt sich um einen liturgischen Fächer, mit dem Insekten von Opfergaben vertrieben wurden.

Die in schützenden Vitrinen unter gedämpftem Licht aufgeschlagenen Bücher und Handschriften haben auf den ersten Blick „sieben Siegel“. Doch mit Begleittexten, Computerhilfe und ausführlichen Audio-Guides (gar in mehreren Varianten) geben sich die Macher alle Mühe, das Wissen des Besuchers zu mehren. Ganz zu schweigen vom üppigen Katalog, der schon jetzt als Standardwerk gelten darf.

Nur Äbtissinnen waren bildwürdig

Zurück zur Ausgangsfrage: Natürlich waren Stifte und Klöster keine gleichberechtigten Frauen-WGs. Es herrschten strenge Regeln, und es waltete eine spürbare Hierarchie. Ein Gesicht hatten in jenen Zeiten allenfalls die Äbtissinnen, nur sie waren „bildwürdig“. Zudem kamen dafür lediglich Damen von Stand in Frage. Und die Männer redeten zuweilen auch hinein: So sieht man ein frommes Brevier, das von Mönchen eigens für Nonnen verfasst wurde.

Ohne NRW-Kulturstiftung,  Krupp-Stiftung und weitere Förderer wäre das 3 Millionen Euro teure Ereignis undenkbar. Essens Ruhrlandmuseum hat (im 100. Jahr seines Bestehens) einen kläglichen Ausstellungs- und Sammlungsetat von 150.000 Euro.

• „Krone und Schleier. Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern“. An beiden Orten 19. März bis 3. Juli. Gemeinsamer-Katalog (580 Seiten) 32 Euro, Eintritt jeweils 7 Euro.

Essen, Ruhrlandmuseum (Goethestraße). Di-So 10-18, Fr 10-24 Uhr.

Bonn, Bundeskunsthalle). Mo 10-19, Di-So 10-21; ab 2.Mai Di/Mi 10-21, Do-So 10-1-9 Uhr.




Ganz gierig auf die Wirklichkeit – Retrospektive von David Hockney in Bonn

Von Bernd Berke

Bonn. Selbst wenn dieser David Hockney einen simplen Stuhl malt, wird das Bild zum Ereignis: Das Objekt scheint auf den Betrachter zuzustürzen, es begrüßt ihn freudig.

Der berühmte Brite (Jahrgang 1937) mit kalifornischer Wahlheimat gebietet derart raffiniert über Perspektiven und Bildräume, dass einem die Objekte unfassbar nah rücken. Jahrzehnte lange Studien im historischen Bestand, von der Renaissance-Malerei bis zu Picasso, haben den Boden für atemberaubende Kunstfertigkeit bereitet.

Allein Hockneys grandios „inszeniertes“, über sieben Meter breites Panorama vom Grand Canyon würde einen Besuch in der Bonner Bundeskunsthalle lohnen, wo jetzt eine bundesweit bislang beispiellose Werkschau mit fast 100 Gemälden zu sehen ist.

„A Bigger Grand Canyon“ (1998) ist ein ungeheuer starkfarbiges Riesenformat, bestehend aus 60 Einzeltafeln. Hier können die Blicke wahre Wanderungen unternehmen, weil es so viele perspektivische Fluchtpunkte gibt. Da ist es, als liege die ganze volle Welt vor einem ausgebreitet.

Grandioses Gebirgspanorama

Das Gebirgs-Panorama überbietet jede Fotografie und ist eine phantastische Feier des Wirklichen. Dazu passt das Motto der Schau: „Exciting times are ahead“ – „Erregende Zeiten liegen vor uns“; ein Satz, in dem frohe Lebensgier mitschwingt.

Vielfach ist Hockney als etwas oberflächlicher Pop-Artist verkannt worden, als Maler der Leichtigkeit des Seins an kalifornischen Swimmingpools. Diese machen aber nur einen Bruchteil seines Schaffens aus und erweisen sich zudem als subtile Studien zu Zeit- und Raum. Kräuselungen des Wassers vor, beim und nach dem Sprung ins Nass machen das Verrinnen der Sekunden bewusst.

Von wegen Pop-Art. Hockney hat schon in den 60er Jahren Distanzierungen in die Bilder eingebaut. Als Jasper Johns bunte Zielscheiben malte, reagierte Hockney mit einer spiralförmig sich windenden Schlange. Botschaft: So leblos wie eine Zielscheibe muss Kunst nicht sein.

Vom Dackel bis zum Musentempel

Hockney gibt freilich die atmosphärische Essenz beispielsweise des Olympic Boulevard in Los Angeles (1964) oder eines Bungalows in Beverly Hills (1966) derart genau wieder, dass solche Bilder zu Pop-Ikonen wurden. Mit seinen Arbeiten der 70er, in denen er unterschiedlichste Stilelemente kombiniert, könnte Hockney auch als Anreger der „Postmoderne“ und ihrer zitatenreichen Spiele gelten. In diesem unbekümmerten Kontext erlangen gar seine beiden Dackel serielle Bildwürdigkeit.

Auch frühe „Love Paintings“ (ab 1960) sind zu sehen. Hier hatte es Hockney (zuerst verschlüsselt) gewagt, seine Homosexualität zum Thema zu erheben – auf dem Grat zwischen Abstraktion und Figur. Wohlgemerkt: Seinerzeit wurde diese Neigung noch strafrechtlich verfolgt.

Am hellsten aber leuchten eben doch neuere Schöpfungen wie diese: Landstraßen durchs liebliche Yorkshire winden sich so, dass man sozusagen die langsame, entspannte Fahrt verspürt – die Lust am Dasein und seinen Farben. Oder: Eine zum Museum gewordene Salzfabrik ragt glorios strahlend auf wie ein Tempel. Die Kunst und ihre Herbergen sind für einen Hockney eben das Höchste zwischen Erde und Himmel.

Bundeskunsthalle Bonn (Museumsmeile). Bis 23. Sept. Di/Mi 10-21, Do-So 10-19 Uhr. Eintritt 12 DM. Katalog 49 DM




Die Melancholie des Hofnarren – Meisterwerke aus dem Prado in der Bonner Bundeskunsthalle zu sehen

Von Bernd Berke

Bonn. Als Diego Velázquez um 1640 den Kriegsgott Mars malte, sah er keinen machtvollen Herrn über Tod und Leben vor sich, sondern einen erschöpften Fußsoldaten, der all der Kämpfe müde zu sein scheint. Das Bild setzt einen von vielen Glanzpunkten jener Ausstellung, mit der jetzt das berühmte „Prado“-Museum aus Madrid einen Teil seiner Sammlungen in der Bonner Bundeskunsthalle vorstellt.

Hervorgegangen sind die überreichen Prado-Bestände aus den königlichen Sammlungen Spaniens. Die Bonner Schau konzentriert sich auf die Zeit Philipps IV. Unter dessen Regentschaft machte Velázquez nicht nur als Höfling und vor allem Hofmaler Karriere, sondern durfte (gleichsam als Kurator) die Kunstsammlung des Monarchen gezielt ergänzen. Sein erlesener Geschmack prägt also bis heute die Schatzkammern in Madrid.

Die dortigen Depots sind mittlerweile dermaßen gefüllt, dass der Prado erweitert und die Sammlung umgeschichtet wird. Diesem Umstand verdanken wir die Bonner Auswahl. Erst ein einziges Mal waren größere Teile der Sammlung außer Landes gegangen, und zwar zwangsweise: 1939, während des Spanischen Bürgerkriegs, wurden Kunstwerke zum Schütze nach Genf ausgelagert.

Velázquez, Rubens, Lorrain, Poussin…

Man protzt in Bonn nicht mit Masse, es sind 68 Werke zu sehen. Aber welche! Allein sechs Ölgemälde von Velázquez, dazu etliches von Peter Paul Rubens, Claude Lorrain, Nicolas Poussin und Francisco de Zurbarán. Hinzu kommen einige Künstler, die sich mit wechselndem Geschick an Velázquez orientierten.

Ein Meisterstück, das durch unmittelbare Konfrontation Mitleid weckt, ist Velazquez‘ Bildnis „Der Hofnarr Sebastián de Morra“. Der kleinwüchsige Mann diente damals zur Belustigung bei Hofe. Doch der Maler löst ihn aus diesem Zusammenhang und zeigt seine tiefe Melancholie. Man blickt ins Gesicht des Opfers der derben Spässe. Ein geradezu unwiderstehlicher Appell, die Würde zu wahren.

Überwältigend sodann die fleischlichen Dramen von Rubens, der stets den dynamischsten Augenblick der Mythen erfasst. Seine nackte Glücksgöttin „Fortuna“ (um 1636) taumelt auf einer zerbrechlichen Glaskugel. Puren Horror hinterlässt der rasende Gott „Saturn“ (1636), der eines seiner Kinder frißt, er reißt ihm mit bloßen Zähnen einen Fetzen aus der Brust. Irrsinniger Grund: Es ward ihm prophezeit, dass der Nachwuchs ihn vom Thron stürzen werde. Erschütternder lässt sich blutige Machtgier nicht darstellen. In den uralten Mythen steckt eben mancherlei.

Der lachende und der weinende Philosoph

Eine besondere Qualität der Ausstellung liegt darin, dass viele Bilder erstmals seit langem wieder in ihrem ursprünglichen Zusammenhang gezeigt werden, was im Prado selbst zuletzt nicht möglich war. Wie sehr sich das auswirkt, sieht man etwa anhand der beiden Denker, die Rubens imaginiert hat: „Demokrit, der lachende Philosoph“, der offenbar ein gutes Tröpfchen nicht verabscheut, und „Heraklit, der weinende Philosoph“, hängen nun als Sinnbilder grundverschiedener Gemütszustände beisammen.

Von ganz anderer, unendlich beruhigter Art sind die idealen Landschaften des Claude Lorrain. Zu grandioser, erhabener Weite öffnet sich der blassrot schimmernde Horizont, vor dem „Tobias und der Erzengel“ (1639) sich nahezu verlieren.

Nicht alle 68 Werke sind gleich stark, wie denn auch! Beispiel: Während Velázquez die Vorliebe seiner Zeit fürs Bizarre mit dem geschilderten Hofnarren ins Gegenteil kehrte, hat Juan Carreno de Miranda ein dickes kleines Mädchen als „Die nackte Mißgestalt“ (1680) nur noch als Objekt zur Schau gestellt.

Museo del Prado zu Gast in der Bundeskunsthalle Bonn (Museumsmeile, Friedrich-Ebert-AIlee 4). Bis 23. Januar 2000. Di/Mi 10-21, Do-So 10-19, Fr nur für Gruppen ab 9 Uhr. Eintritt 10 DM (ermäßigt 5 DM). Katalog 49 DM.




Den Fallensteller kann man niemals fangen – Das irrlichternde Werk von Sigmar Polke in der Bonner Bundeskunsthalle

Von Bernd Berke

Bonn. Der Mann ist verknallt in Bilder mit Raster-Pünktchen: „Ich liebe alle Punkte, mit vielen Punkten bin ich verheiratet. Ich möchte, daß alle Punkte glücklich sind. Ich bin auch ein Punkt.“ Hier setzen wir wirklich mal einen Punkt und fragen: Redet da einer, der nicht ganz bei Verstand ist? Oh, nein. Da spricht ein irrlichternder Ironiker. Und einer der wichtigsten deutschen Gegenwartskünstler. Name: Sigmar Polke. Geboren 1941.

Bonns Bundeskunsthalle richtet ihm die bisher größte Retrospektive aus – mit rund 220 Arbeiten aus allen Schaffensphasen seit 1962, noch dazu fast lauter Großformate. Da darf man seine Augen schätzungsweise über etliche tausend Quadratmeter Kunst schweifen lassen.

Auf Polke, der sein Faible für flimmernde Raster listig mit Kurzsichtigkeit „erklärt“, könnte Bert Brechts berühmter Satz zutreffen: „In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen.“ Polke selbst hat der Schau den Titel gegeben: „Die drei Lügen der Malerei“. Bereits das dürfte eine Falle sein. Es gibt ja viel mehr Lügen – und Wahrheiten.

Schon als Gerhard Richters Mitstreiter in der losen Gruppierung „Kapitalistischer Realismus“ machte sich Polke in den 60er Jahren sowohl über die Pop-Art als auch über den Sozialistischen Realismus lustig. So ist es bis heute: Geistig rastlos, schlägt er ständig neue Haken, entwischt stets, ist schon wieder ganz woanders.

Wenn nicht einmal die Farben Bestand haben

Manchmal freut sich Polke, wenn seine Bilder allmählich schwinden. Er benutzt Materialien wie Silberjodid oder Ruß auf Glas, deren Spuren sich verwischen. Er verwendet Pigmente, die sich bei wechselnder Temperatur wie das sprichwörtliche Chamäleon verhalten. Nicht einmal der Farbwert hat also Bestand.

Festlegung auf einen Stil ist Polke sowieso ein Greuel. Und er macht keinen Unterschied zwischen erhaben und trivial. Daher kann auch alles der Inspiration dienen. Polke verbindet in ein und demselben Bild naturgetreuen Realismus und Karikatur. Er verknüpft afrikanische Plastik mit niedlichen Bambi-Figuren, er umgibt den Umriß des berühmten Dürer’schen Hasen – als sei s ein einziger Abwasch – mit den Karo-Mustern von Trockentüchern. Wie er denn überhaupt seine Bilder oft mit endlos reproduzierbaren Mustern unterlegt oder überblendet: Tapeten, Kacheln, Stoffbahnen. Und seltsam: Was auch immer er sich anverwandelt, es gerät unter seinen Händen wahrhaftig zur Kunst. Wie bei jenem Midas, dem alles zu Gold wurde, was er berührte.

Der Schamane hat s auch mit der Politik

Zuweilen gebärdet sich Polke, der in den 1970ern gelegentlich rauschhafte Farbschlieren-Bilder unter Drogeneinfluß erzeugt hat, auch schon mal als Schamane. Höhere Wesen hätten ihm befohlen, keine Blumen, sondern Flamingos zu malen, heißt es neben einem Bild, das – Flamingos zeigt. Auf Schautafeln dokumentiert Polke die Resultate „telepathischer Sitzungen“ mit Künstlern früherer Zeiten: „Absender Max Klinger – Empfänger Sigmar Polke“.

Freilich: Auch über solche Anwandlungen mokiert er sich wieder – und malt auf einmal „politische“ Bilder über Flüchtlingslager und Tropenwälder. Doch der hintersinnige Fallensteller ist erneut zugange: Während die Mysterien unterschwellige Ironie enthalten, ist in den Polit-Schinken unversehens Magie am Werk, so etwa, wenn das Raster-Bildnis des früheren US-Präsidenten Reagan dank mehrerer Kopien langsam vergeht, als sei der Mann ein Opfer des nuklearen Schreckens geworden.

Sigmar Polke. Die drei Lügen der Malerei. Bundeskunsthalle Bonn (Museumsmeile). 7. Juni bis 12. Oktober. Di und Mi 10 bis 21 Uhr, Do bis So 10-19 Uhr. Eintritt 8 DM. Katalog 78 DM.

 




Kunst-Spaziergang wie im dreidimensionalen Lexikon – Stockholms „Moderna Museet“ gastiert in Bonn

Von Bernd Berke

Bonn. Nein, es ist beileibe kein bloßer „Schwedenhappen“, den uns die Bundeskunsthalle serviert, sondern ein reichhaltiges Kunstmenü. Zum vierten Akt der Ausstellungs-Reihe „Die großen Sammlungen“ gastiert am Rhein diesmal das „Moderna Museet“ aus Stockholm. Die teilweise grandiose Kollektion ist derzeit heimatlos, weil das Stammhaus bis 1998 umgebaut wird. So viele Werke wie jetzt wird man dann nimmermehr abgeben.

Der Querschnitt durch die Moderne würde auch eine Reise in den Norden lohnen. Nun aber haben wir’s – bis Januar nächsten Jahres – ganz bequem. Von Picasso bis Mondrian, von Magritte bis Warhol wird alles in Bonn präsentiert, und zwar umfangreicher, als es bisher je in Stockholm möglich war. Zeichen der Bedeutsamkeit: Schwedens Königin Silvia kam eigens zur Bonner Eröffnung der Schau.

Neben den Klassikern der Moderne und Berühmtheiten der Gegenwart kann man etliche hierzulande unbekannte schwedische Künstler entdecken. Sie gehören freilich zum weniger wichtigen Teil der Schau. Einer der ausgestellten Schweden ist allerdings weltberühmt, nämlich der Schriftsteller August Strindberg. Wie man hier sieht, ist er auch als Maler nicht zu verachten. Das im gleißenden Licht flirrende, ins Über-Natürliche ausgreifende Natur-Bild „Das Wunderland“ (1894) könnte von einem hochkarätigen französischen Impressionisten stammen.

Am allerbesten sortiert ist das „Moderna Museet“ offensichtlich im Umkreis der Popart. Kein Wunder, denn das Haus wurde 1958 gegründet und verlegte sich vornehmlich aufs Zeitgenössische. Direktor war von 1959 bis 1973 jener Pontus Hulten, der – welch glückliche Fügung – 1990 „Intendant“ der Bonner Bundeskunsthalle ward. Daher die innige Verbindung beider Museen.

Pontus Hulten und das Gespür fürs Kommende

Hulten muß in seiner Stockholmer Zeit jedenfalls ein untrügliches Gespür fürs Kommende besessen haben, hat er doch – zu den günstigen Preisen der Entstehungszeit – eine der weltweit gehaltvollsten Sammlungen mit Kunst der 60er Jahre zusammengetragen. Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Jasper Johns, Jean Tinguely, Yves Klein, Frank Stella, George Segal, Claes Oldenburg (gebürtiger Schwede), James Rosenquist und viele andere Größen jener Zeit sind mit markanten Arbeiten vertreten. Da spaziert der Besucher sozusagen durch ein dreidimensionales Lexikon.

Im Katalog kann man nachlesen, wie sehr die Genese einer solchen Sammlung oft von schieren Zufallen abhängt. Da gerieten die Stockholmer etwa an ein Bild von Piet Mondrian, weil der just eine schwedische Freundin hatte. Bemerkenswert ist übrigens ein 1908 entstandenes, zärtlich-realistisches Frauenporträt Mondrians, den man heute nur noch als Heros der geometrischen Abstraktion schätzt.

So viele Berühmtheiten – und ein Rennwagen

Bilder- und Objekt-Ensembles, die ihresgleichen suchen, haben die Skandinavier auch von Pablo Picasso und Marcel Duchamp angehäuft. Daß man „zwischendurch“ immer mal wieder auf den einen oder anderen Kurt Schwitters, Paul Klee, Max Ernst, Marc Chagall oder Joan Miró trifft, versteht sich bei diesem Niveau fast von selbst.

Auf historische Wegmarken eingestimmt, sucht man bei den schwedischen Künstlern nach Vergleichspunkten. Haben nicht die Bilder eines Eric Hallström manches mit denen des Belgiers James Ensor gemein? Weist nicht gar das „Zeitbild“ (1937) von Sven Erixson, das Passanten in Betrachtung eines Zeitungsaushangs zeigt, schon auf den Neo-Expressionismus eines Jörg Immendorff voraus? Man mag Spielchen mit derlei „Verwandtschaften“ treiben, darf aber den Eigenwert dieser Kunst nicht übersehen.

Das auffälligste Exponat ist übrigens kein Gemälde, sondern ein Real-Objekt: der Lotus-Rennwagen, in dem 1963 Jim Clark seine schnellen Formel-1-Runden drehte und der kurzerhand zum Kunstwerk im Grenzbereich von Technologie und Ästhetik erklärt wurde. Ganz im Sinne der Pop-art.

„Moderna Museet“ zu Gast in der Bundeskunsthalle Bonn (Friedrich-Ebert-Allee 4, „Museumsmeile“). Bis 12. Januar 1997. Öffnungszeiten: Di-So 10-19 Uhr. Eintritt 8 DM. Katalog 68 DM.




Geisterbahn der traurigen Puppen – Bonner Bundeskunsthalle zeigt die Todesahnungen der Schweizerin Eva Aeppli

Von Bernd Berke

Bonn. Zuerst kommt man an Schädelstätten vorbei. Mal vereinigen sich die Totenköpfe zum reißenden Fluß. dann grinsen sie frech oder tanzen einen makabren Tango. Ein Alptraum? Eine Ausstellung!

Gegen Ende der 60er Jahre hat die Schweizerin Eva Aeppli (geboren 1925) begonnen, solche Totentanz-Visionen mit handgenähten Puppen auszudrücken. Die haben zwar – im Vergleich zu den gemalten Gebeinen – ein wenig „Fleisch“ (sprich: Stoff) angesetzt, wirken aber ebenfalls so ausgemergelt, als wollten sie gleich ins Grab sinken. Solche todessüchtigen Puppen hat man noch nirgendwo gesehen. Kein Spielzeug.

Die Bundeskunsthalle in Bonn widmet Eva Aeppli eine bemerkenswerte Werkübersicht. Über jeder einzelnen Arbeit könnte die christliche „Vanitas“-Formel stehen – die Erinnerung daran, daß wir alle jederzeit aus dem Leben gerissen werden können. Es sind also Variationen auf ein altes Thema der Künste.

Die Puppengestalten sind stets so angeordnet, daß sie den Blick des Betrachters aus schrägen Winkeln „einfangen“. Unweigerlich erschrickt man. In einer großen Installation sitzen 13 Figuren an einem langen Tisch – ähnlich wie beim biblischen Abendmahl, aber ohne jegliche Speise. Man kommt nicht an dieser Tafel vorüber, ohne das verhärmte Elend in leeren Augenhöhlen wahrzunehmen, ohne auch sarkastisch starrende Blicke der erschlafften Puppen zu spüren, so als wollten diese Hinfälligen sagen: „Warte, du bist auch bald an der Reihe“. Die Kleiderfarben – schmutzig dunkles Violett, verwaschene Oliv- und Orangetöne – verstärken die Todesahnung.

Chorgesang oder kollektiver Schrei?

Hat man dies alles hinter sich gebracht, so steht man plötzlich wie gebannt vor der geballten Macht von 48 überlebensgroßen, völlig schwarz gewandeten Puppen, die ihre Münder zum Chorgesang (oder zum kollektiven Schrei?) weit aufgerissen haben. Ein monumentales, grandioses Schreckbild.

Es gibt scheinbar ruhigere Stationen im Rundgang, den man als Geisterbahn oder gar als Kreuzweg auffassen könnte. Eva Aeppli hat die Planeten und die Tierkreiszeichen als vergoldete Häupter, als Bronze- oder Stoff-Gesichter gestaltet und sie auf Podeste gestellt. Erhaben und feierlich wirken diese astronomischen und astrologischen Kopf-Serien. Doch nur von weitem: Tritt man näher heran, so bemerkt man auch hier: vernähte Antlitze, wie nach schweren Operationen, verquollene Schädelformen, verzerrte Münder, gebrochene Augen.

Schließlich „Les Amoureux“ (Die Liebenden) von 1988/89. Zwei nun offenbar wirklich harmlose Figuren. Doch wenn man weiß, daß Eva Aeppli hier ihren Ehemann, den inzwischen verstorbenen Künstler Jean Tinguely, in trauter Zweisamkeit mit seiner nicht minder berühmten Kollegin Niki de Saint Phalle darstellt, verspürt man erneut einen Schauder. Sie zeigt ja das Glück der eigenen Rivalin! Ein Bild des erotischen Wechsels, bei dem sie selbst zurückbleibt, nur noch zuschaut und nachgestaltet. Und doch wird kein Bannfluch daraus, sondern ein gefaßter Blick ins Unvermeidliche.

Eva Aeppli – Bundeskunsthalle Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 4 – Bis 15. Januar 1995, Di-So 10-19 Uhr. Eintritt 8 DM (ermäßigt 4 DM). Katalog 35 DM.




Die Kunst und ihre hundert Augenblicke – Ausstellung in Bonn: Buñuels Filme und der Surrealismus

ñVon Bernd Berke

Bonn. Diese Ausstellung blickt auf einen zurück, wenn man sie anschaut. Auf zahllosen Bildern sieht man: Augen, Augen und nochmals Augen. So heißt die große Bonner Schau denn auch „Buñuel – Auge des Jahrhunderts“.

Der Regisseur Luis Buñuel (1900-1983) gehört zu den Übergroßen der Filmgeschichte. Er gilt als Surrealist. Es liegt nah, Bilder aus seinen Filmen der Malerei eines Dalí, Max Ernst oder Magritte gegenüberzustellen.

Genau dies tut die Ausstellung in der Bundeskunsthalle. Buñuels Filmschaffen – vom „Andalusischen Hund“ bis zum „Diskreten Charme der Bourgeoisie“ – wird im direkten Vergleich zur bildenden Kunst nochmals mit höchsten Weihen versehen. Vielleicht, so ahnt man, hat Buñuel den Kern des Surrealismus in bewegten Bildern gar eindringlicher zum Ausdruck gebracht, als alle Maler dies konnten.

Darin liegt aber auch das Problem. Um Filme im Museum mit Tafelbildern zu vergleichen, braucht man starre Momentaufnahmen. Dann aber sind es eben keine Filme mehr. Hätte Buñuel das erlebt, wäre er vielleicht auf seinen provozierenden Satz von den Museen, die er gern anzünden würde, zurückgekommen.

Sehtrieb, Begierde, Todestrieb

Sequenzen aus Buñuels Filmen strahlen in senkrecht angeordneten Leuchtkästen bis hoch unter die Decke (man kommt sich fast vor wie auf dem Kino-„Rasiersitz“), Werke der bildenden Kunst sind jeweils thematisch zugeordnet. Die Leitfäden heißen, gut freudianisch-surrealistisch: Sehtrieb, Begierde, Todestrieb.

Eine lebensgroße Giraffe reckt sich eingangs empor. Tatsachlich gibt es in „Das goldene Zeitalter“ (1930) ja jene Szene, in der ein solches Tier aus dem Fenster gestürzt wird. Es ist nicht schwer, in der Kunst jener Zeit Artverwandtes aufzuspüren, man denke nur an Salvador Dalís „Brennende Giraffen“. Mit derlei motivischen Überlappungen geht es dann weiter. Nicht immer verdichten sich die Vergleiche, manches wirkt herbeigezerrt.

Solche Motiv-Übereinstimmungen überraschen nicht allzu sehr, waren die Surrealisten doch (bis zur Spaltung an der Gretchen-Frage des Kommunismus) ein ziemlich eingeschworener Verein. Buñuel war mit Dali eng befreundet. Und über allen schwebte herrgottsähnlich André Breton.

Bis zum Schulungs-Modell für Augenärzte

Reichhaltig ist die Auswahl zum „Sehtrieb“. Auf Filmbildern, Gemälden und Zeichnungen treten Augen hundertfach aus den Höhlen, lösen sich vom Körper, schweben durch Traumlandschaften, oft gierigen Blicks, manchmal verletzt. In jener berüchtigten Schock-Szene aus Buñuels Erstling „Der andalusische Hund“ wird ein Auge zerschnitten, Max Ernst „kontert“ mit durchstochenen Augäpfeln. Aufschlußreicher Schwenk: Hier wird auch ein wächsernes Schulungs-Modell für Augenärzte aus dem 19. Jahrhundert gezeigt, bei dem ein operativer Schnitt angesetzt wird.

Hauptereignis dürfte die komplette Retrospektive der 36 Buñuel-Filme sein. Dazu wurden sämtliche Werke revidiert. Man hat weltweit verstreute Originalnegative aufgetrieben und restauriert, neue Kopien gezogen und elektronisch so untertitelt, daß keine Schadspuren das Filmmaterial verunzieren. Eine Rettungstat!

Hervorragend auch der Katalog (pralle 518 Seiten), der in manchen Punkten sogar dieAusstellung übertrifft. Hier haben Einzelbilder Sinn, wenn Filmszenen untereinander verglichen werden. Da merkt man erst, welche Szenenfolgen Buñuel über Jahrzehnte hinweg aufgegriffen und variiert hat“. Wer hätte etwa gedacht, daß ständig stickende Frauen in seinen Filmen vorkamen?

„Buñuel – Auge des Jahrhunderts“. Bundeskunsthalle Bonn (Friedrich-Ebert-Allee). Bis 24. April (di-so 10-19 Uhr). Eintritt 8 DM, Katalog 78 DM.