Aus dem Leben gerissen: Klavier-Festival-Intendant Franz Xaver Ohnesorg ist tot

Franz Xaver Ohnesorg, + 14. November 2023. (Foto: Mark Wohlrab)

„Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“:  Der alte gregorianische Choral hat sich bitter bewahrheitet, als am Morgen des 15. November die schockierende Nachricht eintraf: Franz Xaver Ohnesorg, Intendant des Klavier-Festivals Ruhr, ist tot.

Man kann es kaum fassen, es dringt erst allmählich vom Verstand ins Herz vor: Der dynamische 75-Jährige, vor zehn Tagen noch brillant plaudernder Moderator einer Benefiz-Jazz-Gala in Duisburg zugunsten der Stiftung Klavier-Festival Ruhr, soll nicht mehr unter uns sein? Kein melodisches „Ohnesorg“ mehr am Telefon, kein charmanter Gastgeber mit der obligatorischen Fliege für sein kommendes, den Abschied vom Klavier-Festival markierendes Benefizkonzert in Essen, zu dem er noch einmal Musiker aus der Elite der Weltkünstler begrüßen wollte, von Martha Argerich bis Anne-Sophie Mutter? Man schaut verstört auf den Stuhl in seinem kleinen Büro und versteht nicht, dass er nie mehr hier sitzen wird, über Unterlagen gebeugt, ein Kännchen Tee an der Seite.

Franz Xaver Ohnesorg war ein Begriff in der Musikwelt, in die er 1979 mit einem Paukenschlag eingetreten ist, als der junge Orchesterdirektor der Münchner Philharmoniker den kapriziösen Sergiu Celibidache als Generalmusikdirektor gewann. Seine 16 Jahre Intendanz der Kölner Philharmonie ab 1983 waren prägend: Noch heute kursieren unter alten Hasen die Geschichten über ihn als Gründungsintendant; noch heute sind die Spuren seines Wirkens sichtbar. Sein phänomenales Händchen für das Knüpfen stabiler Beziehungen, heute zum „Networking“ vertechnisiert, sicherte den Kölnern den Genuss vieler Künstler von Weltrang. Mit Durchschnitt hat sich „FXO“ nie zufrieden gegeben.

Auch sein Intermezzo in New York ging er mit der ihm eigenen Energie und Zielstrebigkeit an. Isaac Stern, der legendäre Geiger, hatte ihn dazu gebracht, als erster nicht-amerikanischer Executive and Artistic Director die Leitung der Carnegie Hall zu übernehmen. Dass diese Zeit nur bis 2002 dauerte, ist den Berliner Philharmonikern zu verdanken. Als deren Intendant gestaltete Ohnesorg die ausklingende Ära von Claudio Abbado und den Beginn der Regentschaft von Sir Simon Rattle mit.

28 Spielzeiten beim Klavier-Festival Ruhr

So kannte man ihn: Am 1. Juli 2023 sprach Franz Xaver Ohnesorg vor dem Konzert mit Evgeny Kissin beim Klavier-Festival Ruhr in Essen. (Foto: Peter Wieler)

Das Klavier-Festival Ruhr hat er sagenhafte 28 Spielzeiten unter seine Fittiche genommen, zunächst 1996 als künstlerischer Leiter, ab 2005 als Intendant. In seinem Fall bedeutete das weit mehr als das Bestimmen einer künstlerischen Linie. Das Klavier-Festival als vollständig privat finanziertes kulturelles Leitprojekt des Initiativkreises Ruhr fordert einen Intendanten, der Jahr für Jahr die Finanzierung sichern muss.

Seine faszinierende Vielseitigkeit im Umgang mit Menschen machte ihn zur Idealbesetzung auf diesem Posten: Sponsoren, Donatoren und Förderer des Festivals können erzählen, wie „Xaver“ seinen bestrickenden Charme einsetzte, um an Ruhr, Rhein und Wupper große Klavierkunst zu ermöglichen, aber auch hoffnungsvollen jungen Pianisten einen Start in eine internationale Karriere zu ebnen. Joseph Moog oder Sergio Tiempo, die am 25. November auf dem Programm des Essener Benefizkonzerts stehen, sind ebenso Beispiele wie Fabian Müller, der fünf Preise beim ARD Musikwettbewerb 2017 abräumte und – inzwischen Professor an der Musikhochschule Köln/Wuppertal – international konzertiert.

Ohnesorg hat das Klavier-Festival zu dem gemacht, was es heute ist: das wohl weltweit größte Pianistentreffen, ein Zentrum großer, vielfältiger Klavierkunst. Ob er stolz darauf war? Wenn ja, ließ er es sich nicht anmerken, rückte immer die Künstler in den Mittelpunkt. Aber in seiner Stimme schwang der Enthusiasmus mit, wenn er berichtete, wie er beim Festival etwa George Antheils „Ballet Mecanique“ ermöglichte, wie viele Uraufführungen von Philip Glass – zuletzt sein Klavierkonzert – im Ruhrgebiet stattfanden, wie er immer wieder Pianisten dazu brachte, beim Klavier-Festival exklusive Programme zu präsentieren. Dass sein Herz besonders an der Musik von Franz Schubert hing, hat er in seiner letzten Saison vor seinem geplanten Abschied als Intendant zum 31.12.2023 immer wieder in bewegenden Worten bekundet.

Erzähler mit leuchtenden Augen

Richtig leuchtende Augen bekam er aber, wenn er von den Education-Programmen des Klavier-Festivals berichten konnte. Die Projekte für Kinder und Jugendliche, denen der Zugang zur Musik nicht in die Wiege gelegt wurde, hielt er für eine „moralische Pflicht“. Wichtig waren ihm dabei Nachhaltigkeit und Qualität. Dafür holte er sich bewährte Mitarbeiter ins Boot. „Glücklich bin ich, wenn ich in die Gesichter der Kinder in Marxloh schaue, wie sie durch unsere ‚Piano School‘ das Zuhören lernen oder bei Tanzprojekten stolz sind auf eigene Erfolge“, sagte er in einem Interview.

Faszinierender Erzähler: Franz Xaver Ohnesorg und Bundestagspräsident a. D. Norbert Lammert bei der Veranstaltung „Ein Gast. Eine Stunde“ am 23. Juni 2023 im Schauspielhaus Bochum. (Foto: Werner Häußner)

Das Erzählen lag ihm. Franz Xaver Ohnesorg hatte ein unbestechliches Gedächtnis, wusste auf Anhieb, wer wann und wo beim Klavier-Festival was gespielt hat. Als er im Juni 2023 an einem Sonntagvormittag im Bochumer Schauspielhaus in der Reihe „Ein Gast – eine Stunde“ auf der Bühne saß, sprudelte er vor Erinnerungen, Anekdoten, Bonmots. Unterhielt man sich mit ihm über Musik, zog er mühelos große Linien, beleuchtete wie selbstverständlich wichtige Details. Und er kannte buchstäblich Gott und die Welt, unter den Pianisten sowieso, aber auch unter Geigern, Cellisten, Bläsern und Dirigenten. Spannend war aber auch, wer bei ihm durchs Raster fiel. Das geschah meist durch beredtes Schweigen.

Perfektion im Dienste der Künstler

Franz Xaver Ohnesorg (links) bedankt sich bei den Künstlern des Galakonzerts des Klavier-Festivals Ruhr am 27. Oktober 2023 in der Historischen Stadthalle Wuppertal. (Foto: Peter Wieler)

Ohnesorg war ein Perfektionist, und was er von sich selbst verlangte, erwartete er auch von seinen Mitarbeitern. Alles musste stimmen, von Details des äußeren Rahmens der Konzerte bis zur hingebungsvollen Betreuung der Musiker. Er wollte „Künstlern helfen, besonders gut zu sein“ und ihnen das Musizieren leicht machen, „von der Abholung vom Flughafen bis zum idealen Saal.“ Sie sollten sich umsorgt fühlen. Große Stars und junge Pianisten dankten es ihm durch ihre Treue. Ein Lieblingsprojekt in seinen letzten Jahren waren die „Lebenslinien“: In seinen Ansprachen und in den Programmen der Konzerte zählte er gerne auf, wie oft die Künstler beim Klavier-Festival aufgetreten sind und wie lange die Verbundenheit schon währt.

Diese freundschaftlichen Beziehungen kamen nicht nur der Programmatik des Festivals zugute, sondern eröffneten dem Publikum die Chance, alle Facetten des Könnens berühmter Pianisten kennenzulernen, die Entwicklung von Künstlerpersönlichkeiten mitzuverfolgen, Legenden der Klaviermusik hautnah zu erleben, musikalische Aufbrüche und junge Talente zu bestaunen. Und wer kann sich schon ans Revers heften, eine Martha Argerich 30 mal, einen Pierre-Laurent Aimard gar 36 mal, einen Grigory Sokolov 25 mal zu Gast gehabt zu haben?

Bei einer Pressekonferenz am 22. Mai 2022 stellte Franz Xaver Ohnesorg Katrin Zagrosek, seine Nachfolgerin ab 1. Januar 2024, vor. (Foto: Peter Wieler)

Zur Ruhe wollte er sich nicht setzen, der unermüdliche Franz Xaver Ohnesorg. Sicher, er wünschte sich mehr Zeit für die Familie und für Freunde, mehr Muße für Bücher und versäumte Filme. Ehrenamtlich hatte er vor, sich um das Kölner Kammerorchester zu kümmern, dessen Trägerverein er bereits als Vorsitzender diente. Der plötzliche Tod hat einen grausamen Strich durch diese Planung gemacht.

Franz Xaver Ohnesorgs Memoiren bleiben ungeschrieben: Sie hätten mit Sicherheit viel Gewinn bei der Lektüre und manche Erkenntnis bereitgehalten. Das letzte der drei Benefizkonzerte – nach einer grandiosen Gala in Wuppertal und einem Fest für Jazz-Freunde in Duisburg – wird nun am 25. November in Essen zum Gedächtniskonzert für einen Menschen, dem nicht nur das Ruhrgebiet unschätzbar viel verdankt, sondern der bei jedem, der die Gunst hatte, ihm zu begegnen, markante Spuren hinterlassen hat. Requiescat in pace, lieber FXO!

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(Transparenzhinweis: Der Autor ist seit 2016 für die Pressearbeit des Klavier-Festivals Ruhr zuständig).




Klavier-Festival Ruhr: Mit Bravour in die Sommerpause

Arcadi Volodos bei seinem Konzert im Kulturzentrum Herne. Foto: Peter Wieler

Zum Ende der Sommer-Ausgabe des Klavier-Festivals Ruhr 2021 spielten Arcadi Volodos und Lise de la Salle herausragende und emotional bewegende Konzerte. Gastautor Robert Unger berichtet.

Bereits zum 17. Mal war Arcadi Volodos zu Gast beim Klavier-Festival Ruhr und interpretierte in Herne zu Beginn seines Konzertes die sechs Klavierstücke op. 118 von Johannes Brahms. In diesen gewichtigen Miniaturen zeigt Volodos seine Genialität in einer unaufgeregten, fein ausgeformten und präzisen Spielweise. Auch seine dynamische Finesse entfaltet sich im elegant flanierenden ersten „Intermezzo“. Jeder Ton findet Raum zur Klangentfaltung, die Bass-Linie wird hervorragend ausgeformt.

Im zweiten Teil des Konzertes kann der Pianist seine exzellenten Fähigkeiten in der Interpretation der Sonate A-Dur D 959 von Franz Schubert abermals unter Beweis stellen. Die Sonate, die zu den letzten drei Klaviersonaten des Komponisten gehört und als „klangschönste“ und „pianistischste“ bezeichnet wird, ist eine perfekte Partnerin für Volodos. Schon der Beginn mit seinen dominanten Oktaven in der linken Hand und der fast barocken Rhythmik zeigt ausgesprochen kraftvolles, an Beethoven gemahnendes Profil. Die dritte Wiederholung des Auftaktmotives kleidet Volodos in stilvoll zurückgenommene Virtuosität.

Höhepunkt des Konzertes ist dann ohne Zweifel das Andantino der Sonate. Der düster-fatalistische Charakter des Satzes mit den abrupten Einschlägen wirkt in seiner romantischen Zerrissenheit aus seiner Zeit hinaus weisend. Mit klaren Linien und Feingefühl interpretiert Volodos die Sonate bis zum letzten Ton. Das Publikum erhebt sich zu einem lang anhaltenden Applaus; der Pianist dankt für die Anerkennung mit fünf sehr unterschiedlichen und eindrücklichen Zugaben von Schubert, Brahms, zwei Mal Frederic Mompou und Alexander Skrjabin.

Gedenken an Flutopfer

Dem Intendanten des Festivals, Franz Xaver Ohnesorg, war es ein Anliegen, das Abschlusskonzert am 16. Juli mit Lise de la Salle in der Mercatorhalle in Duisburg nicht ohne Gedenken an die Opfer der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz beginnen zu lassen. Ohnesorg nutzte seine sonst routinemäßige Begrüßung, mit bewegenden Worten den Geschädigten sein Mitgefühl auszusprechen. Lise de la Salle hatte sich entschlossen, ihrem Konzertprogramm Johanns Sebastian Bachs Choral „Ich ruf zu Dir, Herr Jesu Christ“ in der Bearbeitung Ferruccio Busonis voranzustellen. Danach erhob sich das Publikum zum Gedenken still von seinen Plätzen. Solche Momente kann es nur in Live-Konzerten geben; kein Streaming-Angebot vermag einen solchen Akt gemeinsamer Sammlung und bewegend ausgedrückten Mitgefühls hervorzurufen.

Viel mehr als eine „Einspringerin“

Lise de la Salle in der Mercatorhalle Duisburg beim Klavier-Festival Ruhr.
Foto: Peter Wieler

Lise de la Salle, die seit ihrem Debüt 2012 erst zum dritten Mal beim Klavier-Festival Ruhr auftritt, beweist, weit mehr als ein „Ersatz“ für die in den USA auf ihre Visa-Unterlagen wartende Hélène Grimaud zu sein. Viel mehr als bloß eine Einspringerin, überzeugt sie mit einer völlig unprätentiösen, jeglicher Virtuosen-Zelebration abholden, geradezu spirituellen Interpretation der herausfordernden h-Moll-Sonate von Franz Liszt. Den Rahmen setzen spanische und lateinamerikanische Tänze und Charakterstücke von Isaac Albéniz und Alberto Ginastera: Die „Cantos de España“ mit dem als Gitarrenstück berühmt gewordenen „Asturias“ und Ginasteras „Tres Danzas Argentinas“ spielt Lise de la Salle bewundernswert präzis, kristallklar in den an Gitarrentechnik erinnernden Akkordsalven, rhythmisch schmiegsam und mit einer faszinierenden Palette von Anschlagsfarben. Dieser Pianistin möchte man gerne wieder begegnen.

Ausblick auf den Herbst

In einem Video zur ersten Halbzeit des Klavier-Festivals auf dessen Webseite zeigt sich Franz Xaver Ohnesorg dankbar für die großzügige Unterstützung der Sponsoren sowie die Treue und den Zuspruch des Publikums. Mit einer Auslastung von 80 Prozent unter Berücksichtigung der jeweils aktuellen Hygieneregeln kann der Intendant ohne Frage zufrieden sein. Dennoch kommt die Frage auf, warum es nicht gelungen ist, mehr Konzertbesucher zu aktivieren? Ist der meist kurzfristige Vorverkauf schuld? Empfinden die Menschen die Hygieneregeln als zu einschränkend? Fehlt ein unbeschwertes Gemeinschaftserlebnis? Oder befürchten die früheren Konzertbesucher angesichts der Meldungen über eine sich anbahnende vierte Welle gesundheitliche Risiken? Dazu wird es noch einiger sorgfältiger Analysen bedürfen.

Ohnesorg jedenfalls schaut mit professioneller Zuversicht auf die am 3. September startende Herbstausgabe des Klavier-Festivals. Er hat es wieder geschafft, ein umfangreiches, hochkarätiges, aber auch mit 15 Debüts besetztes Programm zusammenzustellen. Für das Festival, das normalerweise von Mai bis Juli seine Spielzeit hat, wird es wohl dennoch nicht einfach, sich gegen die Fülle von Premieren und Eröffnungskonzerten durchzusetzen, die im September alle gleichzeitig um das musikliebende Publikum buhlen werden.

Zum Auftaktwochenende vom 3. bis 5. September erwartet das Publikum drei exquisit besetzte Konzerte: mit den Brüdern Lucas und Arthur Jussen in Mülheim/Ruhr, mit Anne-Sophie Mutter, Lambert Orkis (Klavier) und Pablo Ferrández (Cello) in Essen und ein Abend, bei dem Sir András Schiff in der Philharmonie Essen ein erst zu Konzertbeginn verkündetes Überraschungsprogramm spielt. 35 Konzerte sollen bis Dezember 2021 wieder im gesamten Ruhrgebiet und darüber hinaus das Publikum in seinen Bann ziehen.

Er wird anlässlich seines 90. Geburtstags durch eine Reihe von Konzerten geehrt: Alfred Brendel, geschätzter Mentor vieler heute weltberühmter Pianisten. Foto: KFR/Mark Wohlrab

Weitere Höhepunkte sind sicherlich die Konzerte anlässlich des 90. Geburtstages von Alfred Brendel mit Pianisten, denen Brendel als Mentor verbunden ist – so Pierre-Laurent Aimard, Kit Armstrong, Imogen Cooper, Francesco Piemontesi und Anne Queffélec. Wieder dabei sind Meisterpianisten wie Marc-André Hamelin, Krystian Zimerman und Jos van Immerseel. Unter den fünfzehn Debütanten finden sich junge Talente wie die von Evgeny Kissin benannte Stipendiatin des Klavier-Festivals Ruhr 2020, Eva Gevorgyan, den Gewinner des Brüsseler Wettbewerbs „Reine Elisabeth“ 2021, Jonathan Fournel oder die Schülerin des legendären Dmitri Bashkirov, Pallavi Mahidhara. In der Jazz-Line kommt endlich der Stipendiat des Jahres 2020, der chinesische Jazz-Pianist, A Bu, zu seinem pandemiebedingt verspäteten Debüt.

Ab sofort können sich Interessierte auf www.klavierfestival.de Ihr Vorkaufsrecht für zahlreiche Konzerte sichern. Der eigentliche Ticketverkauf beginnt am Donnerstag, 19. August.




Das Geheimnis des Liedes heißt Konzentration: Pianist Graham Johnson tritt jetzt zum 50. Mal beim Klavier-Festival Ruhr auf

Gastautor Robert Unger, seines Zeichens Pressesprecher beim Kurt Weill Fest in Dessau,  über den Pianisten Graham Johnson, mit dem er ein längeres Gespräch geführt hat – vor allem über die Kultur des Kunstliedes:

Seit gut einem Monat ist das Klavier-Festival Ruhr im Gange und feiert sein 30-jähriges Bestehen und viel mehr noch die Kunst des Klavierspiels. 2018 jährt sich der 100. Todestag Claude Debussys; somit ist es nicht verwunderlich, wenn Intendant Franz Xaver Ohnesorg einen Schwerpunkt auf diesen Komponisten und auf französische Musik im Allgemeinen legt.

Der Pianist Graham Johnson (© Malcolm Crowthers)

Der Pianist Graham Johnson (Foto: © Malcolm Crowthers)

In der kommenden Woche, vom 14. bis 16. Mai (jeweils um 20 Uhr) präsentiert im Schloss Herten ein „Urgestein“ des Festivals, Graham Johnson, gemeinsam mit einer exquisiten Auswahl an Sängern französische Lieder und begeht damit seinen 50. Auftritt beim Klavier-Festival Ruhr.

Graham Johnson ist, das lässt sich ohne Übertreibung sagen, einer der maßgeblichen Liedpianisten der Gegenwart. Geboren im damaligen Rhodesien, studierte er an der Royal Academy of Music, bei Gerald Moore und Geoffrey Parsons. 1972 besuchte der Pianist die Meisterklasse von Peter Pears und Benjamin Britten. Seither legt er seinen Schwerpunkt auf die Liedbegleitung.

1976 gründete Graham Johnson mit Felicity Lott, Ann Murray, Anthony Rolfe Johnson und Richard Jackson den Songmakers’ Almanac, um vernachlässigte Vokalmusik wieder aufzuführen. Aus dieser Arbeit erwuchsen allein über 250 verschiedene Liederabend-Programme. Zu seinen Verdiensten zählt u.a. die Gesamtaufnahme des Schubert‘schen Liedschaffens auf dem Label Hyperion Records. Ähnliche Projekte wurden mit Liedern Robert Schumanns und Gabriel Faurés umgesetzt. Darüber hinaus nahm er zahllose CDs mit englischen Kunstliedern auf. Seine ausgezeichnet recherchierten fachlichen Erläuterungen sind sehr geschätzt, sein 2014 veröffentlichtes Kompendium des Liedschaffens von Franz Schubert in drei Bänden gilt als Standardwerk.

Am Anfang stand ein ungeliebter Bösendorfer-Flügel

Seit 1996 ist der Pianist mit einer einzigen Ausnahme jedes Jahr beim Klavier-Festival Ruhr aufgetreten und hat immer wieder das Publikum fasziniert und bewegt. Für ihn ist das Festival eine Herzensangelegenheit, bei der Intendant Franz Xaver Ohnesorg eine entscheidende Rolle spielt. Ohnesorg, so Johnson, „legt großen Wert darauf, das Lied als einen Teil des Festivals und als einen wesentlichen Aspekt der Kunst des Klavierspiels zu pflegen“.

Sein erster Aufritt war alles andere als ein Routineauftritt, erinnert sich Johnson: „Der Bösendorfer-Flügel war nicht mein Fall, ich bevorzuge einen Steinway. Damals im August war es brütend heiß. So war das erste Konzert eine schwierige Geburt. Seit damals hat sich viel geändert – und zum Glück ist dieses Konzert keine Eintagsfliege geblieben. Heute können wir in ganz anderer Weise konzentriert arbeiten.“

Drei Konzerte auf Schloss Herten

Dieses Jahr spielt er sein Jubiläumskonzert und zwei Liederabende mit Kompositionen von Claude Debussy und Camille Saint-Saëns im Schloss Herten. An Herten gefällt ihm besonders die „intime Atmosphäre und ein bewusst zuhörendes Publikum, das sehr treu ist und in dem wir im Lauf der Jahre loyale Unterstützer gefunden haben“. Johnson schätzt Herten als „eine kleine, versteckte Insel mittelalterlicher Schönheit am Rande des Ruhrgebiets“.

Gemeinsam mit Soraya Mafi (Sopran) und François Le Roux (Bariton) präsentiert er am ersten Abend, 14. Mai, einen Liederreigen von Camille Saint-Saëns. Der Franzose verfasste zahlreiche Werke in den verschiedenen Gattungen der Musik, darunter Sinfonien, Klavier- und Violinkonzerte und vielfältige Kammermusik, in denen er sich immer wieder mit den unterschiedlichsten Musiktraditionen auseinandersetzte, um stilistische Elemente in Form von Bearbeitungen zu integrieren.

Große Bewunderung für Camille Saint-Saëns

Johnson bewundert das Schaffen dieses Komponisten besonders: „Ich bin ein großer Bewunderer von Saint-Saëns. Er ist kein Avantgardist, kein weltveränderndes Genie, aber er war ein unglaublich begabter Pianist und Komponist und auch eine musikpolitisch wichtige Persönlichkeit. Seine Melodien haben Eleganz und Charme, er steht in der Tradition wie Bizet, Gounod und Fauré, den er lebenslang unterstützt hat – ein schönes Beispiel dafür, wie ein Komponist einem anderen zur Seite steht.“

Claude Debussy, dem Zeitgenossen Saint-Saëns‘, ist der zweite Liederabend am 15. Mai gewidmet. Sarah Fox (Sopran) und François Le Roux an der Seite von Johnson zeigen die Meisterschaft Debussys, die gekennzeichnet ist durch eine unpathetische, freie, jedoch immer noch tonale Musiksprache. Debussy, der sich selbst nicht als „Impressionist“ verstand, begriff Musik als ein sinnliches Klang- und Farbenspiel, das nur im Einklang mit den Geheimnissen der Natur und der Fantasie existieren kann. „Debussy wälzte die musikalische Welt um“, stellt Johnson dazu fest.

Franz Schubert bleibt der wichtigste unter den Liedkomponisten

Das persönlichste Konzert der Trilogie am 16. Mai ist Komponisten gewidmet, die Johnson stets begleitet und beschäftigt haben: „Mein Leben lang habe ich die Werke von Franz Schubert studiert. Er war ein großer Meister von Anfang an und bleibt für mich vielleicht der wichtigste unter allen Komponisten. Benjamin Britten möchte ich mit diesem Programm einen Dank abstatten: Ich durfte mit ihm studieren und er schrieb mir, als ich 22 Jahre alt war, eine Empfehlung. Über die Lieder von Gabriel Fauré habe ich 2009 ein Buch veröffentlicht. Das Manuskript zu ,Francis Poulenc The Life in his songs‘ habe ich gerade fertiggestellt, es erscheint 2019. Und mein dreibändiges Werk über Franz Schubert und seine Lieder kam 2014 heraus. Ich bin an der französischen Musikwelt ebenso interessiert wie an der deutschen oder englischen.“

So erklingen an diesem ausverkauften Abend, Johnsons Jubiläumskonzert, zwei Zyklen, die ihm besonders am Herzen liegen: Schumanns „Dichterliebe“ und Brittens „Seven Sonnets of Michelangelo“, mit denen der Komponist die Belcanto-Tradition aufgriff und im 20. Jahrhundert neu interpretierte. Mit dabei sind zwei erfolgreiche junge Sängerpersönlichkeiten: Erstmals die österreichische Mezzosopranistin Sophie Rennert, die u.a. bei den Salzburger Festspielen aufhorchen ließ. Die „Welt“ schwärmte von der „wunderbar warm geschmeidigen Glut ihres edlen Mezzosoprans“. Dazu kommt der nicht weniger gefeierte Tenor Ben Johnson.

Stille Begeisterung für eine kleinteilige Kunstgattung

Drei Abende in der intimen Atmosphäre von Herten, die das Lied als eine konzentrierte Kunstform voll emotionaler Kraft präsentieren, aber auch gleichzeitig vor Augen führen, wie selten diese wunderbare Kunstform sich präsentieren kann. Fern der großen Lieder-Tourneen von Sängern wie Jonas Kaufmann, Diana Damrau oder Elīna Garanča sind die Säle bei Liederabenden selten gefüllt. Die Begeisterung für diese kleinformatige, doch sehr bewegende Kunstgattung ist eine stille, immer mehr gepflegt von Kennern und Liebhabern.

Für Johnson ist der Rückgang eines früher durchaus verbreiteteren Interesses direkt verbunden mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung: „Das ist eine Frage der Bildung. Der Schwund des Publikums hängt mit dem Rückgang des allgemeinen Bildungsniveaus zusammen. Früher wurden in der Schule Gedichte auswendig gelernt. Heute halten Schüler Goethe für einen langweiligen alten Mann. Wie soll jemand, der sich nie mit einem Goethe-Gedicht befasst hat, ein Lied Schuberts auf einen seiner Texte mit Interesse hören? Die kulturelle Form des Liedes kann nur genießen, wer die Bildung dafür mitbringt. Dafür braucht es eine gewisse Neugier. Das Geheimnis des Liedes heißt Konzentration!“ Graham Johnson wird nicht müde werden, die faszinierende Kunst des Liedes weiter zu pflegen.

Karten zum Preis von 30 Euro sind für den 14. und 15. Mai noch erhältlich, das Konzert am 16. Mai ist hingegen ausverkauft. Tickets: 01806/500 80 3. Buchung im Internet direkt und platzgenau unter www.klavierfestival.de




Klavier-Festival Ruhr beginnt mit Werken für die linke Hand – Gedenken an den 1. Weltkrieg

Die Pianisten Leon Fleisher (l.) und Nicholas Angelich sowie die Neue Philharmonie Westfalen mit Dirigent Dennis Russell Davies eröffneten das Klavier-Festival Ruhr 2014. Foto: Mohn/KFR

Die Pianisten Leon Fleisher (l.) und Nicholas Angelich sowie die Neue Philharmonie Westfalen mit Dirigent Dennis Russell Davies (r.) eröffneten das Klavier-Festival Ruhr 2014. Foto: Mohn/KFR

In der Geschichte des Klavier-Festivals Ruhr, wurzelnd im Klaviersommer, den Jan Thürmer 1984 in Bochum ins Leben rief, ist die Nutzung großer Industriehallen als Spielstätte zunächst kein Thema gewesen. Erst 2002 gab es die Premiere auf Zollverein in Essen, mit einer sensationellen Doppelvorstellung von George Antheils skurriler Maschinenmusik namens „Ballet mécanique“. Ein Jahr später folgte die Bochumer Jahrhunderthalle, das Festival wurde hier Teil der „Extraschicht“.

Dabei ist es kein Zufall, dass die neuen Podien erst so spät ins pianistische Rampenlicht rückten. 2002 ist das Gründungsjahr der Triennale, die ihre Theaterbretter vornehmlich in eben jenen Werkshallen der Kohle- und Stahlindustrie aufbauen wollte. Dafür bedurfte es allerdings zunächst einer millionenschweren baulichen Aufhübschung. So bekam etwa die Bochumer Jahrhunderthalle ein gläsernes Foyer. Und das Dach wurde ausgebessert, um den Regen fernzuhalten.

In diesem Ambiente wurde nun das diesjährige Klavier-Festival Ruhr eröffnet. Es war zu erfahren, dass der Vertrag des seit 1996 amtierenden Intendanten Franz Xaver Ohnesorg um fünf weitere Jahre verlängert wurde. Es war zu erleben, dass prasselnder Regen ein akustischer Störfaktor sein kann. Denn es handelt sich hier nicht um einen isolierten Konzertsaal. Nur gut, dass der Hagelschauer vor Beginn der Aufführung niederdonnerte, sonst hätte es wohl eine Zwangspause geben müssen.

Seit 2003 ist das Klavier-Festival bei der "Extraschicht" in Bochums Jahrhunderthalle präsent. Das lockt durchaus neue Publikumsschichten. Foto: -n

Seit 2003 ist das Klavier-Festival bei der „Extraschicht“ in Bochums Jahrhunderthalle präsent. Es lockt so durchaus neue Publikumsschichten. Foto: -n

Im Vorlauf des eigentlichen Aufführungs-Raumes durfte sich das Publikum übrigens einer erheblichen olfaktorischen Reizung stellen. Der Gestank gab durchaus Anlass zur Beschwerde. Wie denn auch das Imbissangebot im Foyer von der eher mageren Art war. Keine Frage, die Spielstätte mag ihren Reiz haben. Und das Ansinnen des Klavierfests, vor allem durch die „Extraschicht“ neues Publikum zu gewinnen, ist natürlich legitim. Doch die äußeren Bedingungen, der hauseigene Service zumal, sollten schon, soweit möglich, einen gewissen Standard erfüllen. Nun, für Herbst 2015 ist die Eröffnung der Bochumer Symphonie geplant – ein Konzertsaal als ernstzunehmende Alternative.

Musikalisch wurde die Jahrhunderthalle jetzt zum Schauplatz des Gedenkens an den 1. Weltkrieg. Diese „Urkatastrophe“ führte nicht zuletzt dazu, dass sich ein neues pianistisches Repertoire herausbildete, Klavierstücke für die linke Hand entstanden. Das war dem unglücklichen Umstand geschuldet, dass es Pianisten wie Paul Wittgenstein gab, die im Krieg den rechten Arm verloren hatten. Viele Komponisten schrieben für ihn Konzerte, aber auch Kammermusik. Manches davon gilt es neu zu entdecken. Eine Spurensuche, der sich das große Pianistentreffen nun annimmt. Zum Einstieg erklingen deshalb die Klavierkonzerte für die linke Hand von Sergej Prokofjew, mit Leon Fleisher als Solisten, und Maurice Ravel, gespielt von Nicholas Angelich.

Der rote Flügel, Markenzeichen des Festivals, vor der Bochumer Industriehalle. Foto: Wohlrab/KFR

Der rote Flügel, Markenzeichen des Festivals, vor dem Bochumer Industriedenkmal. Foto: Wohlrab/KFR

Fleisher geht das in seiner Struktur klassizistisch anmutende Werk Prokofjews behutsam an, in nuancierter Tongebung. Manches aber wirkt allzu zaghaft, der spöttische Biss fehlt, den diese Musik eben auch bietet. Schön ist dabei, dass die Neue Philharmonie Westfalen (in erweiterter Kammerbesetzung) mit Dirigent Dennis Russell Davies die Klangbalance hält, den Solisten trägt.

Düsterer, teils monumentaler, herber und fiebriger gibt sich das Ravel-Konzert. Die Jazzelemente mögen den Großstadtsound der wilden 20er wiederspiegeln, doch die vorangegangene Katastrophe wird nicht ausgeblendet. Solist Nicholas Angelich spielt entsprechend mit  packendem Zugriff, zudem elegant, teils rhythmisch pointiert.

Der Abend ist indes auch einer des Orchesters. Wie die Neue Philharmonie Westfalen Ravels „Rhapsodie Espagnole“ interpretiert, beseelt, leidenschaftlich, den Klangfarbenreichtum des Werks auf Schönste herausstellend, verdient allen Beifall. Und zu Beginn, mit Prokofjews Opern-Suite „Die Liebe zu den drei Orangen“, stürzen sich die Musiker mutig, manchmal allerdings allzu plakativ, ins Brachiale, Martialische.

Informationen: http://www.klavierfestival.de




Das Klavier-Festival zieht mit Sebastian Knauer aufs Land und bleibt doch im Ruhrgebiet

Pianist Sebastian Knauer. Foto: Steven Haberland

Manchmal kommen diese Fragen, gerade jetzt zum 25jährigen Jubiläum, bisweilen mit kritischem Unterton: nach der Verortung des Klavier-Festivals Ruhr, seinen Wurzeln und seiner Ausbreitung. Und was gilt eigentlich als Kerngebiet? Daraus folgende Irritationen scheinen berechtigt, wenn die Veranstalter zum Konzert nach Hünxe einladen. Aufs Land, genau gesagt aufs Wasserschloss Gartrop, wo jetzt der Pianist Sebastian Knauer Sonaten von Beethoven sowie Schubert-Stücke interpretiert hat.

Doch gemach: Hünxe gehört zum Kreis Wesel. Und dort wurde eben auch Steinkohle abgebaut. Bis 2005 etwa im Bergwerk Lohberg-Osterfeld, Schacht Hünxe. Die malerische Gegend, und mit ihr das zauberhafte Schloss, dessen Geschichte sich bis in die Ritterzeit zurückverfolgen lässt, zählen also zum Ruhrrevier. Im übrigen: Seit jeher gehört das Martinsstift in Moers zu den Spielstätten – ansässig ebenfalls im Kreis Wesel.

Solcherart Wahl hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Zahl von Kammermusik- oder Konzertsälen im Ruhrgebiet nicht gerade Legion ist. Und es hat damit zu tun, dass Festival-Intendant Franz Xaver Ohnesorg als Partnersponsoren zunehmend den Mittelstand, nicht nur die großen Unternehmen im Blick hat. Hier, in Hünxe, ist es ein Hotelier, der sich des Märchenschlosses angenommen hat. Und der Saal, vielleicht ein bisschen kitschig eingerichtet mit seinen riesigen Lüstern, ist kein schlechter Ort für Musik.

Mag Sebastian Knauer auch kraftvoll zu Werke gehen und uns Beethovens „Sturm“-Sonate entsprechend martialisch in die Ohren hämmern, bleibt doch genügend Raum für sanfte, traumverloren schöne Töne. Denn so sehr der Pianist in seiner strengen, mitunter grimmig wirkenden Mimik auf virtuose Entäußerung setzt, so kunstvoll rhetorisch kann er etwa den Eingangssatz der „Mondscheinsonate“ ausformulieren. Dass er sich bisweilen zuviel Pedal gönnt, Konturen dabei verschwimmen, ist ein kleines Manko.

Dass er wiederum nach Noten spielt, ist nicht Ausweis von Schwäche. Eher eine Frage der Psychologie, im Sinne einer Absicherung, der es eigentlich gar nicht bedarf. Und selbst der häufige Blick ins Notierte, wenn es darum geht, Schuberts Impromptus ausgewogen und subtil in dessen Charakterwechseln zu interpretieren, zeugt nicht von Verkrampfung. Eher entsteht der Eindruck, Knauer wolle sich selbst hypnotisieren.

Dabei ist er alles andere als ein Zauberkünstler, ein Hexenmeister. Der gebürtige Hamburger, aus der Kämmerlingschule erwachsen, steht für Solidität, die keineswegs mit fadem Spiel gleichzusetzen ist. Knauer ist Gestalter, der Farben und Stimmungen hervorhebt, der mit eigenwilligen Betonungen gelegentlich übers Ziel hinaus schießt, andererseits Figurationen ihren quirligen Lauf lässt. Beethovens Wucht entfaltet sich dabei ebenso wirkmächtig wie Schuberts Melancholie.

Bleibt am Ende festzuhalten, dass Konzerte in eher ungewöhnlichen Spielstätten durchaus ihren Reiz haben. Dass also auch kleine Städte allen Grund haben, vom Klavier-Festival Ruhr zu profitieren. Und andere „Platzhirsche“, bisweilen medial markig unterstützt, sollten nicht gleich beleidigt in die Jammerecke laufen, werden sie einmal weniger berücksichtigt. Kirchturmdenken war doch gestern in den Kommunen des Ruhrgebiets. Oder haben wir da etwas missverstanden?

 

Schloss Gartrop ist noch einmal Austragungsort des Festivals: Nächsten Freitag (21.6., 20 Uhr) spielt dort Andreas Staier Werke von Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert auf einem Hammerklavier.

www.klavierfestival.de

 




Krachledern: Liszts Wagner- und Verdi-Bearbeitungen beim Klavier-Festival Ruhr

Große Geste: Pianist Boris Bloch. Foto: KFR/Mohn

Große Geste: Pianist Boris Bloch. Foto: KFR/Mohn

Richard Wagner und Giuseppe Verdi in aller Form zu würdigen, zu beider 200. Geburtstag, ist für Opernschaffende ein Leichtes. Beide Komponisten definieren sich ausschließlich über ihr musikdramatisches Schaffen, andere Gattungen rangieren unter „ferner liefen“. Wenn sich also das Klavier-Festival Ruhr diesen Monolithen des 19. Jahrhunderts angemessen nähern will, bleiben nur Umwege. Der wichtigste Pfad führt über den seinerzeit herausragenden Pianisten Franz Liszt, der im übrigen 1870 Wagners  Schwiegervater wurde.

Liszt entpuppte sich im Laufe seiner Auftritte am Klavier nicht zuletzt als Meister der Paraphrasen, Transkriptionen, Fantasien. Als Vorlagen dienten ihm auch die Opern Wagners und Verdis. Der Zweck dieser Übungen in akrobatischer Virtuosität dürfte ein doppelter gewesen sein: das komplexe musikdramatische Werk in handlicher Form unters Volk zu bringen, den Ruhm Liszts selbst als Dompteur seiner Musik zu mehren. Er protegierte andere und pflegte seine zweifellos vorhandene Eitelkeit.

Das Transkriptionenwerk in toto aufzuführen würde wohl bedeuten, eine extra Konzertwoche auf die Beine zu stellen. Immerhin hat sich das Klavier-Festival zu einem fünfstündigen Marathon entschlossen (incl. Pausen). Kein Problem zumindest für eingefleischte Wagnerianer, die in dieser Zeit mal eben einen „Tristan“ absitzen. Doch vier Konzerte und ein Zugabenblock mit Verdis Dramatik, Wagnerscher Wucht und Lisztschem Wirbeln ist schon ein harter Brocken. Nun, es war möglich, nur einzelne Konzerte zu buchen.

Viele aber harren aus an diesem Nachmittag in Essens Haus Fuhr. Ergeben sich drei Pianisten, die vor Kraft strotzen, in nahezu virtuosem Wahn die Tastatur durchpflügen. Wie der Ukrainer Boris Bloch, der den „Tannhäuser“-Pilgerchor in Liszts Transkription zwar als würdevolles Schreiten beginnt, sich aber in einen Handkantenbruitismus steigert, der uns offenbar schon mal gewöhnen soll an die vorherrschende Lautstärke der Deutungen. Oder wie der Weißrusse Yuri Blinov, der das „Meistersinger“-Vorspiel (in Zoltán Kocsis’ Fassung) geradezu hinrichtet. Oder wie der Kölner Michael Korstick, ein bisschen an den Noten hängend, der den „Einzug der Gäste auf der Wartburg“ (Tannhäuser) bedingt festlich, umso mehr grobschlächtig zelebriert. Ja, die drei Herren am Klavier lassen es ordentlich krachen.

Es ist ein schweres Wagner-Liszt-Gewitter, das uns zunächst überwältigt – Musik als gesichtsloses Virtuosenfutter. Dabei teils derart eigenwillig, manieriert gespielt, dass der Verdacht aufkommt, Liszt hätte seinen Protegée karikieren wollen. Vor allem Bloch inszeniert großes Drama, Subtiles hat kaum eine Chance, und wenn, gerät es unangenehm sentimental („Am stillen Herd“/Meistersinger). So gedeutet und betrachtet, wird verständlich, dass Wagner von manchen bis heute in die monströse Ecke gestellt wird.

Mit stetem Blick in die Noten: Pianist Michael Korstick. Foto: KFR/Mohn

Mit stetem Blick in die Noten geht Pianist Michael Korstick eifrigst zu Werke. Foto: KFR/Mohn

Immerhin: Der Himmel lichtet sich ein wenig, wenn wir in Verdis Sphären vordringen. Michael Korstick spielt Liszts Bearbeitung von „Danza Sacra e Duetto Finale“ (Aida) eher verhalten und einigermaßen sensibel. Dass dieses letzte Duett der Oper allerdings vom Tod handelt, ist bestenfalls zu erahnen. Korstick zerdehnt das Liebesthema, nimmt dem Drama seine Wirkung. Boris Bloch übrigens interpretiert das Stück ebenfalls, es klingt weniger brüchig und das Tänzerische gewinnt mehr rhythmisches Profil.

Überhaupt scheint Bloch in Verdis Welten etwas sicherer zu Werke zu gehen. So beginnt Liszts Paraphrase auf das „Rigoletto“-Quartett (Bella figlia dell’amore) zwar sanft melodisch, doch der Pianist braucht nicht allzu lange, um in gewohnt brachialer Manier das Stück auf Effekt zu bürsten, offenbar, um Liszt noch übertreffen zu wollen.

Am Ende dieses außergewöhnlichen Konzert-Formats, das Festival-Intendant Franz Xaver Ohnesorg als Experiment ankündigte, klingeln uns die Ohren. Diese Musikdosis reicht für die nächsten 24 Stunden. Ärgerlicher aber ist, dass mit der Zahl der falschen Töne, die wir ertragen müssen, noch ein Öperchen hätte komponiert werden können. Insofern haben drei Pianisten drei berühmten Komponisten nichts als Bärendienste erwiesen.




Auftakt zum Klavier-Festival Ruhr in Bochum: 25 Jahre Individualität und Schönklang

Desgleichen ist weltweit nicht zu finden. Solche Superlative gehen in der Werbung und der Politik leicht über die Lippen. Bundestagspräsident Norbert Lammert war in diesem Fall aber einschränkungslos Recht zu geben: Das Klavier-Festival Ruhr ist in der Tat eine einmalige Plattform für die Pianistenkunst – und das seit 25 Jahren. Auch wenn der erst 25-jährige Igor Levit und das WDR Sinfonieorchester nicht zu den allerersten Namen in der Klassik-Szene gehören: Das Eröffnungskonzert in der Jahrhunderthalle Bochum umwehte eine Aura des Besonderen.

Auftakt zum Klavier-Marathon: In der Jahrhunderthalle Bochum begann das Klavier-Festival Ruhr. Foto: Werner Häußner

Auftakt zum Klavier-Marathon: In der Jahrhunderthalle Bochum begann das Klavier-Festival Ruhr. Foto: Werner Häußner

Gottseidank sah der warme Frühsommerabend kein weihevolles Fest, sondern eine fröhliche Begegnung von Menschen, die Musik lieben, die sie unterstützen, die sich gerne unter Künstler und Liebhaber mischen. Die gepflegte Bräune der Schönen und Reichen war zu sehen, die edlen Roben und eleganten Maßanzüge auch, der teure Schmuck und einige in ihrer Kunstfertigkeit mit der Kunst konkurrierende Frisuren. Aber dazwischen tummelten sich junge Menschen in lässiger Kleidung, auch der eine oder andere Enthusiast mit einem leichten Zug zum Verschrobenen. Das Schöne an diesem Klavier-Marathon: Es ist ein Fest der Musik, das alle Menschen verbindet, kein Festival selbst ernannter Eliten oder Kennerzirkel, die gerne unter sich bleiben.

Dass es, wie Schirmherrin Traudl Herrhausen ausdrückte, „glänzend dasteht“, ist nicht zuletzt Verdienst eines einmaligen Kenners und Netzwerkers: Franz Xaver Ohnesorg hat es mit Klugheit, Diplomatie und Durchsetzungsvermögen geschafft, den Ruf des Festivals stets so zu mehren, dass kaum mehr vorstellbar ist, dieses Ruhrmetropolen-Alleinstellungsmerkmal zu schmälern oder gar zu beschädigen. Klar: Es gibt immer Stimmen, die einen seelenlosen Ökonomismus oder Pragmatismus predigen, der beim geringsten kühlen Konjunkturwind am liebsten an Kunst und Kultur abzwacken würde. Aber dass solche Misstöne gar nicht erst zum Klingen kommen, ist nicht zuletzt dem geschickten Intendanten geschuldet.

Muss hemmungsloser Populismus sein?

Mit Misstönen war an diesem Abend eh kein Staat zu machen: Igor Levit ließ seine paar flüchtigen Vergreifer in Tschaikowskys b-Moll-Konzert schnell vergessen, und der 29-jährige dirigentische Senkrechtstarter Krzysztof Urbánski zeigte mit einem vorzüglich disponierten WDR Sinfonieorchester, dass er zu den Apologeten des kompromisslosen Schönklangs gehört – und damit an seiner Chefstelle beim amerikanischen Indianapolis Symphony Orchestra sicherlich einen empfindsamen Nerv des Publikums berührt.

Eröffnungskonzert mit Igor Levit und dem Dirigenten Krzysztof Urbánski. Foto: Peter Wieler

Eröffnungskonzert mit Igor Levit und dem Dirigenten Krzysztof Urbánski. Foto: Peter Wieler

Tschaikowskys Klavierkonzert schlossen sich Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ an; eine Folge, die erwägen lässt, ob es wirklich Aufgabe eines Rundfunkorchesters ist, so hemmungslos populistische Programme anzubieten. Und auch ein Festival wird sich fragen lassen müssen, ob unter den selbst gewählten Akzenten (Wagner, Verdi, Britten Poulenc) nicht auch Eröffnungswürdiges und weniger Gängiges zu finden gewesen wäre. Oder ob man den polnischen Dirigenten nicht hätte überzeugen können, zum Beispiel den 100. Geburtstag von Witold Lutosławski unter die allseits gewürdigten Groß-Jubilare von 2013 zu mischen.

Igor Levit sorgte mit den allzu bekannten Eröffnungsakkorden des b-Moll-Konzerts sogleich für die erste Überraschung: Mit seinem Partner Urbánski am Pult leugnet er das „Maestoso“, schlägt einen poetischen, beinah schon innerlichen Ton an, lässt das Klavier über der Bewegung des Orchesters gleiten wie einen Ölfilm auf Wasser. Da war nichts Triumphales oder Trotziges zu hören. Levit rückt das Konzert näher an „Eugen Onegin“ als an „1812“.

Die lyrische Welt des „Onegin“ durchmessen

Dieser Linie bleiben die Beiden treu: Die breit strömenden Violinen des WDR-Orchesters leuchten im Tonfall süßen Schmerzes, das Blech nimmt sich bis ins Mezzoforte zurück. Levit zügelt sich in verhaltenen Passagen, als wolle er den virtuosen Aspekt des Konzerts bewusst verleugnen – was er nicht tut: In den dahinfliegenden gestochenen Akkordketten des Finalsatzes, in der emphatischen Konkurrenz mit dem Rollen der Pauken zeigt er, dass ihm Energie und zupackende Attacke nicht fremd sind. Technik muss er aber nicht demonstrieren – er hat sie einfach.

Von links: Krzysztof Urbánski, Franz Xaver Ohnesorg, Traudl Herrhausen, Igor Levit. Foto: Wieler

Von links: Krzysztof Urbánski, Franz Xaver Ohnesorg, Traudl Herrhausen, Igor Levit. Foto: Wieler

Was Levits Liszt-Spiel auszeichnet – es ist auf einer CD-Edition des Klavier-Festivals von 2011 nachzuhören –, überträgt er auch auf Tschaikowsky: differenzierte Dynamik, Sinn fürs Charakteristische, Lust an gleisnerischer, sogar grotesker Extroversion. Im ersten Satz liefert Levit dafür in einem rhythmisch angespitzten, koboldig purzelnden Intermezzo ein bezeichnendes Beispiel. Plötzlich scheint Mussorgsky Regie zu führen. Im zweiten Satz steht eher die Delikatesse im Vordergrund: weich und introvertiert der Anschlag, manchmal zu verliebt der Pedaleinsatz. Und im dritten Satz kontrastieren atemberauende Staccato-Ketten mit der fröhlich zelebrierten Simplizität russischer Tanzrhythmen und den dazwischen aufwehenden Schleiern von „Onegin“-Melancholie.

Hätte sich diese Kunst des Charakterisierens in zweiten Teil fortgesetzt, der Abend wäre bemerkenswert geblieben. Doch Urbánskis Interesse scheint vor allem auf einen perfekten Orchestersound gerichtet zu sein. Selten war das WDR-Sinfonieorchester so homogen, so samtig, so süffig zu hören wie an diesem Abend – auch wenn es, wohl durch die Akustik bedingt, zu einigen Klang-Ausreißern bei den Bläsern kam.

Ein Tänzer vor dem Orchester

Urbánski ist vor allem ein begnadeter Tänzer: Er wirbelt Phrasierungen durch die Luft, auf die man erst einmal kommen muss. Und er zeigt den Musikern mit gekrümmten Fingern, angezogenen Armen und hackenden Bewegungen, worauf es ihm etwa beim „Gnomus“ oder der „Hütte der Baba Yaga“ ankommt. Pech nur, dass es für das „Ballett der Küchlein in den Eierschalen“ offenbar noch keine dirigentischen Chiffren gibt – weshalb Urbánski die bizarre klangliche Umsetzung des Bildeindrucks durch Mussorgskys auf eine, sagen wir einmal, Kinderzeichnungs-Groteske verniedlichte.

Urbánski, so scheint mir, gehört in seinem Hang zum abgerundeten, glatten, füllig schimmernden Klang zu denjenigen jungen Künstlern, die in ihrem zweifellos durch großes Können abgesicherten Hang zur makellosen Politur vergessen, dass es allemal interessanter ist, das Originelle, das Charakteristische, das Sperrig-Individuelle zu entdecken. Und das zumal bei Mussorgsky, der alles andere im Sinn hatte als die glatt-verbindliche Musik zu schreiben, die ihm manche seiner gutmeinenden Bearbeiter später untergejubelt haben. So passte diese Mussorgsky-Wiedergabe eher zu den Roben und Maßanzügen als zu den leise versponnenen Freaks – was nicht heißen soll, dass unter der Haute Couture nicht auch ein Herz für Mussorgskys störrische, manchmal gespenstische musikalische Radikalität schlagen könne. Urbánski freilich hat das für sich noch zu entdecken.

Das Klavier-Festival Ruhr 2013 bringt bis 19. Juli 65 Konzerte in 21 Städten auf 26 Podien an Rhein und Ruhr. WDR, Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur werden zahlreiche Konzerte im Hörfunk übertragen; der WDR erstellt zudem eine TV-Dokumentation „25 Jahre Klavier-Festival Ruhr“. Der diesjährige Preis des Klavier-Festivals Ruhr geht an den frankokanadischen Pianisten Marc-André Hamelin, der am 29. Juni in der Philharmonie Essen konzertiert. Information: www.klavierfestival.de

Das nächste Konzert mit Igor Levit in der Region findet am 16. Juni in der Kölner Philharmonie statt: Gemeinsam mit dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg spielt er Johannes Brahms‘ Zweites Klavierkonzert. Levits Debüt auf einer CD seiner Plattenfirma Sony mit Werken Ludwig van Beethovens wird für Herbst 2013 erwartet.




Nicht pompös, sondern für alle da – bewährte Programmvielfalt beim Klavier-Festival Ruhr

Auch Yuja Wang ist Gast des Klavier-Festivals Ruhr 2012. Foto: Wohlrab

Das Klavier-Festival Ruhr 2012 beginnt um neun. Früh morgens, versteht sich – als taufrische Ouvertüre zum gut zwei Monate dauernden Pianistentreffen (5. Mai bis 14. Juli). Im WDR3-Klassikforum, moderiert von Hans Winking, sollen Künstler, Sponsoren und Intendant Franz Xaver Ohnesorg zu Wort kommen, Musik inklusive, direkt aus der Essener Philharmonie.

Ohnesorg dürfte sich freuen über diese öffentlichkeitswirksame Neuerung – wie auch über die Tatsache, dass die noch junge Stiftung Klavier-Festival es erstmals geschafft hat, Rücklagen zu bilden. Gleichwohl weiß er, dass ein langer Atem erforderlich ist: „Es wird mehr als 15 Jahre dauern, um von den Zinsen des Stiftungskapitals das Festival hauptsächlich zu finanzieren“, sagt Ohnesorg.

Bei der Vorstellung des Programms in der Essener Philharmonie demonstriert er allerdings auch Bescheidenheit. „Wir sind kein pompöses Festival, wir grenzen niemanden aus“, betont der Intendant. Mit dem Hinweis auf günstige Tickets für alle Konzerte, auf Preisermäßigungen für Jugendliche wendet er sich so gegen eine Debatte, die (privat geförderte) Kultur und Soziales gegeneinander ausspielen will. Mit Nachdruck erwähnt er zudem das Education-Programm: 600 Kinder würden angesprochen, an verschiedenen Projekten teilzunehmen.

Doch dem Intendanten ist natürlich klar, dass auch die Kunst nach Brot geht. Und so verbucht es Ohnesorg, der sich im Kreis der Förderer, Sponsoren und jetzt sieben Partnerstiftungen „wohl aufgehoben“ fühlt, als Erfolg, dass nunmehr gut 40 Prozent des Festival-Etats Sponsorenmittel sind. „Dabei liefert der Initiativkreis Ruhrgebiet immer noch den größten Beitrag.“

Für Ohnesorg ist das stete Umwerben weiterer Geldgeber auch Anlass, neue Spielstätten zu erschließen. So begibt sich das Festival im Rahmen von 65 Konzerten (2011 waren es 61) wiederum teils ins Westfalenland. In Schwelm, im Ibach-Haus, tritt David Kadouch auf (22.5.), debütiert die junge französische Pianistin Lise de la Salle (11.7.). Das Schloss Rheda ist Auftrittsort für Christine Schornsheim (2.6.), das Wasserschloss Gartrop in Hünxe für den Essener Folkwang-Professor Boris Bloch (9.7.). „Wir wollen dahin gehen, wo unser Publikum zuhause ist“, lautet des Intendanten Credo.

Die französische Pianistin Lise de la Salle gibt ihr Debüt beim Festival. Foto: Lynn Goldsmith

Insgesamt setzt das Festival auf die bewährte Mischung aus vielversprechenden jungen Solisten und Berühmtheiten des Fachs. 2012-Jubilare wie John Cage (100. Geburtstag) oder Claude Debussy (150. Geburtstag) sind Anlass für einen französisch-amerikanischen Schwerpunkt.

Dessen konzertanten Beginn – nach dem frühmorgendlichen Auftakt – bestreiten in Essens Philharmonie die Bochumer Symphoniker unter Steven Sloane und der Pianist Jean-Yves Thibaudet mit Werken von Ravel, Gershwin und Bernstein. Für den jazzigen Kehraus sorgen wiederum Till Brönner und Freunde in Duisburgs Mercatorhalle.

Dazwischen lotet Steffen Schleiermacher die präparierte Klavierwelt von John Cage aus (29. 5., Essen), lädt Alfred Brendel zum pianistischen Meisterkurs (2. – 4. 7., Essen), begibt sich András Schiff erstmals am Hammerklavier auf Schuberts Spuren (13. 7., Mülheim).

Schuberts Musik ist gewissermaßen ein heimlicher Schwerpunkt des Festivals, der seinen Ausdruck etwa im Hertener Liedwochenende findet (17.-18. Mai). Sechs Konzerte wiederum wenden sich dem Jazz zu. Dabei soll die Begegnung von Chick Corea und Bobby McFerrin besondere künstlerische Überraschungen liefern (25. 6., Essen).

Den Preis des Klavier-Festivals Ruhr bekommt der rumänische Pianist Radu Lupu während seines Konzerts in Mülheim (21.5.). Er interpretiert Werke von César Franck, Schubert und Debussy.

Die letzte Information, die Ohnesorg bei dieser Programmvorstellung liefert, lädt uns ein zu lustvoller Spekulation. „Im kommenden Jahr feiern wir 25 Jahre Klavier-Festival Ruhr. Dann gibt es ein neues Format.“

 

Karten gibt es unter Tel. 01805 500 80 3 oder im Internet: www.klavierfestival.de

 

(Der Text ist in ähnlicher Form in der WAZ erschienen)

 

 




Auch Bochum will ein Konzerthaus bauen – Finanzielle Vorbehalte / „Konkurrenz“ reagiert gelassen

Von Bernd Berke

Bochum. Auch Bochum möchte ein Konzerthaus bauen – für 21,4 Mio. Euro. Dies hat gestern der städtische Kulturausschuss im Grundsatz bekräftigt.

Allerdings wurde auf die im November 2006 anstehenden Haushaltsberatungen verwiesen. Falls das Projekt dann bejaht wird: Würde eine neue Konkurrenz für die Philharmonien in Dortmund und Essen drohen?

Die WR fragte nach und vernahm betont gelassene Stimmen. Dortmunds Konzerthaus-Chef Benedikt Stampa findet den Vorgang undramatisch und sagt sogar: „Das wäre eine Supersache. Die Bochumer Symphoniker hätten es verdient.“

Bisher muss das Orchester (Leitung: Steven Sloane) zwischen diversen Bochumer Spielstätten „tingeln“. Mit dem Neubau neben der Jahrhunderthalle bekäme es endlich eine feste Bleibe. Das Bochumer Haus mit rund 1100 Plätzen (Dortmund: fast 1600, Essen: 1800) würde zudem in einer anderen Liga spielen, meint Stampa: „Da dürfte es keine großen Publikums-Bewegungen geben.“

Ähnlich unaufgeregt sind die Erwartungen bei der Essener Philharmonie. Und Prof. Franz Xaver Ohnesorg, Chef des Klavierfestivals Ruhr, findet: „Die Entscheidung wäre längst überfällig. Wenn man es intelligent anfängt und eigene Profile findet, so ergänzen sich die Häuser.“

Bochums Kulturdezernent Hans-Georg Küppers stellt klar: „Wir wollen kein Konzerthaus im eigentlichen Sinne, sondern in erster Linie eine feste Spielstätte für unsere Symphoniker.“ Gewiss könne es auch Fremdveranstaltungen geben, doch eher im Jazz- oder Kammermusik-Bereich.

Hat es im Vorfeld Absprachen zwischen den Revier-Kommunen gegeben, die sich gemeinsam anschicken, Europäische Kulturhauptstadt 2010 zu werden? Offenbar ja. Mit seinen Dezernenten-Kollegen Jörg Stüdemann (Dortmund) und Oliver Scheytt (Essen) ziehe er auch in der Angelegenheit „an einem Strang – und zwar in dieselbe Richtung“, versichert Bochums Küppers. Auch mit den Chefs der Philharmonien in Essen und Dortmund herrsche Einvernehmen.

Das Problem ist Bochums prekäre Haushaltslage. Das Konzerthaus soll von der Stadt-Tochter „Entwicklungsgesellschaft Ruhr“ gebaut werden. Ab 2009 würden jährlich 1,3 Mio. Euro Mietkosten zu Lasten der Stadt anfallen. Spätestens bis dahin, so Küppers, müsse man den Etat so weit konsolidieren, dass sich Bochum diese Ausgabe erlauben kann. Unter solchen Vorbehalten wurde denn auch gestern im Kulturausschuss beraten. Denn die Bezirksregierung in Arnsberg überwacht die Bochumer Haushaltsführung genau.