Klassenkampf light: Schauspielhaus Bochum zeigt Brechts „Im Dickicht der Städte“

Am Schönsten ist das Bühnenbild: Aus tausenden bunten LED-Leuchten zusammengesetzt, glitzert auf schwarzem Bühnenhintergrund das nächtliche Chicago. Auch in seiner Zerstörung funkelt es noch verführerisch, wenn sich die die kleinen Lämpchen schon längst über den Bühnenboden verteilt haben. Am zweitschönsten ist die Musik: Nadja Robiné im Amy Winehouse-Outfit bereichert die Szenerie mit coolen Songs und jazzig angehauchten Rhythmen, arrangiert hat das Daniel Murena für das Schauspielhaus Bochum.

Ansonsten führt Roger Vontobels Inszenierung von Bertolts Brechts „Im Dickicht der Städte“ vor, was aus dem guten alten Klassenkampf geworden wäre, gäbe es ihn heute noch. Statt in einer Leihbücherei würde George Garga (Florian Lange) in einer Videothek arbeiten, was der Zuschauer dann auch großformatig im Video zu sehen bekommt. Die armen Leute, in diesem Falle seine Eltern, säßen unförmig verfettet und chipsfressend auf dem Sofa und glotzten Unterschichtsfernsehen. Seine Schwester Marie ginge lieber mit dem trashigen Brutalo-Rapper, Typ nervöser Irak-Veteran, als sich mit einem „Schlitzauge“ einzulassen.

Foto: Arno Declair

Foto: Arno Declair

Obwohl das „Schlitzauge“ namens Shlink schweinereich und folglich von einer Gang halbseidener Mafia-Typen umgeben wäre. Aus reiner Willkür und um des Kampfes willen, hat der Holzhändler die Absicht, den armen George Garga in den Abgrund zu stoßen und ihm seine Überzeugungen gleich mit abzukaufen.

Doch warum Holzhandel? Hier hätte Vontobel in seinem Brecht 2.0 eigentlich so einen Internetfritzen mit Allmachtsfantasien entwerfen müssen – wie beispielsweise WikiLeaks-Gründer Julian Assange oder so. Aber bei genauem Hinsehen: Ähnelt Matthias Redlhammer mit seinem silbergrauen Haar und seinem schwarzen Anzug dem nicht sogar ein bisschen?

Im Grunde also hat der Relaunch von Brechts Frühwerk (Uraufführung 1923) ganz gut geklappt. Die Frage ist nun, warum die Inszenierung trotzdem nicht so recht zündet. Ist uns der Klassenkampf einfach zu fern? Kapieren wir nicht mehr seine existenzielle Schärfe, weil unser Unglück (teilweise) sozial abgefedert wird? Ist die Vereinzelung schuld, das Phlegma, sich zusammenzutun und zu engagieren? Oder das resignierte Gefühl, gegen einen übermächtigen Gegner, der einfach mal so die WR-Redaktionsstelle oder den Opel-Arbeitsplatz abschafft, sowieso nichts ausrichten zu können?

Dabei sagt doch Shlink: „Wenn ihr ein Schiff vollstopft mit Menschenleibern, dass es birst, wird eine solche Einsamkeit in ihm sein, dass sie alle gefrieren. Ja, so groß ist die Vereinzelung, dass es nicht einmal einen Kampf gibt.“

Vielleicht haben wir unseren Brecht ja inzwischen eingeholt oder er uns: Die Krieger sind müde, Kämpfe finden nur noch als Scheininszenierungen in der Glotze und im Videospiel statt. Und natürlich in Weltgegenden, die uns nichts angehen. Und zwei Kämpfern zuzusehen, die selbst gar keine Lust haben zu gewinnen, ist naturgemäß öde. Ach, zapp das mal weg und gib lieber die Chipstüte rüber. Ich trink noch einen Bubble Tea.

Informationen: http://www.schauspielhausbochum.de/de_DE/calendar/detail/11204749




Harte Zeiten für Kämpfer – Jürgen Bosse inszeniert Brechts „Im Dickicht der Städte“

Von Bernd Berke

Essen. Schaut nach Mafia-Überfall aus, was sich da in Chicago abspielt: Mit Wortsalven wie aus Maschinengewehren dringen der malaiische Holz-Magnat Shlink und seine Leute in die schäbige kleine Leihbibliothek ein und kujonieren den Angestellten Garga. Ein paar Bücher werden auch zertrampelt. Es ist Kampfeszeit, und Bert Brechts frühes Stück „Im Dickicht der Städte“ ergeht sich in Kampfeslust.

Gestritten werden soll ohne Grund und Motiv, es dreht sich alles um taktische Finessen. Brecht war damals ein Anhänger des Boxsports. Doch Jürgen Bosses Inszenierung in Essen kommt uns nicht mit läppischen Anspielungen auf Henry Maske & Co. Sie ähnelt eher einer fernöstlichen Zen-Meditation über Sinn und Sinnlosigkeit des Kämpfens in kapitalistischen Zeiten. Zumal „Shlink“-Darsteller Matthias Kniesbeck, beleibt und kahlköpfig, hier beinahe wie eine Buddha-Figur wirkt.

Die Bühne (Wolf Münzner) ist zumeist in fahles Licht getaucht; dazwischen ein paar Exotika wie jener asiatische Wandschirm, auf dem sich manchmal die Menschen im Schattenspiel abzeichnen. Die Szenen changieren zwischen überscharfen Umrissen und leicht verhuschten Traumgesichten.

Verlöschendes Feuer im Schneegestöber

Das noch glühende, jugendwilde, aber schon erkennbar genialische und oft außerordentlich sprachkräftige Stück setzt einer Inszenierung Widerstände entgegen. Es handelt ja zu allem Überfluß nicht nur vom Kampf, sondern auch von dessen Unmöglichkeit: Denn die Menschen seien einander so entfremdet, daß sie nicht einmal zur Reibungsnähe eines wirklichen Streites sich zusammenfinden können. Der Regisseur läßt Ungereimtheiten gelegentlich einfach stehen und geschehen.

Nicht sonderlich kühn, aber doch einigermaßen beherzt, schlägt Bosse einen großzügig weiten Bogen über den Text. Und er hält einen gewissen Spannungsgrad bis zum Schluß aufrecht.

Achtbare Leistung des Ensembles, das eben nicht kurzerhand „alle Register zieht“, sondern die vielfach aufs absurde Theater vorausweisende Typen-Komödie mit der nötigen Trennschärfe versieht. Sehr plastisch werden vor allem die Wirkungen des listig-bösen Rollentauschs herausgearbeitet: Shlink überschreibt Garga seinen Holzhandel, er will damit dessen Lebenskonzept zerstören, gewohnte Liebes- und Familienbindungen unterhöhlen. Wir sehen nun, wie sich Shlink zum Philosophen der Macht(losigkeit) wandelt und wie andererseits Garga (Michael Schütz) vom fahrigen Underdog zum stolzierenden Hahn wird – einprägsames Körperspiel.

Am Ende ist „das Chaos aufgebraucht“, wie es im Text heißt. Und das letzte Bild wirkt ganz leer und erschöpft: verlöschendes Feuer im Schneegestöber. Der Kampf ist vorbei, der Mensch ganz allein.