…doch Heidegger stieg durchs Gebirge – Elfriede Jelineks „Totenauberg“ bei den Mülheimer Stücketagen

Von Bernd Berke

Mülheim. Vor dem Juhnke-Rummel * hatten die Mülheimer Stücketage mit Elfriede Jelineks „Totenauberg“ begonnen, einem Drama über den Philosophen Martin Heidegger (1889-1976). Der war ein Brocken aus Granit.

In seinem Hauptwerk „Sein und Zeit“ genügte ihm der Begriff „Sein“ keineswegs. Er erfand z. B. auch noch „das Seiend“ und „die Seiendheit“ hinzu. Hut ab vor Elfriede Jelinek, weil sie – in Nachvollzug und Parodie – solchem Kauderwelsch eine poetische Sprache abgewann. „Totenauberg“, hier in der Fassung des Wiener Burgtheaters (Akademietheater) zu sehen, bezieht sich im Titel auf Heideggers Denkerklause im schwäbischen Todtnauberg. Derlei Wortspiele prägen den Text. Er stellt Heideggers Sprechblasen auf seine Weise so wirksam unter Verdacht wie 1964 Theodor W.Adornos Abrechnung („Jargon der Eigentlichkeit“).

Mehr noch. Das Stück konfrontiert den greisen Philosophen, der sich als Freiburger Uni-Rektor emsig mit den Nazis einließ (der Geistesriese als Moralzwerg), mit der jüdischen Denkerin Hannah Arendt. Die war als junges Mädchen in Heidegger verliebt – und wurde 1933 ins Exil getrieben, just als Heidegger seine großdeutsche Erweckung erlebte.

Trotzdem ist das Stück keine Heidegger-Schelte, sondern eine graue Litanei. Ein Alptraum aus Worten. Frau Jelinek versetzt die langen Monologe mit Passagen über furchtbar-fruchtbare Mutterschaft, Tötung „ungesunden“ Lebens, Tourismus, Naturzerstörung, Heimat, Fremde und Exil. Da tun sich Wunden auf, die auch in der Gegenwart nicht verheilt sind.

Österreichs Alpen bilden die Kulisse. Die Schauspieler müssen auch wirklich Text-Berge bewältigen, die Regisseur Manfred Karge freilich (bis an den Rand des Zulässigen) abgetragen hat. Hätte er nicht ein so großartiges Ensemble (u. a. Martin Schwab, Therese Affolter, Lore Brunner), wäre jeder Gag eine Qual. Das Ganze ist nicht für die Spielpraxis geschrieben, es ist eine harsche Herausforderung an die Bühne. Aber Jelineks kunstvolle Sprache will nicht nur gelesen, sondern gesprochen und gehört sein. Also doch eine Theatersache, wenn auch eine sperrige.

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* Juhnke-Rummel: Peter Turrinis Stück „Alpenglühen“ konnte in Mülheim nur als Lesung aufgeführt werden, weil Hauptdarsteller Harald Juhnke kurzfristig ausfiel… (darüber berichtete der WR-Kollege Rolf Pfeiffer).

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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