Documenta-Splitter: Große Schau mit ein paar Macken

Von Bernd Berke

  • Kassel. Der Andrang zur documenta in Kassel ist riesengroß. Bereits am letzten Wochenende, als die Weltkunstschau gerade erst eröffnet war, strömten 18.000 Leute auf das Ausstellungsgelände, bis gestern waren über 40.000 da. Zeitweise mußten einzelne Gebäude geschlossen werden, sonst hätte man nur noch Besucher und keine Kunst mehr gesehen. Bis zum Schlußtag (20. September) dürfte man also den 1987 aufgestellten Rekord von 480.000 erreichen.
  • Auf der großen Wiese vor dem Fridericianum herrscht an sonnigen Tagen echte Volksfest-Atmosphäre. Das liegt nicht nur an den zahlreichen Imbiß- und Getränkeständen (einigermaßen zivile Preise), sondern vor allem daran, daß hier auch ein Forum für allerlei Weltverbesserer und Sonderlinge entstanden ist. In diese quirlig-bunte Szene mischt sich dann und wann auch eine Gruppe namens „DuKunst“ (Köln/Iserlohn), verpaßt Besuchern Goldstempel auf die Hand, verschenkt Reiskörner, erklärt documenta-Chef Jan Hoet für abgesetzt und läßt wissen, ein gewisser „Chez“ halte sich als Ersatz bereit. Auffallen ist alles.
  • Auf dem gleichen Platz ist meist auch der wohl gesprächsfreudigste aller documenta-Künstler zu finden: Mo Edoga, in Mannheim lebender Afrikaner, der dort aus Holzabfällen eine unübersehbar große Skulptur gebaut hat und Passanten sein Opus gern und genau erklärt. Unterdessen kam auch schon die Polizei zum (etwas ernsteren) Plausch vorbei, weil in dem Kunstwerk angeblich Teile öffentlicher Straßensperren „verbaut“ worden sind.
  • Weiterer Zwischenfall: Der Stand einer Gruppe namens „Atlantis“, die am Rande der documenta zu ökologisch gefärbten Kunstdiskussionen anregen wollte, ging in Flammen auf — Brandstiftung.
  • Für noch weit größeres Aufsehen könnte der Österreicher Wolfgang Platz sorgen, angeblich der einzige Künstler, der nach Eigenbewerbung bei Jan Hoet Gnade fand. Im September will Platz in Kassel eine seiner berüchtigten Performances (Zwischending von Körper-Kunst und Theateraufführung) zeigen. Man munkelt schon, Kassel werde noch lange davon sprechen – und daß es Platz‘ letzte Performance sein wird. Wer weiß, daß Platz bereits bei anderen Anlässen seine Unversehrtheit und sogar sein Leben „für die Kunst“‚ riskiert hat, fürchtet das Schlimmste.
  • Nichtraucher und Kultur-Puristen sind erbost: Als einer der Hauptsponsoren der documenta verdingt sich eine Zigarettenfirma, die ihre Markenpackung als „Sonderedition“ mit einem aufgedruckten Sinnspruch von Jan Hoet („Kunst bietet keine klaren Antworten. Nur Fragen.“) auf der Ausstellung anpreist.
  • Wem ein normaler documenta-Besuch zu schnöde ist und wer über entsprechendes Kleingeld verfügt, kann den sogenannten „documenta-V.I.P.-Service“ in Anspruch nehmen. Für 890 DM pro Nase wird man dann rundum betreut und braucht sich um Kleinigkeiten wie Eintrittskarten oder Hotel nicht mehr zu kümmern. Auch die Erfüllung „individueller Wünsche“ sei möglich, heißt es. Je nachdem, dürfte es dann noch etwas teurer werden.
  • Regionalpatrioten werden von der documenta enttäuscht sein. Kein im Ruhrgebiet oder Südwestfalen lebender Künstler gehört zu den rund 190 Auserwählten. Gerade mal einer ist in Dortmund geboren: Martin Kippenberger, der aber schon lange in Köln lebt. Damit könnte man sich denn auch trösten. Das Gros der deutschen Künstler wohnt immerhin in NRW, sprich Köln oder Düsseldorf. Na, bitte!