Fröhliche Apokalypse – Sophie Rois krächzt und krakeelt sich in Berlin durch Marlen Haushofers „Die Wand“

Auf der überdimensionalen Erdbeertorte: Sophie Rois in der „Wand“-Inszenierung. (Foto: © Arno Declair / Deutsches Theater)

Die Katastrophe kommt ganz leise. Unerwartet, überraschend. Mit einem Augenzwinkern, lächelnd und verspielt. Vielleicht ist das Undenkbare auch nur ein Traum. Oder ein Roman, in den man eintaucht und sich dann heillos verirrt.

Eben noch hat es sich Sophie Rois auf der Bühne des Deutschen Theaters in Berlin gemütlich gemacht. Sie räkelt sich wohlig auf einer kleinen Couch, trinkt eine Tasse Tee, zündet sich eine Zigarette an, blättert in einem alten Buch, liest sich fest, glaubt ihren Sinnen nicht zu trauen. Denn was dort in Marlen Haushofers Roman „Die Wand“ erzählt wird, widerfährt ihr plötzlich selbst.

Es gibt zwar auf der Bühne keine Berge und keinen Wald, auch keine undurchdringliche Glaswand, die sie vom Rest der Welt abschottet, einer Welt, auf der nach einer Katastrophe sämtliches Leben zum Erliegen gekommen ist. Aber natürlich kann sich Sophie Rois das alles vorstellen und ausmalen, sprachlich und musikalisch zum Klingen bringen. Sie braucht keine fünf Minuten, schon hat sie das Publikum um den Finger gewickelt, nimmt es mit auf eine Reise in die Abgründe der Fantasie und die Freiheiten des Theaters: Wer, wenn nicht die wunderbar wandelbare, kurios krächzende, kauzig krakeelende und schön schräg singende Sophie Rois könnte uns weismachen, dass die Apokalypse fröhlich und das Alleinsein eine wahre Freude ist?

„Sophie Rois fährt gegen die Wand im Deutschen Theater“, so nennt Regisseur und Bühnenbildner Clemens Maria Schönborn seinen ebenso intelligenten wie unterhaltsamen Abend, der uns die Dystopie als freudiges Ereignis präsentiert, als bizarre Laune einer Schauspielerin, als Tagtraum eines Theater-Tausendsassas.

Die Gedanken fliegen frei herum

Was harmlos als private Lesung des 1963 veröffentlichten (und 2012 mit Martina Gedeck in der Hauptrolle verfilmten) Romans beginnt, wird schnell zu einem rhetorisch filigranen Kunstwerk und grandios komischen Schauspiel. Die (nicht vorhandene) Wand ist ein Seelenzustand, eine Möglichkeit, sich selbst zu erkennen und besser zu verstehen. Abgeschottet von der Welt und ganz auf sich selbst geworfen, fliegen die Gedanken frei herum und keinen keine Grenzen.

Sophie Rois probiert alles schelmisch aus, bekommt in Wanderstiefeln dicke Blasen, irrt mit einem Rucksack ziellos durch die finstere Leere, ballert mit einem Gewehr auf potentielle Nahrung. Sie schildert, wie schön es ist, Kühe zu melken und das Heu zu ernten; wie befreiend es ist, keinem Mann um sich zu haben und Rechenschaft abzulegen. Einfach da sein, in sich hineinhorchen. Vor sich hin brabbeln. Auf einem riesigen Stück Erdbeertorte herumklettern, das sich vom Himmel herabsenkt und vielleicht das Geschenk eines gnädigen Gottes ist oder auch nur das Trugbild einer mangelhaften Ernährung.

Schön ist es auch, ein Lied zu singen, wenn von irgendwoher ein Klavier klimpert oder eine Gitarre erklingt. Mit Wiener Schmäh intoniert die gebürtige Österreicherin melancholische Songs, die von vergeblicher Liebe und nie zu stillender Sehnsucht erzählen. Sie erinnert sich an den Liedermacher Wolfgang Ambros und seine Version von Bob Dylans „Like a Rolling Stone“, singt von der Frau, die sich früher für was Besseres hielt und über die einfachen Leute lachte, heute aber ganz unten angekommen ist, auf der Straße lebt und bettelt: „Jo wia fühlst di dabei? / So zwisch´n ans und zwa, / so ganz und goa allan / so allan wia a Stan.“ Dann ist der kurze Abend zur langen Einsamkeit nach 80 Minuten auch schon vorbei. Schade.

Deutsches Theater, Berlin. Nächste Vorstellungen am 16. und 26. März, Karten unter 030/28 441 225. service@deutschestheater.de