Unsterbliche Sissi – im Westfälischen Landestheater erinnert ein neues Stück an das tragische Leben von Romy Schneider

Zweimal Romy, ausgelassen: Franziska Ferrari (links) und Vesna Buljevic (Bild: Volker Beushausen/WLT)

Auf der Bühne kommt Romy Schneiders Nachlass unter den Hammer. Möbel, Tücher, Gläser, Kleidungsstücke werden aufgerufen, Aschenbecher, Kerzenleuchter, Pumps, ein Schaukelpferd – alles in chronologischer Reihenfolge.

Offenbar sind die Dinge gefragt, Zuschläge erfolgen auf hohe Gebote. Dies mag man – auch – als Anspielung auf die ungebrochene Attraktivität verstehen, die die tragische Biografie der Romy Schneider für das heutige Publikum immer noch hat und die das Westfälische Landestheater (WLT) veranlasste, ein Stück über sie ins Programm zu heben.

Eine zwielichtige Gestalt: Burghard Braun als Hans-Herbert „Daddy“ Blatzheim (Bild: Volker Beushausen/WLT)

Corona hat den Start verhagelt

Vor zwei Jahren widmete sich der Film „Drei Tage in Quiberon“ der Schauspielerin, derzeit bereiten sich (nicht nur) die bunten Blätter auf den 65. Geburtstag des grandiosen Filmklassikers vor. Und das WLT zeigt seine Produktion „Ich bin eine Schauspielerin, mehr nicht“ von Karin Eppler (auch Regie) – jedenfalls ab und zu. Die verspätete Premiere fand im September im Theater Marl statt, weil Corona sie im Frühjahr in Castrop-Rauxel verhindert hatte. Mitte November wird sie nun in Boppard (15.11.) und Mettmann zu sehen sein (17.11.), Castrop-Rauxel muss sich bis März 2021 gedulden.  Und das alles noch unter Pandemie-Vorbehalt.  Falls jedoch gespielt wird, gibt es die Romy gleich zweifach.

Rollen reichlich: Die Sonnenbrille macht Mario Thomanek zu Alain Delon. (Bild: Volker Beushausen/WLT)

Zweifache Romy

Die eine Romy Schneider ist jung, emotional, glücklich, traurig, ehrgeizig, ängstlich, lebenshungrig und vieles mehr, die andere abgeklärt und verständnisvoll. Beide verfolgen die Versteigerung, erinnern sich und führen einen Dialog, in dem die ältere Romy oft versucht, die jüngere zu besänftigen, ihren Gefühlsexplosionen rationalen Halt zu geben. Doch das gelingt nur bedingt.

Markige Männer

Drittes Element des Stücks schließlich sind Spielhandlungen, kleine Szenen, in denen die Menschen vorkommen, die für Romy in bestimmten Zeitabschnitten lebenswichtig waren. Mit Ausnahme der übermächtigen Mutter Magda Schneider sind es eigentlich nur Männer, beginnend mit Vater Wolf Albach-Retty und Stiefvater Hans-Herbert „Daddy“ Blatzheim, denen Alain Delon, Harry Meyen, der Verbrecher Burkhard Driest und viele andere folgen. Auch der Fotograf Robert Lebeck, der Romy kurz vor ihrem Tod noch für den „Stern“ fotografierte, findet Erwähnung. Und in dieser überaus soliden Stückkonstruktion, linear erzählt, spult sich nun die tragische Biografie der früh Verstorbenen vor uns ab.

Perfekter Gegenentwurf

Zumal ein älteres Publikum wird hier kaum Neues erfahren. Doch hat es durchaus seinen Reiz, sich diese Künstlerbiografie wieder einmal zu vergegenwärtigen. In Deutschland, im deutschen Kino zumal, war Romy Schneider geradezu der perfekte Gegenentwurf zu so beunruhigenden Jugendmoden wie Rock’n’Roll oder renitenten Filmhelden wie Marlon Brando. Perfekt bediente der Sissy-Mythos die Heile-Welt-Sehnsüchte einer kriegsgeschundenen Generation. Auch heute noch, wenn das Fernsehen wieder mal einen alten Sissy-Film zeigt, kommt man nicht umhin, zuzugeben, dass diese unter professionellen Gesichtspunkten extrem gut gemacht sind. Und dass die blutjunge Romy Schneider ein auratischer Star war.

Romy Schneider, verletzlich (Franziska Ferrari). (Bild: Volker Beushausen/WLT)

Seelische Qualen

Gelebt hat sie eben so, wie Prominente im Showgeschäft häufig leben, immer auf der Überholspur. Das wäre für sich genommen ja noch nicht tragisch gewesen; aber Romy Schneiders zornige Abkehr vom deutschen Sissy-Zuckerguss, ihre Karriere in Frankreich, ihre unbotmäßigen Männerbeziehungen, ihre seelischen Qualen und der Unfalltod ihres Sohnes David ergeben in der Summe eine respekteinflößende Lebensgeschichte. Auch heute noch.

Das missbrauchte Kind

Leider beschränkt sich Karin Epplers Stück auf ein biederes Nacherzählen, das sich psychologischer Ausdeutungen weitestgehend enthält. Auch ist kein Ehrgeiz spürbar, etwas Anderes als quasi Aktenkundiges anzubieten. Dabei wäre es sicherlich kein Fehler gewesen, zum Beispiel nach Gemeinsamkeiten in Biographien von Künstlerinnen wie Marilyn Monroe, Judy Garland oder eben Romy Schneider zu suchen, die von skrupellosen Eltern und Erziehern zu Showstars gemacht wurden, ohne dem seelisch gewachsen zu sein. So aber bleibt dies ein erstaunlich blutleeres Theater, mit viel Erregung und wenig Dramatisierung.

Spuckschutz und Handschuhe

Doch bereitet es Freude, dem Personal bei der Arbeit zuzuschauen, die häufig übrigens, kein Zuckerschlecken, mit Spuckschutzmaske und Handschuhen erledigt werden muss. Franziska Ferrari gibt die Romy mit großem, fast schon athletisch zu nennenden und dabei stets leichtfüßig-elegantem Körpereinsatz, Vesna Buljevic bildet als ältere Romy – „Frau Schneider“ laut Besetzungszettel – einen gelassenen Gegenpol, und zusammen sind sie eine durchaus gelungene Spielpaarung. Lediglich zum Ende hin hat die Ältere keinen rechten Platz mehr in der Inszenierung, wenn Romy die Dinge mehr und mehr entgleiten, Suchtprobleme beherrschend werden und man schließlich nicht genau weiß, woran sie eigentlich gestorben ist.

Klänge von damals

Svenja Marija Topler gibt – im zeittypischen Weiße-Punkte-Kleid – die dominante Magda Schneider, und ebenso wie Burghard Braun, Mario Thomanek und Tobias Schwieger tritt sie in etlichen weiteren Rollen auf. Sechs Darstellerinnen und Darsteller haben über 30 Rollen zu bewältigen, das klingt schwierig und gelingt mit bildstarken Requisiten doch recht gut. Die Sonnenbrille markiert den Alain Delon, die Lederjacke den Burkhard Driest, und so fort. Einen guten Eindruck hinterlässt schließlich auch eine sorgfältig eingepasste Tonspur, die immer wieder einmal mit kurzen, prägnanten Musikeinspielern Zeitkolorit entstehen lässt (Ton: Benjamin Hasenclever).

In Marl spendete das Publikum  reichen Applaus. Wenn es trotzdem verhalten klang, ist das der luftigen Corona-Sitzordnung anzulasten.

Aufführungstermine der Produktion „Ich bin eine Schauspielerin, mehr nicht. Romy Schneider – Das Leben einer Ikone“:

  • 15.11.2020 19.00 Boppard Stadthalle
  • 17.11.2020 19.00 Mettmann Neandertalhalle
  • 4.3.2021 20.00 Castrop-Rauxel Stadthalle
  • 10.3.2021 20.00 Rheda-Wiedenbrück Stadthalle
  • 20.3.2021 20.00 Castrop-Rauxel Studio
  • 9.5.2021 19.30 Witten Saalbau
  • 19.5.2021 19.30 Hameln-Theater
  • 19.6.2021 20.00 Bocholt Innenhof