Soziale Miniaturen (5): Eheliche Lektionen

Sprachkursus bei der VHS. Auch ein Ehepaar im fortgeschrittenen Alter nimmt teil. Sie ist Studienrätin für eine Sprache, die der hier zu lernenden eng verwandt ist. Sie bewegt sich also stets vornan – mit kaum verhohlener, mühsam gebändigter, nur deshalb nicht offen triumphaler Gebärde. Ihre gelebten Jahre sucht sie derweil mit aufgesetzter Jungmädchenhaftigkeit zu überspielen. Es wirkt nicht sonderlich würdig.

Ihr Mann ist Physik-Professor, von spürbar anderer Wesensart als sie. Ein spröder Geselle. Er hat sich offenbar widerwillig „mitschleppen“ lassen. Dementsprechend mürrisch quält er sich durch die Lektionen. Macht er einen Fehler, so kommt die Kursleiterin gar nicht dazu, ihn zu korrigieren. Dafür fühlt sich seine Frau zuständig, die schon auf der Lauer liegt und ihn entweder vernehmlich anzischelt oder ihn gleich vor allen anderen abkanzelt, als wäre er ihr missratenster Schüler.

Es gibt keine Sprache, die man bei ihr würde lernen wollen. Die Redensart „Nichts von jemandem wissen wollen“.