„Nullzeit“ von Juli Zeh: Thriller mit Tauchgang

Gleich nach dem Examen schwant dem angehenden Juristen Sven, dass er keine Lust hat, Menschen zu beurteilen, zu bewerten, zu bestrafen. Zusammen mit Antje, seiner Freundin, packt er seine Siebensachen, sagt Deutschland Adieu und eröffnet auf Lanzarote eine Tauchschule.

Sven begleitet seine Kunden nicht nur bei ihren Tauchgängen unter Wasser, er vermietet ihnen auch Appartements und ist rund um die Uhr für sie da. Wer bereit ist, eine ziemliche Stange Geld zu zahlen, kommt bei Sven auf seine Kosten. Oberstes Gebot des Aussteigers ist es, sich keinesfalls in das Leben seiner Gäste hineinziehen zu lassen. Doch bei Theo, dem versoffenen Schriftsteller, der seine besten Tage hinter sich hat, und Jola, der attraktiven TV-Serien-Schauspielerin, will ihm das nicht gelingen. Das deutsche Künstlerpaar verhält sich nicht nur unter Wasser etwas seltsam. Ständig streiten sich die beiden, um sich dann um so inniger zu versöhnen.

Als Theo beim Tauchen die Luft weg bleibt und beinahe kollabiert, muss Sven feststellen, dass Jola ihrem Geliebten die Druckflasche mutwillig abgedreht hat. Will die Schauspielerin den Schriftsteller umbringen? Und warum macht sie ihrem Tauchlehrer ständig schöne Augen und beschreibt in ihrem Tagebuch ausführlich den tollen Sex, den sie angeblich mit Sven hat? Spielt sie ein Spiel, dass Sven nicht versteht oder sind die sich häufenden Psychokriege und Mordanschläge nur Ausgeburten der liebeskranken Fantasie eines verwirrten Tauchlehrers?

Mit „Nullzeit“ hat Juli Zeh eine eigenwillige und spannende Mischung aus Psychothriller und Unterwasserabenteuer, Aussteigersatire und Wohlstandskritik, Kunstpersiflage und Beziehungsdrama geschrieben. Die Autorin nimmt nichts richtig ernst. Die Psychologie ihrer gelegentlich zum Klischee verfremdeten Figuren ist ihr ziemlich schnuppe. Nur das Tauchen ist ihr wirklich wichtig, da will sie mit Wissen und (wahrscheinlich) eigener Erfahrung glänzen. Und so erfahren die Leser, wie man sich für einen Tauchgang präpariert und dass die „Nullzeit“ die Anzahl der Minuten ist, die man unter Wasser verbringen darf.

Aber irgendwann müssen die Leser ja auch wieder auftauchen und nachschauen, ob noch alle am Leben sind. Sven, so scheint es, kann noch so weit reisen und noch so tief tauchen, er wird keinen Frieden, keine Liebe und keinen Sinn im Leben finden. Der ohnmächtig von Sven aus dem Wasser gefischte Theo könnte endlich seine Schreibblockade überwinden und einen Roman über seine mordlüsterne Schauspiel-Freundin schreiben. Jola, die sich mit ihren Unterwasserabenteuern auf eine Film-Rolle vorbereiten wollte, die dann doch nicht sie, sondern ihre größte Feindin bekommt, müsste zur Strafe in ihrer TV-Soap versauern und alt werden. So oder so ähnlich könnte der mit unzähligen falschen Fährten und Finten hantierende Roman weitergehen.

Juli Zeh setzt auf die Fantasie des Lesers, der sich zwischenzeitlich immer wieder fragt, ob Ich-Erzähler Sven nur besonders naiv oder dumm ist und einfach nicht begreifen will, in welches Netzwerk aus Lug und Trug er sich da verheddert. Dass ihm die stille Antje, das einzig Wichtige und Konstante in seinem verpfuschten Leben, abhanden kommt, geschieht diesem Sven wohl ganz recht.

Juli Zeh: „Nullzeit“. Roman. Schöffling & Co., Frankfurt am Main, 256 S., 19,95 Euro.