Ahnung und Geheimnis: Franz Schrekers „Der Schatzgräber“ in Amsterdam

Den großen Schatz, des Lebens Hort, alles Sehnens Ziel: Elis, der Schatzgräber, grüb‘ ihn gern. Doch: Was dieser Schatz auch sei, Franz Schreker lässt den Zuschauer seiner Oper mit dem Rätselwort allein. Ein typischer Zug der Zeit und seiner selbst geschriebenen Libretti: Der Komponist, der zwischen 1915 und 1933 zu den Stars des deutschen Musiktheaters gehörte, hüllt seine Sujets gerne in Ahnungen, gibt dem deutenden Geist Raum, lädt dazu ein, ihnen ihr Geheimnis zu entreißen. Wer es zu greifbar zu erklären strebt, bleibt im Geflecht der Symbole, der Traumbilder, der raunenden Andeutungen hängen.

Ob „Der singende Teufel“ oder „Irrelohe“, ob „Der ferne Klang“ oder „Die Gezeichneten“: Franz Schrekers Werke fordern den beherzten Interpreten. John Dew war das in seinen guten Jahren in Bielefeld; Hans Neuenfels hat mit „Die Gezeichneten“ in Frankfurt vor dreißig Jahren ein Schlüsselwerk der immer wieder stockenden Schreker-Wiederentdeckung geschaffen. Andere folgten, so Martin Kušej 2002 mit den Stuttgarter „Gezeichneten“, aber auch Klaus Weise in Bonn mit „Irrelohe“. Jetzt hat sich Ivo van Hove in Amsterdam an „Der Schatzgräber“ gemacht und ist mit seinem Team – Jan Versweyveld (Bühne und Licht), An D’Huys (Kostüme) und Tal Yarden (Video) aufrichtig gescheitert.

Van Hove ortet Schrekers 1920 uraufgeführte Oper im künstlichen Realismus eines Raumes, der Märchenbuch-Skizze oder minimalistische Filmkulisse sein könnte: Ein Dreieck aus Holz öffnet sich in weitem Winkel zum Zuschauer hin. Die beiden Schenkel tragen je eine hausförmige Öffnung, durch die sich Schauplätze wie Puppenhäuser schieben: Kneipe, Hütte, Todeskammer, Tribüne, Palast. Stets bleibt das „Spiel“ bewusst; Illusion soll nicht keimen.

"Der Schatzgräber" in Amsterdam: Szenenbild. Foto: Monika Rittershaus

"Der Schatzgräber" in Amsterdam: Szenenbild. Foto: Monika Rittershaus

Aber die feine Balance zwischen der nacherzählten Handlung und einem der Realität entschwebenden, halb träumerischen, halb symbolischen Spiel gerät immer wieder aus dem Gleichgewicht: Dann kommen die Szenen daher wie handwerklich routiniert am Libretto entlang inszeniert. Und der hybride Realismus der Bühne erweist sich als Falle, aus der auch die Videos keinen Ausweg bieten. Ihre „Herr der Ringe“ – Ästhetik, vermischt mit explodierendem kosmischem Farbennebel und softig beleuchteter nackter Haut, funktioniert anders als im Kino in der Oper nur schwer: Die Träume der Hauptfigur Els, einer Mischung aus traumatisiertem Missbrauchsopfer, männermordenden Besessenen, jugendstilhaftem Symbolweib und wagnerischer Erlösungs- und Liebesikone sind zu konkret: Man könnte meinen, es gehe um guten Sex und glückliche Familie.

Videos in "Herr-der-Ringe-Ästhetik": Schrekers "Schatzgräber" in Amsterdam. Foto: Monika Rittershaus

Videos in "Herr-der-Ringe-Ästhetik": Schrekers "Schatzgräber" in Amsterdam. Foto: Monika Rittershaus

Unter all den zauseligen gesellschaftlich Gestrandeten und eleganten Anzugträgern, mit denen Hove das Schreker’sche Figurenkabinett bevölkert, gelingen jedoch beeindruckende Einzelstudien: Graham Clark verkörpert mit seinem nach wie vor unverwechselbar schneidenden Charaktertenor den Narren als hinkenden alten Mann mit Witz und Wehmut. Wund vom Leben hat er sich längst der Gesellschaft bei Hofe entfremdet. Er weiß, dass ihm die Liebe versagt ist, gewinnt aber aus Erkenntnis Stärke. Er scheint die Fäden, wenn auch nicht zu ziehen, doch zu kennen: ein „Loge“ des Symbolismus.

Manuela Uhl als Els in Schrekers "Der Schatzgräber". Foto: Monika Rittershaus

Manuela Uhl als Els in Schrekers "Der Schatzgräber". Foto: Monika Rittershaus

Manuela Uhl hat die Figur, die weibliche Attraktion und die Spiel-Erfahrung, um die Els glaubhaft zu verkörpern. Das Vibrato ihres Soprans schlägt diesmal weniger schwer als sonst, die Höhe gleißt, das Zentrum strahlt klangsatt, die Artikulation bleibt immerhin nicht ständig auf der Strecke. Für die Sängerin ein starker Abend. Raymond Very kommt mit der kraftraubenden Partie des Elis stimmlich zurecht; könnte aber eine Szene wie die Liebesnacht differenzierter gestalten statt stämmig durchzustehen. Er hat glückliche Momente, aber auch manchen „Durchhänger“, der wohl auch der unentschiedenen Regie zuzuschreiben ist. Andere Darsteller sind herausgefordert, in kurzen, manchmal nur episodischen Momenten alles zu geben, etwa Gordon Gietz als Albi oder Andrew Greenan als Wirt. Nur Tijl Faveyts als König und Kay Stiefermann – der Wuppertaler „Holländer der vergangenen Spielzeit – als Vogt haben etwas mehr Raum, Charakter zu entwickeln.

Im Orchestergraben lässt Marc Albrecht Schrekers magische Klänge glitzern und gleißen. Er betont den schwankenden Boden einer aufgelösten Tonalität, indem er Reibungen ausmodelliert, die irisierenden Harmonien leuchten lässt. Das Nederlands Philharmonisch Orkest folgt seinen Impulsen en détail, mit Finesse in den dynamischen Valeurs und, wo gefordert, in der weit ausholenden Phrasierung ebenso wie im ziselierten solistischen Engagement. Alan Woodbridges Chor steht dem nicht nach: Musikalisch ein durch und durch überzeugender Schreker!

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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