Klangwuchtiger Wahn – Die Rheinoper zeigt „Elektra“ als stetes seelisches Dahinwelken

Elektra, das Racheweib (Linda Watson), die Axt umschlingend. Foto: Matthias Jung

Plötzlich geht ein Ruck durch die Reihen. Ein paar Herrschaften schicken sich an, das Theater zu verlassen. Mitten im Stück. Ohne offensichtlichen Grund. Denn auf der Bühne wird weder bildmächtig gefoltert, noch blutig gemordet. Keine Orgien im Müll, keine Schändungen, nichts. Was also geschieht hier?

Positiv betrachtet, aus der Sicht der Kunst, in diesem Falle der Musik, spült die fantastische Kraft und Wucht der Klänge, die Wahn, Obsession und Deformation artikulieren, diese Menschen aus dem Düsseldorfer Opernhaus. Kein Wunder, wenn „Elektra“ gegeben wird, Richard Strauss’ revolutionär exzessiver Einakter mit all seinen dynamischen Extremen – hier sensibel, aber schon bedrohlich, dort immer noch lauter, brachialer, schockierender. Ins Negative gewendet aber heißt dies: Wer’s nicht aushält, der muss fliehen. Daraus einen Vorwurf zu stricken, ist indes Unsinn. Strauss hat sich in „Elektra“ einem dionysisch-pathologischen Rausch (auch der Orchesterfarben, bis hin zum Geräusch) ergeben, der im Grunde die Neurose auf die Bühne bringt. Kranke zu betrachten, wie sie seelisch dahinwelken, ist nicht jedermanns Sache.

Andere mögen diesen Abend im Düsseldorfer Opernhaus als Katharsis erkennen. Wer dieses tönende Stahlbad der Ekstasen durchschritten hat, sieht manch Nervositäten des Alltags mit einem milden Lächeln. Dass dies ein Werk leisten kann, das vor immerhin mehr als 100 Jahren uraufgeführt wurde, ist beachtlich. Dass Richard Strauss es mit „Salome“ und „Elektra“ bei seinem Ausflug in den wild-wuchernden Jugendstil und den harschen Expressionismus bewenden ließ, darf umso bedauerlicher registriert werden.

Es ist hier nicht zuletzt deshalb soviel von der Musik die Rede, weil die Düsseldorfer Neuproduktion der „Elektra“ ihre nervöse Spannung zuallererst aus der brodelnden Energie gewinnt, die aus dem Orchestergraben steigt. Dann muss von einer starken bis phänomenalen Sängerleistung die Rede sein. Zum Schluss von einer Regie, die, wie angedeutet, keinen Grund für reflexhafte Flucht liefert. Die sich mitunter gar der exaltierten Interaktion verweigert. Die andererseits ein wuchtiges Bühnenkonstrukt gewissermaßen mitsprechen lässt.

Grau, verwinkelt, unheimlich: Das Haus der Elektra. Foto: Matthias Jung

Roland Aeschlimann hat dies in Form eines gewaltigen Hauses erbaut und auf die Spielfläche gewuchtet. Flackernde Lichter. Fensterlose Löcher, aus denen bisweilen Tote herausbaumeln, graue Mauern, die das Innere weitgehend verbergen. Erst am Ende, wenn Elektras Bruder Orest aus Rache die Mutter und deren Liebhaber gemeuchelt hat, bekommen wir Einblick. In ein Eingeweide, das so deformiert ist wie die Seelen der Menschen.

Elektra also, gefangen in der Beschwörung ihres erschlagenen Vaters Agamemnon und ihrer Gier nach Vergeltung. Gefesselt vom eigenen Wahn und daraus resultierender Einsamkeit. Doch ach: So sehr Linda Watson die Partie betörend, verstörend, aufbegehrend singt, in leuchtenden Farben und in größter Kraft, so wenig körperliche Exaltation lässt Regisseur Christof Nel zu. Das Racheweib wirkt kalt, mitunter wie unbeteiligt. Selbst die große Mutter-Tochter-Szene, mit Renée Morloc als Klytämnestra, die ihre Stimme bis in die Überzeichnung treibt, bleibt ein eher zahmes Duell.

Immerhin darf sich Morloc wie eine Besessene, von Träumen Geplagte austoben, so wie Elektras Schwester Chrysothemis (Morenike Fadayomi, mit einigen Problemen bei der Stimmfokussierung), dauererregt an einem Brautkleid herumnestelt. Pure Statik hingegen umgibt den totgeglaubten Bruder Orest. Doch in seiner steifen Würde wirkt der Mann eminent bedrohlich, weil Hans-Peter Königs Bass noch das größte, stärkste orchestrale Wirbeln trefflich übertönt.

So soll erneut von den Düsseldorfer Symphonikern die Rede sein. Die Dirigent Axel Kober anfangs zügelt, um ihnen alsbald freien Lauf zu lassen. Und die doch, trotz aller Klangwucht, stets die Balance halten zu den Solisten, die ungemein textverständlich singen. Damit wird diese Rheinopernproduktion zu einem singulären Ereignis.

Wohl dem, der bis zu den letzten brutalen Schlägen des Orchesters ausgehalten hat. Sehr sehr schade allerdings, dass es nur noch eine Vorstellung gibt, am 7. Oktober.

Karten unter Tel.: 0211/8925-211

www.operamrhein.de