Misstöne und orchestrale Pracht – Die Jubiläumsgala der Dortmunder Philharmoniker

Generalmusikdirektor Jac van Steen (Foto: Dortmunder Philharmoniker)

Selten dürfte einem Festredner weniger zu seinem Thema eingefallen sein. Ullrich Sierau, Oberbürgermeister der Stadt Dortmund, schien das heimische Philharmonische Orchester fremder als der Mond, als er die Jubiläumsgala im Konzerthaus mit einem Grußwort eröffnete.

Dabei hätte es zum 125-jährigen Bestehen dieses Klangkörpers viel zu sagen gegeben. Sierau hätte über die Bedeutung der Philharmoniker für die Stadt sprechen können, hätte würdigen können, wie viel die Profimusiker auch abseits von Operngraben und Konzerthausbühne leisten und wie viele von ihnen bereitwillig Schulen besuchen, an denen kaum mehr Musikunterricht stattfindet. Er hätte Auslandsreisen des Orchesters erwähnen können und dessen Funktion als kulturelle Visitenkarte der Stadt. Er hätte auch der Frage nachgehen können, warum Musik und Kunst gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wichtig sind.

Aber nein, nichts dergleichen. Er sei – oh verräterische Wortwahl! – öfter mit Konzerten des Philharmonischen Orchesters „konfrontiert“ gewesen, sagte Sierau. Begriffe wie Stolz und Tradition führten ihn flugs zu einem ganz anderen Thema, das ihm offenkundig lieber war: zum Ballsportverein Borussia Dortmund. Das wohlmeinende, aber zusammenhanglose Gefasel über „gute Vorlagen“ und die „Championsleague“ wurde gekrönt von einem Loblied auf den derzeitigen Generalmusikdirektor Jac van Steen, das schmerzhaft falsch in den Ohren klang: Hatte die Stadt dem derart Gepriesenen doch jüngst überraschend den Stuhl vor die Tür gesetzt.

Von den Misstönen der Politik führte die sinfonische Dichtung „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss zurück zum Wahren und Schönen. Das von Friedrich Nietzsche inspirierte Werk, berüchtigt für seine extremen Anforderungen an alle Instrumentengruppen, forderte die Philharmoniker bis an die Grenzen – und dies nur drei Tage nach der kräftezehrenden Premiere der Oper „Boris Godunow“. Aber das Orchester stemmte die schwergewichtige Tondichtung bemerkenswert souverän. Über alles Orgelbrausen, über alles titanische Ringen widerstreitender Prinzipien hinweg blieb der Gesamtklang geschmeidig, der Streicherklang süffig. Jac van Steen zelebrierte fließende Übergänge und ließ keine unschönen Fortissimo-Exzesse zu. So gelang der Blick ins Strauss’sche Kaleidoskop, in dem jede noch so widerborstige Fuge und jedes noch so vertrackte Solo mit größter orchestraler Pracht einhergeht.

Mehr Substanzverlust musste das „Konzert für Orchester“ hinnehmen, in dem alle charakteristischen Züge von Béla Bartóks Schaffen zu einer großartigen Synthese finden. Diese voll auszuprägen, fehlte den Philharmonikern an diesem Abend dann doch die Kraft. Trotz vieler subtiler Farben – erwähnt seien vor allem die feinen Holzbläser-Soli – baute sich im Kopfsatz nicht genug nervöse Erregung auf. Die Strahlkraft der Blechbläser zeigte Einbußen; die Geigen machten das wirbelnde Presto-Finale durch nachlassende Präzision zu einem leicht holprigen Husarenritt.

Als Intermezzo zwischen den beiden orchestralen Schwergewichten wurde Mozarts Klavierkonzert B-Dur KV 595 beinahe erdrückt, zumal Solist Ronald Brautigam einen wolkig-romantischen, mithin wenig konturierten Zugriff auf das Werk wählte. Gleichwohl verströmte Mozarts Musik eleganten Esprit und sprühenden Charme. Ach, könnte dies doch auch einmal stilbildend wirken – und nicht immer nur der BVB.

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4 Antworten zu Misstöne und orchestrale Pracht – Die Jubiläumsgala der Dortmunder Philharmoniker

  1. Bernd Berke sagt:

    @ Andreas: Ich möchte mir Städte wie Dortmund nicht ohne – wie Sie es nennen – „Musikmumpitz“ vorstellen. Sie scheinen die Autorin des Beitrags gründlich missverstanden zu haben oder missverstehen zu wollen.

  2. Andreas sagt:

    Misstöne und orchestrale Pracht – egal!

    Vor dreissig Jahren gab es noch Menschen, die regelmäßig ins Musiktheater oder die Oper in Dortmund gingen. Heute ist diese Spezies bettlägerig oder inkontinent. Das Publikum stirbt aus. Warum also sollte der Oberbürgermeister einer Stadt diesem Haushaltsloch mehr Aufmerksamkeit widmen, als nötig?

    Es ist einfach kein Thema mehr. Was natürlich auch schön ist, da ich als ehemaliger Punk und Statist am Musiktheater diese Musik damals live erlebte und nur sagen kann: was für eine Verschwendung. Das wird heute natürlich nicht anders als damals sein.

    Von daher ein schöner Bericht, der mich hoffen läßt, das dieser Musikmumpitz irgendwann wegen erwiesener Publikumslosigkeit ganz entfällt.

    Vielen Dank.

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