„Reise durch die Nacht“: Saisonauftakt im Schauspiel Köln

Es ist nicht einfach, mit einer Dichterin zusammenzuleben. Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen und viel zerknülltes Papier. Und auf engstem Raum wird die Beziehung noch komplizierter: Zum Beispiel in einem Zugabteil auf einer „Reise durch die Nacht“ nach der Erzählung von Friederike Mayröcker, bearbeitet und inszeniert von Katie Mitchell für das Schauspiel Köln.

 DURCH DIE NACHT (NIGHT TRAIN) / SCHAUSPIEL KOLN 2012/© Stephen Cummiskey

REISE DURCH DIE NACHT (NIGHT TRAIN) / SCHAUSPIEL KOLN 2012/© Stephen Cummiskey

Nach „Wunschkonzert“ von Kroetz, „Die Wellen“ von Virginia Woolf und „Ringe des Saturn“ von W.G. Sebald ist dies nun eine weitere Inszenierung im Katie-Mitchell-Stil und zugleich der Saisonauftakt von Karin Beiers letzter Spielzeit in Köln. Diesmal ist ein Eisenbahnwaggon aus den 80er Jahren auf die Bühne der Halle Kalk gebaut, in deren Abteilen der Live-Dreh der Szenen beobachtet werden kann, die zeitgleich auf der großen Leinwand über dem Zug zu sehen sind. Auch diesmal funktioniert das Arrangement grandios, entfaltet sich die Geschichte der verzweifelten Schriftstellerin und ihrem stumm-gequälten Partner in einer Vielschichtigkeit, Simultanität und Abgründigkeit, die den im letzten Abteil eingesprochenen Mayröcker-Text zum (Er)leben erweckt.

Der Zug fährt von Paris nach Wien, doch unsere Autorin (Julia Wieninger) scheint nicht glücklich darüber: Die Schatten der Vergangenheit holen sie ein und produzieren quälende Szenen in ihrem Kopf. Von ihrem Vater, der gegen die Mutter gewalttätig war, von zerbrochenem Spielzeug, Angst und Schmerz. Gedreht werden diese Szenen im Abteil links, inklusive Weihnachtsmusik, fallendem Schnee und trügerischem Kerzenschein. Die Kamera ahmt in Froschperspektive den Blickwinkel des Kindes nach; auch hier zeigt sich wieder die ungeheure Sorgfalt, mit der Katie Mitchel und ihr Team ihre Methode inzwischen perfektioniert haben. Tatsächlich tritt in „Reise durch die Nacht“ die Offenlegung des Produktionsprozesses gegenüber den vorherigen Inszenierungen etwas zugunsten der dramatischen Entwicklung der Handlung zurück, was aber durchaus stimmig ist.

Wer seine nächtlichen Interrail-Fahrten in den achtziger Jahren nicht vergessen hat, kann das rastlose Umherwälzen der Autorin in der Bahnpritsche nachfühlen. Drei Uhr nachts zeigt der Reisewecker, „schon seit langem leide ich an schweren Schlafstörungen.“ Ruhelos, getrieben streunt sie durch den schwankenden Zug und stolpert in einen Quickie mit dem smarten Schaffner hinein, hungrige wahllose Leidenschaft, kalt ausgeleuchtet aufm Bahnhofsklo. Während der mitreisende Mann (Daniel Betts) im Pyjama und Schlafmaske in der unteren Pritsche im Tiefschlaf liegt. Rache der Schlaflosen an dem, der die Fähigkeit hat, vor den eigenen Gespenstern in den Traum zu flüchten? Am Morgen dann muss sie dem Lebensgefährten ausführlich beim Zähneputzen und Bartschneiden zusehen. „Dieser Einheitsmensch, dieser Einspurmensch“, klingt es in ihrem Kopf – Hass kann auch subtil sein.

Doch der Pedant geht noch aus sich heraus, als er nämlich seine Frau beim Knutschen mit dem Schaffner erwischt: Plötzlich prügelt der kalte Gefährte sich hitzig, der Zug schwankt und draußen zieht verregnetes Österreich vorbei. Die Frau schreibt, die Frau zerreißt das Geschriebene, vom realen Geschehen eher befremdet, denn berührt. Am Schluss fährt der Zug unter monotoner Ansage in Wien Westbahnhof ein. Die Autorin steigt aus, im Blick nur ein wenig mehr Einsamkeit als beim Einsteigen. Das Manuskript wird von der Putzfrau entsorgt. Endstation.