Ausflug nach Holland: Opern-Akademie zeigt Haydns Rarität „Die belohnte Treue“

Das Ensemble der Dutch National Opera Academy in Joseph Haydns „Die belohnte Treue“. (Foto: Reinout Boss)
Die Welt im ausgehenden 18. Jahrhundert kennt die großen Opernhäuser von Paris, Wien, Mailand, Neapel. Dort werden die Werke aufgeführt, die Geschichte machen. Dass abseits der Herzkammern der Opernwelt – am Eingang zur ungarischen Tiefebene – der Puls des Musiktheaters ebenso heftig schlägt, bleibt unbemerkt.
Dort in Esterháza, einem Nest mit gewaltigem Schloss, entstehen Opern, die wohl in London oder Venedig Furore gemacht hätten, wären sie dort einem Kenner-Publikum präsentiert worden.
Allein: Ihr Schöpfer, „Haus-Officier“ am Hofe des Fürsten Esterházy, hatte kaum eine Chance, sie der großen weiten Welt vorzustellen. Joseph Haydn schrieb für seinen Dienstherrn und dessen Entourage. Und so blieben Meisterwerke wie „Il Mondo della Luna“, „Orlando Paladino“ oder „La vera Costanza“ dem Auge und Ohr der Welt verborgen. Haydn kannte die modernen Musikströmungen seiner Zeit, aber seine Zeit kannte ihn nicht. Und als sich das änderte, waren seine Werke schon vom Ruch des Altmodischen durchweht.
Leider hat sich daran nicht so furchtbar viel verändert: Feinsinnige Liebhaber schätzen Haydns Bühnenwerke, aber der Mainstream wälzt sich ungeniert über sie hinweg. Im Repertoire spielen sie nicht einmal auf mittleren Plätzen mit. Und so ist es überaus verdienstvoll, dass die Dutch National Opera Academy und ihr Künstlerischer Leiter, der Tenor Paul McNamara, den jungen Sängerinnen und Sängern dieser niederländischen Ausbildungseinrichtung mit „Die belohnte Treue“ („La Fedeltá premiata“) eine der kostbarsten Haydn-Opern für eine Aufführung anvertrauen. Die jungen Menschen lernen, so ist zu hoffen, zu schätzen, was ihnen der Eremit aus Esterháza zu bieten hat.
Konstellationen des Augenblicks
Dieses „dramma pastorale giocoso“ vereint in einer turbulenten Geschichte von Giambattista Lorenzi Elemente der opera seria, der komischen Oper und des modischen Schäferspiels der Zeit zu einem Plot, den man kaum nacherzählen kann, aber auch nicht verstehen muss. Denn es geht weniger um ein logisch entwickeltes Drama, sondern eher um Momente der Begegnung und Verstrickungen des Affekts, um Situationskomik oder -tragik, um Konstellationen des Augenblicks und um die Zeichnung von Typen.
Da ist das Paar Fillide (getarnt als Celia) und Filino, das aus der empfindsamen Sphäre stammt und dem Haydn zärtlich-wehmütiges Melos schenkt. Da ist der Priester Melibeo, eine zwielichtige Gestalt mit der undankbaren Aufgabe, einem Untier einmal pro Jahr ein Paar treuer Liebender zu opfern. Da entzücken die „eitle und arrogante“ adlige Dame Amaranta und ihr windiger Bruder Lindoro, mit denen die Blaublütigen in Esterháza ihr Vergnügen gehabt haben dürften, wenn sie sich selbst erkannt haben. Und schließlich stellt der exaltierte Conte „Perruchetto“ allen Frauen ohne Unterschied nach. Ob der Fürst im „Graf Perücke“ Wesenszüge seiner selbst entdeckt hat? Haydns Ironie jedenfalls ist in seinen Figuren und ihrer musikalischen Zeichnung unüberhörbar.
Gut, dass sich Regisseurin Anja Kühnhold nicht in Deuteleien verkünstelt: Sie richtet den Fokus auf die handelnden Personen und ihre Beziehungen, lässt Wehmut und Sehnsucht ebenso zu wie empathielose Blasiertheit, falsches Pathos und sarkastische Gleichgültigkeit. In der Charakterisierung der Figuren – unterstützt von den verschmitzt stilisierenden Kostümen von Anna Sophia Blersch – geht sie auf Haydns Musik ein, setzt die musikalische Gestik in den Konstellationen auf der Bühne, im Spannungsfeld von Annäherung und Distanzierung und in den abgestuften Graden des Grotesken in Bewegung und Haltung um. So entsteht ein unbeschwertes, wie von selbst laufendes Spiel, das auch Momente überbrückt, die der moderne Betrachter als langatmig empfinden könnte.
Eine Musik voller Ideen

Die Schouwburg in Leiden nimmt für sich in Anspruch, das älteste Theater der Niederlande zu sein. Foto: Werner Häußner
Haydns Musik, die wie stets voll Ideen und überraschenden Wendungen steckt, ist beim Orchester des 18. Jahrhunderts bestens aufgehoben. Von den Musikern wird viel Anpassungsvermögen erwartet: Die sechs Aufführungen fanden in unterschiedlichen Räumen statt: die Premiere im Konservatoriumssaal Amare in Den Haag, die hier besprochene Vorstellung in der entzückenden Schouwburg in Leiden, einem Theater von 1865, das an die vielen im Krieg verlorenen Stadttheater kleiner und mittlerer Städte erinnert. Da sich seit 1705 an derselben Stelle an der „Oude Vest“ ein Theaterbau befindet, nehmen die Leidener für ihre Schouwburg stolz den Titel des ältesten Theaters der Niederlande in Anspruch. Die Akustik lässt das aus dem kleinen Graben tönende Orchester nicht günstig klingen: Instrumente sind unausgewogen in der wahrgenommenen Lautstärke, je nach Platz driftet der Klang auseinander.
Aber die Energie, Dynamik und Detailarbeit der Musiker teilt sich mit, und Dirigent Benjamin Perry Wenzelberg gestaltet Tempo und Rhetorik mit viel Feingefühl. Auch die Sängerinnen und Sänger sind bei ihm in guten Händen: Der Dirigent achtet auf ihre stimmlichen Kapazitäten und lässt ihnen den Raum, ihre Fähigkeiten als Darsteller auszuformen. Das entspricht dem Ausbildungsziel der Dutch National Opera Academy: Sie richtet sich mit ihrem zweijährigen Trainingsprogramm an junge Sänger, die stimmlich bereits ausgebildet sind, aber für eine erfolgreiche Bühnenlaufbahn darstellerische Fähigkeiten, Körperbeherrschung und Theaterpraxis erwerben sollen. Auf diese Weise wird ihnen der Übergang in eine professionelle Karriere erleichtert.
Ensemble mit professionellem Anspruch
Das Ensemble der „Fedeltá premiata“ erfüllt die von Haydn geforderten hohen vokalen Standards erfreulich gut. Nachbesserungen empfehlen sich, wo die jungen Stimmen noch zu wenig im Körper verankert sind und die Projektion des Tons in den Raum nicht in allen Lagen gleichmäßig erfolgt. Femke Hulsman bringt das wehmütig verschattete Timbre mit für die Klagen und Sehnsüchte der Schäferin Fillide, die als Celia auf der Suche nach ihrem Geliebten ist. Ihre erste Arie „Placidi ruscelletti“ ist feinsinnig ausgesponnen; für das berühmte Accompagnato des zweiten Akts bräuchte es noch das Fundament eines sicheren Atems und einer kontinuierlichen Entwicklung des Tons aus dem Körper.
Aimee Kearney hat als Amaranta mit der brillanten Wut ihrer Arie „Vanne, fuggi, traditore“ ebenso wenig Probleme wie mit den tiefen Empfindungen ihres großen Auftritts im zweiten Akt. Auch Thalia Cook-Hansen bewältigt mit leichtem, kleinem, aber nicht spitz klingendem Sopran den munteren Auftritt der Nerina mit Charme. Salvador Simão bringt für den Fileno einen duftigen Tenor mit, der vor allem in den langsamen Arien des ersten Akts Ratlosigkeit, Trauer und schließlich entschlossene Verzweiflung des jungen Hirten aus Arkadien ausdrückt.

Wessel Wirken als Graf Perruchetto. Foto: Reinout Bos
Wessel Wirken als Graf Perruchetto laviert mit seiner Figur zwischen komisch exaltiert und zynisch gleichgültig an der Grenze der gestischen Übertreibung entlang; stimmlich bringt der junge Bariton eine klare Artikulation und einen sauber fokussierten Ton mit, der aber noch nicht ausreichend fundiert ist. Milan de Korte als vorwitziger Lindoro und Román Bordón als durchtriebener Priester der Diana erfüllen ihre Rollen mit Elan und Spielwitz. „La Fedeltá premiata“, erst 1970 beim Holland Festival in einer Regie von Jean-Pierre Ponnelle wiederbelebt, zeigt sich auch in dieser Produktion als ein feingeschliffenes Juwel der Oper zwischen Gluck und Mozart. Das Licht eines lebendigen Theaters bringt es zum Funkeln.
Die nächste Vorstellung der Dutch National Opera Academy ist am 25. April in Amsterdam mit Gioachino Rossinis „La Cambiale di Matrimonio“. Info: https://www.opera-academy.nl/performances/la-cambiale-di-matrimonio/