Edler Ton: Der Geiger Daniel Hope mit Elgars Violinkonzert in Essen

Entfesselung, Verklärung, Apotheose? Ja, schon. Aber Alexander Skriabin, der kühne Eigenbrötler unter den russischen Komponisten, wollte sein „Poème de l’extase“ nicht nur schöngeistig aufgefasst wissen.

Anspannen, aufheizen, explosives Entladen: Skriabin fasste das in eine vor hundert Jahren als extrem, verrückt und manchmal auch zu offensichtlich körperlich-erotisch eingeschätzte Musik. Noch heute weckt das musikalisch frei dem Klang und dem Rausch huldigende Werk von 1908 Bewunderung. In der Philharmonie Essen wurde es als Krönung des Konzerts des russischen Nationalorchesters mit Bravorufen quittiert.

Dabei war kaum Anlass für Jubel. Denn der Orchestergründer und Dirigent Mikhail Pletnev, einst ein hoffnungsvoller Pianist, fährt die Ekstase zwar mit grandiosem Fortissimo auf. Aber er bereitet sie nicht vor. Aus dem lyrisch-entspannten Beginn des Werks führt keine drängende Energie, kein unausweichlicher Bewegungsimpuls zur unvermeidlichen Entladung, sondern eine Abfolge sauber gestaffelter Zustände. Das selige Verströmen hin zum triumphal aufwachsenden Schluss legt die Vermutung nahe, dass sich Pletnev im Lyrischen mehr zu Hause fühlt als im Ekstatischen.

Rachmaninows „Toteninsel“ bestätigt das im Rückblick: Sinnig formt Pletnev den wiegenden Rhythmus, die allmähliche Steigerung, den gelassenen Gesang der Violine und Oboe. Aber untergründige Spannung will nicht aufkommen; dramatische Zuspitzung bleibt flach. Auch das Orchester hat seine Schwächen: Der düstere Höhepunkt mit dem Eintritt der Pauken bleibt klanglich ungefasst und spröde.

Mit Daniel Hope, dem britischen Geiger, brachten die Russen einen Trumpf mit: Sein verhaltener, nie zu brillant nach außen gekehrter Ton veredelte Edward Elgars Violinkonzert mit schier unendlichen, schmerzhaft schön erfüllten Linien. Die raschen Momente geraten Hope manchmal zu hastig – so, als wolle er schnell zur nächsten innerlichen Versenkung forteilen. Die russischen Orchestermusiker erfüllten mit dunkel-gerundeten Holzbläsern und dezenten Streichern ihre sensible Partnerrolle mit Bravour. So geriet der Auftakt schon zum Höhepunkt dieses Gastspiels. Seine Zugabe, Ravels „Kaddisch“, widmete Hope dem vor kurzem verstorbenen Hans Werner Henze.

(Der Bericht ist zuerst in der WAZ Essen erschienen)

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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