Denkwürdige Vokabeln (11): „Zeitungssterben“

Es wird nun einmal überall, wo etwas lebt, gestorben, das liegt in der Natur. Richtig ist auch, dass Medien, namentlich Zeitungen, während ihres je individuellen Entstehungsprozesses, gleichsam lebendige Organismen sind. So etwas wie Verklumpungen von menschlichen Handlungen, die vielerlei kreative Einzelaktionen miteinander verbinden und am Ende eines zunächst ungemein chaotischen Prozesses ein überraschend gestaltet wirkendes Produkt allmorgendlich, wöchentlich oder monatlich an Leserin oder Leser liefern können.

Betrachtet man es so, wäre der Begriff vom „Zeitungssterben“ sogar korrekt gewählt. Wäre da nicht ein mit handelnder Bereich, der eine Zeitung, ein lebendiges Wesen also, innerhalb der jeweiligen Perioden in den Kreißsaal brächte: der unternehmerische Bereich, das deutsche Verlagswesen. Dieser Bereich betrachtet Zeitung seit geraumer Zeit nicht mehr als lebendiges Wesen, als wesentlichen Tagesbeitrag zur Bildung, Wertebildung, Meinungsbildung, sondern als Instrument zur Bildung von Mehrwert, Gewinn und ausschüttungsfähigen Ansammlungen von Renditen. Das führte in der Vergangenheit zur nachhaltigen Verödung vieler Organe bis hin zur inhaltlichen Austrocknung. Verbliebene Kolleginnen und Kollegen mochten sich noch so tapfer wehren, es konnte ihnen mangels ausreichender Masse nicht gelingen, mit den verbliebenen Resten der redaktionellen Personalstärke ihren Blättern noch so etwas wie tägliche Qualität einzuhauchen.

Gepaart mit der Tatsache, dass auch gute Unterhaltung und gutes Boulevard viel Arbeit verursachen, von Leserin und Leser aber auch nicht mehr – bis auf ewige BILDhafte Ausnahmen – so sehr nachgefragt wurden, ging es immer häufiger und immer weiter den Auflagenberg hinunter.

Doch zurück zum „Zeitungssterben“. Da haben wir wieder einmal so eine Vokabel, an der wir „Zeitunger“ selbst eine Teilschuld tragen. Begriffe sollen ja stets griffig sein, bildhaft Leserin und Leser vor Augen führen, was mit ihnen gemeint sein könnte und zudem sollen sie auch noch klingen. Nur, wonach klingt bitte sehr das „Sterben“, steht es im Zusammenhang mit Zeitung. Es klingt nach Unvermeidbarkeit, nach einem langjährigen Prozess, der mit der Geburt, also der Gründung begann, mit Aufstieg also mit steigender Auflage und viel Gewinn weiter ging, bis hin zum Siechtum, also Auflagenschwund und damit dem Antritt des Greisentums endete, um dann in das endgültige Dahinscheiden zu münden. Ganz normaler Prozess also, den niemand zu verantworten hat als die Natur selbst; kein Mensch, kein Verlag, kein Inhabertum.

Das ist eben der Lauf der Dinge, Zeitungen sterben, Verlage stellen Insolvenzanträge, Verleger und –innen ziehen um und essen die üppigen Reste auf, die verblieben sind, im Laufe der Jahre.
Das dürfen sie auch, schließlich tragen sie ja keine Verantwortung dafür, die Zeitung ist ja gestorben, sie hat sich selbst entzogen, Redakteure und –innen waren so kühn Geld zu verdienen, mit dem, was sie können und konnten. Anzeigenverantwortliche wollten auch etwas abhaben. Die Technik ließ sich einfach nicht genug eindampfen, dass sie noch rentabel techniken konnte, der Overhead im Büro wurde trotz aller Bemühungen am Ende zu teuer, die Zeitungsboten und Austrägerinnen wollten Geld. Frechheit aber auch.

Kurz und gut: Ich freue mich, dass der Deutsche Journalistenverband (DJV) schon heute das Unwort des Jahres gefunden hat: „Zeitungssterben“. Und ich stimme nostalgisch ein Requiem auf alle Blätter an, denen eine nicht mehr zu bändigende Wirtschaft auf allen Ebenen das lebensnotwendige Wasser abgräbt und sie vom Baum einer nicht mehr zu gewinnenden Erkenntnis fallen lässt.