„Apokalypse Afrika“: Auf Dauer ratlos

Diese Lektüre bringt einen ins Schlingern. Manchmal weiß man gar nicht mehr, in welchem Land Afrikas man sich gerade befindet, so sehr schwirrt einem der Kopf vom beschriebenem Chaos. Tatsächlich sind ja vielfach die staatlichen Strukturen fast gänzlich zerstört.

Hans Christoph Buchs neuer Band „Apokalypse Afrika“ setzt u. a. in hochkolonialistischer Zeit an und protokolliert mehrmals mit zeitgenössischen Berichts-Fragmenten die Kongo-Konferenz, die 1884/85 in Berlin stattgefunden hat. Die Europäer hielten sich damals einiges darauf zugute, dass sie der offenen Sklaverei und dem „Negerhandel“ abschworen. Nach außen hin nüchtern und rational, in pathetischen Momenten gar nahezu karitativ, doch in Wahrheit zutiefst gierig, suchten sie hier ihre Interessen-Sphären und Handelszonen aufzuteilen, wobei manche Passage so klingt, als sei damals vor allem Portugal von den anderen Mächten „gemobbt“ worden. Das ist aus heutiger Sicht allerdings zweitrangig, wurden doch hier die bis in unsere Zeit nachwirkenden Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Kontinent nicht zur Ruhe kam, weil zahllose Statthalterkriege angezettelt wurden. Doch zur Saat des Kolonialismus kam noch etwas Ungutes, letztlich Unbenennbares hinzu, wie Hans Christoph Buch findet. Auch seine Texte können und wollen keine Klarheit schaffen.

Der einleitende Text des Bandes bezieht sich auf ein Ereignis des Jahres 1816, das schon auf künftige Katastrophen vorausdeutet. Das (von Théodore Géricault auf einem berühmten Bild gemalte) „Floß der Medusa“ steht nicht nur für schlimmsten Schiffbruch, sondern für kannibalistische Entgrenzung in napoleonischer Zeit, als Frankreich sich anschickte, Senegal zu unterwerfen.

Die vielleicht bizarrste Geschichte handelt von jener „Hottentotten-Venus“, die in London und Paris als Weltwunder gegen Geld vorgezeigt und mit abgründigen sexuellen Phantasien besetzt wurde. Die Historie zwischen Europa und Afrika, so ahnt man, ist weitaus mehr als politisches Kalkül, sie ist durchaus pathologisch, wahn- und körperhaft geprägt.

Zeitsprung: Als Groteske der etwas milderen Observanz erweist sich Horst Köhlers bundespräsidiale Goodwill-Tournee durch afrikanische Länder. Hans Christoph Buch gehörte seinerzeit zur Entourage. Hier feiern rundum alle Klischees vom „Schwarzen Kontinent“ Urständ – vom Operettenstaat bis zur immerwährenden Tanzwütigkeit der „Eingeborenen“. Alles nur Kulissenschieberei, in der auf kläglichste Weise „Politik“ inszeniert wird. Kein Wunder, dass etwa der eine oder andere journalistische Beobachter die Restbestände seines Bewusstseins mit Sex und Suff betäubt.

Weitere Passagen des Buches dringen bis in lebensgefährliche Bereiche des jetzigen Afrika vor. Die Hölle auf Erden, mit nur allzu bekannten Stichworten: Marodierende Banden, Kindersoldaten; Bürgerkriege, in denen Hunderttausende Menschen viehisch abgeschlachtet werden; Diktatoren, die ihre Völker bis aufs Blut ausbeuten. Als Hans Christoph Buch eine Gewaltszene mit eigenen Augen sieht, blättert auch bei ihm der Lack der Zivilisation ab, wie er erschütternd ehrlich eingesteht: „Beim Anblick des an die Kehle gesetzten Messers geriet ich in unkontrollierte Erregung, die sich zu sadistischer Lust steigerte, als sein Blut zu fließen begann – am liebsten hätte ich mich an seiner Folterung beteiligt…“ Dabei hatte er sich offiziell für die Freilassung des Bedrohten eingesetzt. Welche Kräfte sind da am Werk, wenn ein politisch absolut unverdächtiger Mann wie Buch, der mit dem kolossalen Thema Afrika nicht fertig werden kann und mag, derart an sich irre wird? Wo ist links, rechts, oben und unten?

Dies alles lesend, kann man wahrlich verzweifeln. Hoffnungsschimmer sind ach so gering, wenn überhaupt vorhanden. Puritanisch gewendet, fragt es sich gar, ob just dieser Band in der bibliophilen Edition „Die andere Bibliothek“ hat erscheinen müssen, oder ob ihm nicht Schmucklosigkeit besser angestanden hätte.

Solche monströsen Themen lassen sich jedenfalls kaum stilistisch „bändigen“, sie bleiben buchstäblich so fassungslos wie in diesem Falle Autor und Leser. Hans Christoph Buch arrangiert und collagiert die geradezu surrealen Partikel der schrecklichen Wirklichkeit nach Kräften, doch sie zerrinnen ihm gleichsam unter den Händen, von Ordnung kann hier eben keine Rede sein. Jede gefälligere Zurichtung des Stoffes wäre wohl infam gewesen. Buchs persönlicher Zugang bringt allemal mehr Ertrag als noch so klug und scheinbar schlüssig formulierte Ferndiagnosen. Und so lässt „Apokalypse Afrika“ einen am Ende ratlos zurück; ganz so, wie es die bittere Wirklichkeit vermag.

Hans Christoph Buch: „Apokalypse Afrika oder Schiffbruch mit Zuschauern“. Eichborn Verlag / Die andere Bibliothek, 252 Seiten, 29 Euro.