Gefährliche Abenteuer am Hindukusch: Linus Reichlins Roman „Das Leuchten in der Ferne“

Es ist eines dieser Bücher, die den Leser schon nach wenigen Zeilen fesseln, weil die Geschichte einfach unglaublich klingt. So mag man Linus Reichlins Buch „Das Leuchten in der Ferne“ nicht eher aus der Hand legen, bis das Schicksal des alternden Kriegsreporters Moritz Martens geklärt ist.

Einmal Hasardeur, immer Hasardeur: Der Auslandsjournalist lässt sich auf eine Reise nach Afghanistan ein, die ihm eine Reportage über eine Geschichte einbringen soll, mit der er seinen Namen wieder aufpolieren könnte. Im Land am Hindukusch hat sich angeblich ein Mädchen in Jungenkleidern einem Trupp von Taliban angeschlossen und es besteht die große Gefahr, dass der Schwindel auffliegt. Da sie wegen ihres Geschlechts Nachteile in der Ursprungsfamilie fürchtet, ist das Mädchen getürmt und sieht in den marodierenden Banden ihre große Chance.

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Martens‘ Sensationsgier trübt allerdings seinen Spürsinn und so fallen ihm die kleinen Unebenheiten der Geschichte, die ihm seine neue Bekannte Mirjam (deren Vorfahren angeblich in Afghanistan lebten) serviert, zunächst einmal gar nicht auf. Erst als er in der Transall nach Feyzabad sitzt, mehren sich die Ungereimtheiten, doch da ist es für eine Umkehr zu spät.

Ob der Reporter aber eine solche Chance überhaupt ergriffen hätte, erscheint äußerst fraglich, er sucht nun mal das Abenteuer. Und von Mirjam möchte er auch nicht lassen. Für seinen Ehrgeiz und seine Zuneigung muss er einen hohen Preis bezahlen, wird er doch gezwungen, sich den islamistischen Kämpfern in den Bergen Afghanistans anzuschließen, um seine Haut zu retten. Tag und Nacht ist er auf sie angewiesen, er erlebt die Gotteskrieger als Menschen, die durchaus verständnisvoll sein können. In dem ständigen Zusammensein ist Martens bemüht, den Taliban gegenüber eine innere Distanz zu wahren, die er vor allem braucht, als sie ihn zum Zeugen einer Steinigung machen. Gleichwohl wird der Reporter später nichts von seinen Erlebnissen preisgeben. Nachdem Geld geflossen ist, eine Geisel und auch er freikommen, drängen ihn die deutschen Militärs, zu berichten, was er weiß. „Martens gab vage Antworten“, heißt es zu Ende des Romans. Die Nähe hat ihn zwar nicht zum Komplizen werden lassen, aber er möchte auch nicht als Verräter dastehen.

Unweigerlich stellt sich die Frage, ob man nun reale Einblicke in das Leben der Taliban bekommen hat oder der Autor, der mit „Der Assistent der Sterne“ das „Wissenschaftsbuch des Jahres 2010“ geschrieben hat, lediglich bekannte Klischees zu den Radikalislamisten benutzt und sie mit Bandenkriminalität vermengt. Aber auch ohne eine klare Antwort bleibt das Buchäußerst lesenswert, allein schon deshalb, weil es in menschliche Abgründe blicken lässt.

Linus Reichlin: „Das Leuchten in der Ferne“. Verlag Galiani, Berlin. 304 Seiten, 19,99 Euro.