Querdenker in einem komischen Land – Harald Marteinsteins gesammelte Kolumnen

Martenstein.CoverWas bitte ist am „Bauhaus“ schön und warum wohnten die Architekten nicht selbst darin? Worin besteht der Unterschied zwischen Berliner, Hamburger und Münchner Star-Friseuren?

Und weiter: Ist der „Kleine Prinz“ nicht doch nur der kleinste gemeinsame Nenner für Diktatoren und Kirchen-Austrittswillige und kann man romantische Nächte wirklich nur noch im Zoo verbringen? Gemeinsam ist diesen Fragen die Antwort: Deutschland ist ein komisches Land. Zwischen Gerstengrund und Osnabrück wohnt nicht nur das Glück, sondern auch die Real-Satire.

Harald Martenstein, bekannter Journalist, Autor und Kolumnist, nimmt sich unbeirrt dieser Fragen an. 34 Betrachtungen und Geschichten aus den Jahren 1999-2012 hat er ausgewählt, überarbeitet und zu einer erstaunlich zeitlos aktuellen Betrachtung unseres Landes zusammengefasst. Alle Artikel aus seiner Sammlung „Romantische Nächte im Zoo“ waren bereits publiziert, einige davon (allen voran der über die Entzauberung des Suhrkamp Verlags) preisgekrönt.

Seine Themen sind breit gefächert und haben auf den ersten Blick nicht sehr viel miteinander zu tun. Da geht es um Milch und die Kuh als Leistungsträger, da werden Kirchentage genau wie die in den Städten um sich greifende Gentrifizierung seziert, Bildungspolitik als letztes Reservat für Ideologen entlarvt und die echten Freuden oder wirklichen Schrecken des deutschen Kleingärtners aufgedröselt.

Auf den zweiten Blick aber erkennt man die Gemeinsamkeit: Martensteins unverdrossenes Plädoyer für Meinungsfreiheit als grundlegendes Recht und für Toleranz – auch für diejenigen, die man nicht sympathisch findet.

Martenstein trifft den Nerv der Zeit und traut sich dafür auf ein sehr dünnes Drahtseil. Er scheut den Populismus nicht, ohne wirklich populistisch zu sein. In Summe und Buchform gelesen wird klar, warum er auf der einen Seite als einer der populärsten, anregendsten Kolumnisten des Landes gilt, auf der anderen Seite aber auch, warum er gleichzeitig auch einer der polarisierendsten Kolumnisten unserer Zeit ist. Kaum ein Kollege, der sich nicht an ihm abarbeitet. Die Lektüre der Beiträge anderer Blogger und Kolumnisten, die sich mit ihm beschäftigen, ist derzeit mindestens so unterhaltsam wie die der Martenstein-Kolumnen selber.

Mich wundert das nicht. Es hat ja auch etwas Frustrierendes, wenn man seine Kolumnen liest. Viele wirken zunächst wie charmant geplauderte Essays, doch in jeder kommt irgendwann der Punkt, an dem Martenstein zielsicher den Finger in die Wunde legt und ihn oft genug auch noch genüsslich umdreht. Was er nicht tut – er zeigt nicht auch noch mit dem Zeigefinder auf die, die er als Verursacher ausmacht. Da nimmt er sich zurück.

Ansonsten ist er unbestritten ein selbsternannter Besserwisser. Natürlich sind da Bescheidwisser aller Couleur genervt. Vor allem, weil man nach jeder Kolumne – gelegentlich zähneknirschend – zugeben muss, dass er recht hat. Und wenn auch manchmal nur mit dem Denkanstoss, den er gibt.

Lustvoll stellt Harald Martenstein gängige Verhaltensweisen und Meinungen auf den Prüfstand und in Frage. Auch wenn er dazu eine Position einnehmen muss, die eigentlich gar nicht die Seine ist – nur um zu sehen, wohin sie ihn führt. Das ist schon ein sehr spezieller Mut zum Vor- und Querdenken, der so manchem, der sich nicht einmal das Nachdenken traut, bitter aufstößt. Es erfüllt aber seinen Zweck. Der Denkanstoß, die Diskussionsgrundlage ist gegeben.

Martensteins erkennbare Allergie gegen Selbstzufriedenheit, Betroffenheitsgeseiere, sowie gegen ausufernden Kontroll-und Vorschriftswahn führt ihn immer wieder zum ganz normalen Surrealismus des Alltags. Man kann ihm natürlich ankreiden, dass es alles Luxusprobleme sind, die er behandelt, noch dazu aus der Sicht eines Menschen, der im weitestgehend katastrophenlosen Deutschland lebt. Man kann sich aber auch die Frage stellen, ob nicht auch der sich schleichend vollziehende bedenkliche gesellschaftliche Wandel unserer Zeit eine Katastrophe ist.

Die Texte der Sammlung sind nicht chronologisch und zeigen gerade dadurch, wie sehr Martenstein seinem Stil über die Jahre treu geblieben ist. Seine Schreibe hat sich nicht geändert, sie war schon vor zwölf Jahren so gezielt pointiert, manchmal provokant, manchmal zurückgenommen lakonisch. Auffällig ist, dass seine Sprache umso schnörkelloser wird, je mehr er sich aufregt.

So ist eine lesenswerte, gleichermaßen unterhaltsame wie kritische Biographie unseres Landes entstanden. „Ein Land, das sich schleichend radikal gewandelt hat.“ Die Quintessenz der Kolumnen findet sich in meiner Lieblingskolumne über die „Tugendrepublik Deutschland“. Eine Kolumne, in der Martenstein ersichtlich immer wütender gegen diese unsere Gesellschaft wettert. Eine Gesellschaft, die wie keine vor und neben ihr so sehr unter Kontrolle steht und trotzdem keine Diktatur ist. Eins weiß man nach der Lektüre auf jeden Fall: Nämlich, wo in Deutschland man auf gar keinen Fall tot überm Zaun hängen möchte.

Harald Martenstein: „Romantische Nächte im Zoo – Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land“. Aufbau Verlag, Berlin, 285 Seiten, € 18,99.